Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß in den meisten Augenblicken des zwanzigjährigen Zeitraums, worin ich an Dir hänge, diese Affekte des Eigennutzes und der Beschauuug unter denjenigen, welche Du mir eingeflößt hast, bey weitem die geringste Summe ausgemacht haben! Ich bin mir bewußt, daß in den Augenblicken, worin Du mir minder liebend, minder vollkommen scheinst, mein wonnevolles Streben für Dein Daseyn und Dein Wohl nicht abgenommen hat. Ich bin mir bewußt, daß ich Deinen Schmerz mit Dir theilen kann, daß das Glück, was Dir widerfährt, mich entzückt, wenn ich es auch nicht mit Dir theile, und wenn es auch nicht von mir herrührt! Bist Du ein größerer Mann dadurch geworden, weil bey minderer Anstrengung Deine Gesundheit sich gestärkt hat? Habe ich mehr von Deiner Liebe, weil Du an Weib und Kindern hängst? Und dennoch, wie habe ich mich gefreuet, als ich Dich neulich so ruhig, so ausgefüllt im Schoße Deiner Familie fand! Ja! mein Freund, ich fühle es, ich sage es mit innerer Ueberzeugung: könnte die Welt Dich verkennen, könnte Krankheit der Seele und des Körpers Dich in die Klasse gewöhnlicher Menschen zurückschieben; könntest Du sogar - mit Schaudern denke ich daran, - könntest Du mich verkennen und mich von Dir stoßen; meine Thränen würden hauptsächlich die Trauer andeuten, daß Du durch Ungerechtigkeit Dir Reue und Unzufriedenheit mit Dir selbst bereiten würdest. So denke ich heute; so bin ich sicher bis ans Ende zu denken. Auf meinem Todtenlager, wenn ich Dich nicht mehr bewundern kann, beym Uebergange in die Zeit, worin Du mir nicht mehr nützlich seyn wirst, wird dennoch mein Herz von dem warmen Wunsche nach Deinem Glücke überfließen! Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß in den meisten Augenblicken des zwanzigjährigen Zeitraums, worin ich an Dir hänge, diese Affekte des Eigennutzes und der Beschauuug unter denjenigen, welche Du mir eingeflößt hast, bey weitem die geringste Summe ausgemacht haben! Ich bin mir bewußt, daß in den Augenblicken, worin Du mir minder liebend, minder vollkommen scheinst, mein wonnevolles Streben für Dein Daseyn und Dein Wohl nicht abgenommen hat. Ich bin mir bewußt, daß ich Deinen Schmerz mit Dir theilen kann, daß das Glück, was Dir widerfährt, mich entzückt, wenn ich es auch nicht mit Dir theile, und wenn es auch nicht von mir herrührt! Bist Du ein größerer Mann dadurch geworden, weil bey minderer Anstrengung Deine Gesundheit sich gestärkt hat? Habe ich mehr von Deiner Liebe, weil Du an Weib und Kindern hängst? Und dennoch, wie habe ich mich gefreuet, als ich Dich neulich so ruhig, so ausgefüllt im Schoße Deiner Familie fand! Ja! mein Freund, ich fühle es, ich sage es mit innerer Ueberzeugung: könnte die Welt Dich verkennen, könnte Krankheit der Seele und des Körpers Dich in die Klasse gewöhnlicher Menschen zurückschieben; könntest Du sogar – mit Schaudern denke ich daran, – könntest Du mich verkennen und mich von Dir stoßen; meine Thränen würden hauptsächlich die Trauer andeuten, daß Du durch Ungerechtigkeit Dir Reue und Unzufriedenheit mit Dir selbst bereiten würdest. So denke ich heute; so bin ich sicher bis ans Ende zu denken. Auf meinem Todtenlager, wenn ich Dich nicht mehr bewundern kann, beym Uebergange in die Zeit, worin Du mir nicht mehr nützlich seyn wirst, wird dennoch mein Herz von dem warmen Wunsche nach Deinem Glücke überfließen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0093" n="93"/> Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß in den meisten Augenblicken des zwanzigjährigen Zeitraums, worin ich an Dir hänge, diese Affekte des Eigennutzes und der Beschauuug unter denjenigen, welche Du mir eingeflößt hast, bey weitem die geringste Summe ausgemacht haben! Ich bin mir bewußt, daß in den Augenblicken, worin Du mir minder liebend, minder vollkommen scheinst, mein wonnevolles Streben für Dein Daseyn und Dein Wohl nicht abgenommen hat. Ich bin mir bewußt, daß ich Deinen Schmerz mit Dir theilen kann, daß das Glück, was Dir widerfährt, mich entzückt, wenn ich es auch nicht mit Dir theile, und wenn es auch nicht von mir herrührt! Bist Du ein größerer Mann dadurch geworden, weil bey minderer Anstrengung Deine Gesundheit sich gestärkt hat? Habe ich mehr von Deiner Liebe, weil Du an Weib und Kindern hängst? Und dennoch, wie habe ich mich gefreuet, als ich Dich neulich so ruhig, so ausgefüllt im Schoße Deiner Familie fand! Ja! mein Freund, ich fühle es, ich sage es mit innerer Ueberzeugung: könnte die Welt Dich verkennen, könnte Krankheit der Seele und des Körpers Dich in die Klasse gewöhnlicher Menschen zurückschieben; könntest Du sogar – mit Schaudern denke ich daran, – könntest Du mich verkennen und mich von Dir stoßen; meine Thränen würden hauptsächlich die Trauer andeuten, daß Du durch Ungerechtigkeit Dir Reue und Unzufriedenheit mit Dir selbst bereiten würdest. So denke ich heute; so bin ich sicher bis ans Ende zu denken. Auf meinem Todtenlager, wenn ich Dich nicht mehr bewundern kann, beym Uebergange in die Zeit, worin Du mir nicht mehr nützlich seyn wirst, wird dennoch mein Herz von dem warmen Wunsche nach Deinem Glücke überfließen!</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0093]
Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß in den meisten Augenblicken des zwanzigjährigen Zeitraums, worin ich an Dir hänge, diese Affekte des Eigennutzes und der Beschauuug unter denjenigen, welche Du mir eingeflößt hast, bey weitem die geringste Summe ausgemacht haben! Ich bin mir bewußt, daß in den Augenblicken, worin Du mir minder liebend, minder vollkommen scheinst, mein wonnevolles Streben für Dein Daseyn und Dein Wohl nicht abgenommen hat. Ich bin mir bewußt, daß ich Deinen Schmerz mit Dir theilen kann, daß das Glück, was Dir widerfährt, mich entzückt, wenn ich es auch nicht mit Dir theile, und wenn es auch nicht von mir herrührt! Bist Du ein größerer Mann dadurch geworden, weil bey minderer Anstrengung Deine Gesundheit sich gestärkt hat? Habe ich mehr von Deiner Liebe, weil Du an Weib und Kindern hängst? Und dennoch, wie habe ich mich gefreuet, als ich Dich neulich so ruhig, so ausgefüllt im Schoße Deiner Familie fand! Ja! mein Freund, ich fühle es, ich sage es mit innerer Ueberzeugung: könnte die Welt Dich verkennen, könnte Krankheit der Seele und des Körpers Dich in die Klasse gewöhnlicher Menschen zurückschieben; könntest Du sogar – mit Schaudern denke ich daran, – könntest Du mich verkennen und mich von Dir stoßen; meine Thränen würden hauptsächlich die Trauer andeuten, daß Du durch Ungerechtigkeit Dir Reue und Unzufriedenheit mit Dir selbst bereiten würdest. So denke ich heute; so bin ich sicher bis ans Ende zu denken. Auf meinem Todtenlager, wenn ich Dich nicht mehr bewundern kann, beym Uebergange in die Zeit, worin Du mir nicht mehr nützlich seyn wirst, wird dennoch mein Herz von dem warmen Wunsche nach Deinem Glücke überfließen!
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