Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Mensch mit der Zeit sich selbst glücklich fühlen solle. Nie wird es mit der Liebe übereinstimmen, wenn wir ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch in einiger Zeit das ihm bereitete Glück zu fühlen im Stande seyn werde oder nicht, ihn nach unsern Begriffen beseligen, und nach den seinigen quälen wollen. Wir müssen bey einem anscheinend übelwollenden Betragen sichere Rechnung darauf machen können, daß er, so wie wir ihn für eine selbstständige Person erkennen, die Folgen unserer gegenwärtigen Härte bald wohlthätig für sich selbst empfinden werde. Wer sein Kind für Unarten straft, kann darauf rechnen, daß es ihm als erwachsener Mensch dafür danken werde, und diese harte Behandlung, wenn sie gleich an sich nicht die Form einer einzelnen liebenden Aufwallung ist, gehört doch zur liebenden Anhänglichkeit. Wer aber sein Kind verstümmelt, um es vor Versuchungen des Lasters zu bewahren, kann auf seinen Dank, als Mensch, nicht rechnen. Wer ein Volk durch Aberglauben und Abgaben niederdrückt, um es vor den Gefahren einer falschen Aufklärung, oder eines übertriebenen Luxus zu bewahren, liebt es eben so wenig, als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Sinnlichkeit und Rohheit der Menschen diese nach Gesetzen regiert wissen will, die nur im Reiche vollkommener Geister gelten können. In diesen und ähnlichen Fällen liebt man nicht die selbstständigen Personen, sondern man begehrt nur den Begriff vom höchsten Gut in Anwendung gebracht zu sehen. Vielleicht fällt die Inculpation des Unrechts bey einer solchen Verfahrungsweise weg: aber für liebend kann sie nicht gehalten werden.

Mensch mit der Zeit sich selbst glücklich fühlen solle. Nie wird es mit der Liebe übereinstimmen, wenn wir ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch in einiger Zeit das ihm bereitete Glück zu fühlen im Stande seyn werde oder nicht, ihn nach unsern Begriffen beseligen, und nach den seinigen quälen wollen. Wir müssen bey einem anscheinend übelwollenden Betragen sichere Rechnung darauf machen können, daß er, so wie wir ihn für eine selbstständige Person erkennen, die Folgen unserer gegenwärtigen Härte bald wohlthätig für sich selbst empfinden werde. Wer sein Kind für Unarten straft, kann darauf rechnen, daß es ihm als erwachsener Mensch dafür danken werde, und diese harte Behandlung, wenn sie gleich an sich nicht die Form einer einzelnen liebenden Aufwallung ist, gehört doch zur liebenden Anhänglichkeit. Wer aber sein Kind verstümmelt, um es vor Versuchungen des Lasters zu bewahren, kann auf seinen Dank, als Mensch, nicht rechnen. Wer ein Volk durch Aberglauben und Abgaben niederdrückt, um es vor den Gefahren einer falschen Aufklärung, oder eines übertriebenen Luxus zu bewahren, liebt es eben so wenig, als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Sinnlichkeit und Rohheit der Menschen diese nach Gesetzen regiert wissen will, die nur im Reiche vollkommener Geister gelten können. In diesen und ähnlichen Fällen liebt man nicht die selbstständigen Personen, sondern man begehrt nur den Begriff vom höchsten Gut in Anwendung gebracht zu sehen. Vielleicht fällt die Inculpation des Unrechts bey einer solchen Verfahrungsweise weg: aber für liebend kann sie nicht gehalten werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0308" n="308"/>
Mensch mit der Zeit sich selbst glücklich fühlen solle. Nie wird es mit der Liebe übereinstimmen, wenn wir ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch in einiger Zeit das ihm bereitete Glück zu fühlen im Stande seyn werde oder nicht, ihn nach unsern Begriffen beseligen, und nach den seinigen quälen wollen. Wir müssen bey einem anscheinend übelwollenden Betragen sichere Rechnung darauf machen können, daß er, so wie wir ihn für eine selbstständige Person erkennen, die Folgen unserer gegenwärtigen Härte bald wohlthätig für sich selbst empfinden werde. Wer sein Kind für Unarten straft, kann darauf rechnen, daß es ihm als erwachsener Mensch dafür danken werde, und diese harte Behandlung, wenn sie gleich an sich nicht die Form einer einzelnen liebenden Aufwallung ist, gehört doch zur liebenden Anhänglichkeit. Wer aber sein Kind verstümmelt, um es vor Versuchungen des Lasters zu bewahren, kann auf seinen Dank, als Mensch, nicht rechnen. Wer ein Volk durch Aberglauben und Abgaben niederdrückt, um es vor den Gefahren einer falschen Aufklärung, oder eines übertriebenen Luxus zu bewahren, liebt es eben so wenig, als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Sinnlichkeit und Rohheit der Menschen diese nach Gesetzen regiert wissen will, die nur im Reiche vollkommener Geister gelten können. In diesen und ähnlichen Fällen liebt man nicht die selbstständigen Personen, sondern man begehrt nur den Begriff vom höchsten Gut in Anwendung gebracht zu sehen. Vielleicht fällt die Inculpation des Unrechts bey einer solchen Verfahrungsweise weg: aber für liebend kann sie nicht gehalten werden.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0308] Mensch mit der Zeit sich selbst glücklich fühlen solle. Nie wird es mit der Liebe übereinstimmen, wenn wir ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch in einiger Zeit das ihm bereitete Glück zu fühlen im Stande seyn werde oder nicht, ihn nach unsern Begriffen beseligen, und nach den seinigen quälen wollen. Wir müssen bey einem anscheinend übelwollenden Betragen sichere Rechnung darauf machen können, daß er, so wie wir ihn für eine selbstständige Person erkennen, die Folgen unserer gegenwärtigen Härte bald wohlthätig für sich selbst empfinden werde. Wer sein Kind für Unarten straft, kann darauf rechnen, daß es ihm als erwachsener Mensch dafür danken werde, und diese harte Behandlung, wenn sie gleich an sich nicht die Form einer einzelnen liebenden Aufwallung ist, gehört doch zur liebenden Anhänglichkeit. Wer aber sein Kind verstümmelt, um es vor Versuchungen des Lasters zu bewahren, kann auf seinen Dank, als Mensch, nicht rechnen. Wer ein Volk durch Aberglauben und Abgaben niederdrückt, um es vor den Gefahren einer falschen Aufklärung, oder eines übertriebenen Luxus zu bewahren, liebt es eben so wenig, als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Sinnlichkeit und Rohheit der Menschen diese nach Gesetzen regiert wissen will, die nur im Reiche vollkommener Geister gelten können. In diesen und ähnlichen Fällen liebt man nicht die selbstständigen Personen, sondern man begehrt nur den Begriff vom höchsten Gut in Anwendung gebracht zu sehen. Vielleicht fällt die Inculpation des Unrechts bey einer solchen Verfahrungsweise weg: aber für liebend kann sie nicht gehalten werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/308
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/308>, abgerufen am 09.11.2024.