Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

vollständig, wenn wir darin Ursachen und Wirkungen einer Begebenheit in seltener Ausdehnung und im auffallenden Zusammenhange mit dem Kreise unserer Erfahrungen entwickelt finden. Was hingegen ausgezeichnet zweckmäßig ist, mithin alles zeigt, was nach Begriffen von seiner Bestimmung gefordert wird, um es in jeder Rücksicht als ein tüchtiges Ganze wieder zu erkennen, das nennen wir vortrefflich. Es befriedigt die Forderungen der Vernunft in ausgezeichneter Maße. Eine Geschichte ist vortrefflich, wenn ihre pragmatische Anwendung auf den Kreis unserer Bedürfnisse in außerordentlichem Umfange, und mit ungewöhnlicher Wichtigkeit wahrgenommen wird. Was zugleich vollständig und vortrefflich ist, das nennen wir vollkommen. Ich habe inzwischen bereits bemerkt, daß ich hier diese drey Unterschiede nicht weiter beobachten, sondern mit dem Nahmen des Vollkommnen alles dasjenige benennen werde, was die Gesetze des Verstandes und der Vernunft in ungewöhnlicher Maße befriedigt.

Dieß Vollkommne wirkt zuweilen auf unsern Beschauungshang, und reitzt uns, unabhängig von aller Beziehung auf die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinkts, zur Wonne. Es fragt sich: wann?

Die erste Bedingung ist diese: daß die Uebereinstimmung der Gegenstände mit den Gesetzen unsers Verstandes und unserer Vernunft instinktartig erkannt werden muß. Alle Erkenntniß des Vollkommnen, die wir einer Anstrengung unsers Verstandes und unserer Vernunft verdanken, giebt uns entweder keine Wonne, oder sie giebt uns nur die Wonne der Selbstheit. Haben wir ein Bedürfniß der Ungewißheit gestillt, so ist die Lust, sie gestillt zu sehen, bloße affektvolle Zufriedenheit; wir sind

vollständig, wenn wir darin Ursachen und Wirkungen einer Begebenheit in seltener Ausdehnung und im auffallenden Zusammenhange mit dem Kreise unserer Erfahrungen entwickelt finden. Was hingegen ausgezeichnet zweckmäßig ist, mithin alles zeigt, was nach Begriffen von seiner Bestimmung gefordert wird, um es in jeder Rücksicht als ein tüchtiges Ganze wieder zu erkennen, das nennen wir vortrefflich. Es befriedigt die Forderungen der Vernunft in ausgezeichneter Maße. Eine Geschichte ist vortrefflich, wenn ihre pragmatische Anwendung auf den Kreis unserer Bedürfnisse in außerordentlichem Umfange, und mit ungewöhnlicher Wichtigkeit wahrgenommen wird. Was zugleich vollständig und vortrefflich ist, das nennen wir vollkommen. Ich habe inzwischen bereits bemerkt, daß ich hier diese drey Unterschiede nicht weiter beobachten, sondern mit dem Nahmen des Vollkommnen alles dasjenige benennen werde, was die Gesetze des Verstandes und der Vernunft in ungewöhnlicher Maße befriedigt.

Dieß Vollkommne wirkt zuweilen auf unsern Beschauungshang, und reitzt uns, unabhängig von aller Beziehung auf die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinkts, zur Wonne. Es fragt sich: wann?

Die erste Bedingung ist diese: daß die Uebereinstimmung der Gegenstände mit den Gesetzen unsers Verstandes und unserer Vernunft instinktartig erkannt werden muß. Alle Erkenntniß des Vollkommnen, die wir einer Anstrengung unsers Verstandes und unserer Vernunft verdanken, giebt uns entweder keine Wonne, oder sie giebt uns nur die Wonne der Selbstheit. Haben wir ein Bedürfniß der Ungewißheit gestillt, so ist die Lust, sie gestillt zu sehen, bloße affektvolle Zufriedenheit; wir sind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="42"/><hi rendition="#g">vollständig</hi>, wenn wir darin Ursachen und Wirkungen einer Begebenheit in seltener Ausdehnung und im auffallenden Zusammenhange mit dem Kreise unserer Erfahrungen entwickelt finden. Was hingegen ausgezeichnet zweckmäßig ist, mithin alles zeigt, was nach Begriffen von seiner Bestimmung gefordert wird, um es in jeder Rücksicht als ein tüchtiges Ganze wieder zu erkennen, das nennen wir <hi rendition="#g">vortrefflich</hi>. Es befriedigt die Forderungen der Vernunft in ausgezeichneter Maße. Eine Geschichte ist <hi rendition="#g">vortrefflich</hi>, wenn ihre pragmatische Anwendung auf den Kreis unserer Bedürfnisse in außerordentlichem Umfange, und mit ungewöhnlicher Wichtigkeit wahrgenommen wird. Was zugleich vollständig und vortrefflich ist, das nennen wir <hi rendition="#g">vollkommen</hi>. Ich habe inzwischen bereits bemerkt, daß ich hier diese drey Unterschiede nicht weiter beobachten, sondern mit dem Nahmen des Vollkommnen alles dasjenige benennen werde, was die Gesetze des Verstandes und der Vernunft in ungewöhnlicher Maße befriedigt.</p>
          <p>Dieß <hi rendition="#g">Vollkommne</hi> wirkt zuweilen auf unsern Beschauungshang, und reitzt uns, unabhängig von aller Beziehung auf die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinkts, zur Wonne. Es fragt sich: wann?</p>
          <p>Die erste Bedingung ist diese: daß die Uebereinstimmung der Gegenstände mit den Gesetzen unsers Verstandes und unserer Vernunft instinktartig erkannt werden muß. Alle Erkenntniß des Vollkommnen, die wir einer Anstrengung unsers Verstandes und unserer Vernunft verdanken, giebt uns entweder keine Wonne, oder sie giebt uns nur die Wonne der Selbstheit. Haben wir ein Bedürfniß der Ungewißheit gestillt, so ist die Lust, sie gestillt zu sehen, bloße affektvolle Zufriedenheit; wir sind
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0042] vollständig, wenn wir darin Ursachen und Wirkungen einer Begebenheit in seltener Ausdehnung und im auffallenden Zusammenhange mit dem Kreise unserer Erfahrungen entwickelt finden. Was hingegen ausgezeichnet zweckmäßig ist, mithin alles zeigt, was nach Begriffen von seiner Bestimmung gefordert wird, um es in jeder Rücksicht als ein tüchtiges Ganze wieder zu erkennen, das nennen wir vortrefflich. Es befriedigt die Forderungen der Vernunft in ausgezeichneter Maße. Eine Geschichte ist vortrefflich, wenn ihre pragmatische Anwendung auf den Kreis unserer Bedürfnisse in außerordentlichem Umfange, und mit ungewöhnlicher Wichtigkeit wahrgenommen wird. Was zugleich vollständig und vortrefflich ist, das nennen wir vollkommen. Ich habe inzwischen bereits bemerkt, daß ich hier diese drey Unterschiede nicht weiter beobachten, sondern mit dem Nahmen des Vollkommnen alles dasjenige benennen werde, was die Gesetze des Verstandes und der Vernunft in ungewöhnlicher Maße befriedigt. Dieß Vollkommne wirkt zuweilen auf unsern Beschauungshang, und reitzt uns, unabhängig von aller Beziehung auf die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinkts, zur Wonne. Es fragt sich: wann? Die erste Bedingung ist diese: daß die Uebereinstimmung der Gegenstände mit den Gesetzen unsers Verstandes und unserer Vernunft instinktartig erkannt werden muß. Alle Erkenntniß des Vollkommnen, die wir einer Anstrengung unsers Verstandes und unserer Vernunft verdanken, giebt uns entweder keine Wonne, oder sie giebt uns nur die Wonne der Selbstheit. Haben wir ein Bedürfniß der Ungewißheit gestillt, so ist die Lust, sie gestillt zu sehen, bloße affektvolle Zufriedenheit; wir sind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/42
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/42>, abgerufen am 21.11.2024.