Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.Genug, daß sie nicht mehr davon reden hören! Giebt es aber nicht wieder andere Menschen, die sich gern unglücklich, krank, traurig fühlen? Allerdings! und zwar theils um gern gehabt, geliebkoset, verzärtelt, gehegt und gepflegt zu werden, theils aber auch um der bloßen üppigen Spannung willen, womit sie die Vorstellung ihres ausgezeichneten Leidens erfüllt. Solche Menschen denken nicht daran, daß der kränkelnde, winselnde Zustand, in dem sie sich befinden, ihren Gatten und Hausgenossen lästig werde. Sie setzen den Genuß der Liebe allein in dem Gefühle, andern viel werth zu seyn, und das Bedürfniß darnach ist so stark bey ihnen, daß sie alle andern Ansprüche ihrer Selbstheit aufopfern, um diesen einzigen zu befriedigen. Sie sind äußerst gefällig, sanft aufmerksam auf alles, was verbinden kann; aber - sie müssen verzogen werden. Oft ziehen sie gar den Zustand einer unglücklichen und unruhigen Liebe dem einer glücklichen und heitern vor. Jene spannt sie, weckt ihre Lebensgeister, erhebt sie vor ihren eigenen Augen, und gewährt ihnen den Reitz, den Verbündeten über sich weinen zu sehen, und sich dann mit ihm zu versöhnen! Diese Beyspiele mögen hinreichen, die Schlupfwinkel der Selbstheit aufzudecken. Ich setze noch hinzu, was bereits aus meinen Vordersätzen fließt: daß ein Band, welches bloß oder größten Theils auf Achtung, Mitleiden, Dankbarkeit, ja, selbst auf Angewöhnung beruht, noch keine liebende oder gar zärtliche Anhänglichkeit genannt zu werden verdiene. Die beschauende, eigennützige Schätzung und Verehrung ist allerdings ein Ingredienz jeder zärtlichen Genug, daß sie nicht mehr davon reden hören! Giebt es aber nicht wieder andere Menschen, die sich gern unglücklich, krank, traurig fühlen? Allerdings! und zwar theils um gern gehabt, geliebkoset, verzärtelt, gehegt und gepflegt zu werden, theils aber auch um der bloßen üppigen Spannung willen, womit sie die Vorstellung ihres ausgezeichneten Leidens erfüllt. Solche Menschen denken nicht daran, daß der kränkelnde, winselnde Zustand, in dem sie sich befinden, ihren Gatten und Hausgenossen lästig werde. Sie setzen den Genuß der Liebe allein in dem Gefühle, andern viel werth zu seyn, und das Bedürfniß darnach ist so stark bey ihnen, daß sie alle andern Ansprüche ihrer Selbstheit aufopfern, um diesen einzigen zu befriedigen. Sie sind äußerst gefällig, sanft aufmerksam auf alles, was verbinden kann; aber – sie müssen verzogen werden. Oft ziehen sie gar den Zustand einer unglücklichen und unruhigen Liebe dem einer glücklichen und heitern vor. Jene spannt sie, weckt ihre Lebensgeister, erhebt sie vor ihren eigenen Augen, und gewährt ihnen den Reitz, den Verbündeten über sich weinen zu sehen, und sich dann mit ihm zu versöhnen! Diese Beyspiele mögen hinreichen, die Schlupfwinkel der Selbstheit aufzudecken. Ich setze noch hinzu, was bereits aus meinen Vordersätzen fließt: daß ein Band, welches bloß oder größten Theils auf Achtung, Mitleiden, Dankbarkeit, ja, selbst auf Angewöhnung beruht, noch keine liebende oder gar zärtliche Anhänglichkeit genannt zu werden verdiene. Die beschauende, eigennützige Schätzung und Verehrung ist allerdings ein Ingredienz jeder zärtlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0314" n="314"/> Genug, daß sie nicht mehr davon reden hören!</p> <p>Giebt es aber nicht wieder andere Menschen, die sich gern unglücklich, krank, traurig fühlen? Allerdings! und zwar theils um gern gehabt, geliebkoset, verzärtelt, gehegt und gepflegt zu werden, theils aber auch um der bloßen üppigen Spannung willen, womit sie die Vorstellung ihres ausgezeichneten Leidens erfüllt. Solche Menschen denken nicht daran, daß der kränkelnde, winselnde Zustand, in dem sie sich befinden, ihren Gatten und Hausgenossen lästig werde. Sie setzen den Genuß der Liebe allein in dem Gefühle, andern viel werth zu seyn, und das Bedürfniß darnach ist so stark bey ihnen, daß sie alle andern Ansprüche ihrer Selbstheit aufopfern, um diesen einzigen zu befriedigen. Sie sind äußerst gefällig, sanft aufmerksam auf alles, was verbinden kann; aber – sie müssen verzogen werden. Oft ziehen sie gar den Zustand einer unglücklichen und unruhigen Liebe dem einer glücklichen und heitern vor. Jene spannt sie, weckt ihre Lebensgeister, erhebt sie vor ihren eigenen Augen, und gewährt ihnen den Reitz, den Verbündeten über sich weinen zu sehen, und sich dann mit ihm zu versöhnen!</p> <p>Diese Beyspiele mögen hinreichen, die Schlupfwinkel der Selbstheit aufzudecken. Ich setze noch hinzu, was bereits aus meinen Vordersätzen fließt: daß ein Band, welches bloß oder größten Theils auf Achtung, Mitleiden, Dankbarkeit, ja, selbst auf Angewöhnung beruht, noch keine liebende oder gar zärtliche Anhänglichkeit genannt zu werden verdiene.</p> <p>Die beschauende, eigennützige Schätzung und Verehrung ist allerdings ein Ingredienz jeder zärtlichen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [314/0314]
Genug, daß sie nicht mehr davon reden hören!
Giebt es aber nicht wieder andere Menschen, die sich gern unglücklich, krank, traurig fühlen? Allerdings! und zwar theils um gern gehabt, geliebkoset, verzärtelt, gehegt und gepflegt zu werden, theils aber auch um der bloßen üppigen Spannung willen, womit sie die Vorstellung ihres ausgezeichneten Leidens erfüllt. Solche Menschen denken nicht daran, daß der kränkelnde, winselnde Zustand, in dem sie sich befinden, ihren Gatten und Hausgenossen lästig werde. Sie setzen den Genuß der Liebe allein in dem Gefühle, andern viel werth zu seyn, und das Bedürfniß darnach ist so stark bey ihnen, daß sie alle andern Ansprüche ihrer Selbstheit aufopfern, um diesen einzigen zu befriedigen. Sie sind äußerst gefällig, sanft aufmerksam auf alles, was verbinden kann; aber – sie müssen verzogen werden. Oft ziehen sie gar den Zustand einer unglücklichen und unruhigen Liebe dem einer glücklichen und heitern vor. Jene spannt sie, weckt ihre Lebensgeister, erhebt sie vor ihren eigenen Augen, und gewährt ihnen den Reitz, den Verbündeten über sich weinen zu sehen, und sich dann mit ihm zu versöhnen!
Diese Beyspiele mögen hinreichen, die Schlupfwinkel der Selbstheit aufzudecken. Ich setze noch hinzu, was bereits aus meinen Vordersätzen fließt: daß ein Band, welches bloß oder größten Theils auf Achtung, Mitleiden, Dankbarkeit, ja, selbst auf Angewöhnung beruht, noch keine liebende oder gar zärtliche Anhänglichkeit genannt zu werden verdiene.
Die beschauende, eigennützige Schätzung und Verehrung ist allerdings ein Ingredienz jeder zärtlichen
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