Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.und Befolgung die Annäherung an Vollkommenheit eher zu erwarten steht, als bey deren Unkunde und Vernachlässigung. Denkt euch, daß ein Cato, ein Aristides, ein Sülly, ein Richelieu, ein Homer, ein Raphael auftreten, daß sie ihr offenherziges Bekenntniß darüber ablegen könnten, ob sie nach Beendigung einer Situation, worin sich der Adel ihres Geistes entfaltet hat, oder nach Vollendung eines Geschäfts, eines Meisterwerks, wobey sich ihr Genie thätig bewiesen hat, sich nicht immer bewußt geblieben sind, daß, ohne übermenschliche Kräfte und Verhältnisse vorauszusetzen, sie dennoch in ihren Produkten an Gesinnungen, Handlungen und Werken, dem Bilde von Vollkommenheit das in ihrem Kopfe schwebte, näher hätten treten können? Wer kann daran zweifeln! Mangel an Aufmerksamkeit, an Stetigkeit, an Gegenwart des Geistes; Ungleichheiten in der Wirksamkeit derjenigen Kräfte, deren Gebrauch von der Gewalt über uns selbst abhängt, wird sich der edelste, der fähigste, der fertigste Mensch immer vorzuwerfen haben. Hier geht nun der Aesthetiker von dem bloßen empirischen Critiker ab. Jener stellt das Bild der Vollkommenheit dar, welches jenen großen Genien vorschwebte, und das sie als abhängend von der Willkühr des Menschen geahndet haben. Er entwickelt und stellt es dar, nach Begriffen von demjenigen, was er selbst für möglich hält, wenn die Menschen diejenigen Kräfte, die ihnen zu Gebote stehen, mit anhaltender Aufmerksamkeit anwenden wollten. Der empirische Critiker hingegen sieht die Vollkommenheit nur in demjenigen, was bereits geleistet ist, und spannt seine Forderungen nicht höher, als er weiß, daß sie bereits erfüllt sind. und Befolgung die Annäherung an Vollkommenheit eher zu erwarten steht, als bey deren Unkunde und Vernachlässigung. Denkt euch, daß ein Cato, ein Aristides, ein Sülly, ein Richelieu, ein Homer, ein Raphael auftreten, daß sie ihr offenherziges Bekenntniß darüber ablegen könnten, ob sie nach Beendigung einer Situation, worin sich der Adel ihres Geistes entfaltet hat, oder nach Vollendung eines Geschäfts, eines Meisterwerks, wobey sich ihr Genie thätig bewiesen hat, sich nicht immer bewußt geblieben sind, daß, ohne übermenschliche Kräfte und Verhältnisse vorauszusetzen, sie dennoch in ihren Produkten an Gesinnungen, Handlungen und Werken, dem Bilde von Vollkommenheit das in ihrem Kopfe schwebte, näher hätten treten können? Wer kann daran zweifeln! Mangel an Aufmerksamkeit, an Stetigkeit, an Gegenwart des Geistes; Ungleichheiten in der Wirksamkeit derjenigen Kräfte, deren Gebrauch von der Gewalt über uns selbst abhängt, wird sich der edelste, der fähigste, der fertigste Mensch immer vorzuwerfen haben. Hier geht nun der Aesthetiker von dem bloßen empirischen Critiker ab. Jener stellt das Bild der Vollkommenheit dar, welches jenen großen Genien vorschwebte, und das sie als abhängend von der Willkühr des Menschen geahndet haben. Er entwickelt und stellt es dar, nach Begriffen von demjenigen, was er selbst für möglich hält, wenn die Menschen diejenigen Kräfte, die ihnen zu Gebote stehen, mit anhaltender Aufmerksamkeit anwenden wollten. Der empirische Critiker hingegen sieht die Vollkommenheit nur in demjenigen, was bereits geleistet ist, und spannt seine Forderungen nicht höher, als er weiß, daß sie bereits erfüllt sind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0157" n="157"/> und Befolgung die Annäherung an Vollkommenheit eher zu erwarten steht, als bey deren Unkunde und Vernachlässigung.</p> <p>Denkt euch, daß ein Cato, ein Aristides, ein Sülly, ein Richelieu, ein Homer, ein Raphael auftreten, daß sie ihr offenherziges Bekenntniß darüber ablegen könnten, ob sie nach Beendigung einer Situation, worin sich der Adel ihres Geistes entfaltet hat, oder nach Vollendung eines Geschäfts, eines Meisterwerks, wobey sich ihr Genie thätig bewiesen hat, sich nicht immer bewußt geblieben sind, daß, ohne übermenschliche Kräfte und Verhältnisse vorauszusetzen, sie dennoch in ihren Produkten an Gesinnungen, Handlungen und Werken, dem Bilde von Vollkommenheit das in ihrem Kopfe schwebte, näher hätten treten können? Wer kann daran zweifeln! Mangel an Aufmerksamkeit, an Stetigkeit, an Gegenwart des Geistes; Ungleichheiten in der Wirksamkeit derjenigen Kräfte, deren Gebrauch von der Gewalt über uns selbst abhängt, wird sich der edelste, der fähigste, der fertigste Mensch immer vorzuwerfen haben.</p> <p>Hier geht nun der Aesthetiker von dem bloßen empirischen Critiker ab. Jener stellt das Bild der Vollkommenheit dar, welches jenen großen Genien vorschwebte, und das sie als abhängend von der Willkühr des Menschen geahndet haben. Er entwickelt und stellt es dar, nach Begriffen von demjenigen, was er selbst für möglich hält, wenn die Menschen diejenigen Kräfte, die ihnen zu Gebote stehen, mit anhaltender Aufmerksamkeit anwenden wollten. Der empirische Critiker hingegen sieht die Vollkommenheit nur in demjenigen, was bereits geleistet ist, und spannt seine Forderungen nicht höher, als er weiß, daß sie bereits erfüllt sind.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0157]
und Befolgung die Annäherung an Vollkommenheit eher zu erwarten steht, als bey deren Unkunde und Vernachlässigung.
Denkt euch, daß ein Cato, ein Aristides, ein Sülly, ein Richelieu, ein Homer, ein Raphael auftreten, daß sie ihr offenherziges Bekenntniß darüber ablegen könnten, ob sie nach Beendigung einer Situation, worin sich der Adel ihres Geistes entfaltet hat, oder nach Vollendung eines Geschäfts, eines Meisterwerks, wobey sich ihr Genie thätig bewiesen hat, sich nicht immer bewußt geblieben sind, daß, ohne übermenschliche Kräfte und Verhältnisse vorauszusetzen, sie dennoch in ihren Produkten an Gesinnungen, Handlungen und Werken, dem Bilde von Vollkommenheit das in ihrem Kopfe schwebte, näher hätten treten können? Wer kann daran zweifeln! Mangel an Aufmerksamkeit, an Stetigkeit, an Gegenwart des Geistes; Ungleichheiten in der Wirksamkeit derjenigen Kräfte, deren Gebrauch von der Gewalt über uns selbst abhängt, wird sich der edelste, der fähigste, der fertigste Mensch immer vorzuwerfen haben.
Hier geht nun der Aesthetiker von dem bloßen empirischen Critiker ab. Jener stellt das Bild der Vollkommenheit dar, welches jenen großen Genien vorschwebte, und das sie als abhängend von der Willkühr des Menschen geahndet haben. Er entwickelt und stellt es dar, nach Begriffen von demjenigen, was er selbst für möglich hält, wenn die Menschen diejenigen Kräfte, die ihnen zu Gebote stehen, mit anhaltender Aufmerksamkeit anwenden wollten. Der empirische Critiker hingegen sieht die Vollkommenheit nur in demjenigen, was bereits geleistet ist, und spannt seine Forderungen nicht höher, als er weiß, daß sie bereits erfüllt sind.
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