Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

gehalten hat, glaubt eine Weile nachher noch die Pressung zu empfinden. Den Antheil den die Phantasie daran hat, will ich hier nicht bestreiten. Inzwischen ist es gewiß, daß die bloße Afficierung der Nerven gleichfalls den Betrug unserer Sinne bewirken könne. So erscheint in unsern Augen der Schein des Lichts, wenn unsere Zunge durch Belegung mit gewissen elektrischen Körpern gereitzt wird, oder wenn ein unmittelbarer Druck auf unser Gehirn erfolgt. Mithin wird an der Figierung sinnlicher Eindrücke wahrscheinlich der Körper eben so viel Antheil haben als die Phantasie.

Die Figierung unserer Ideen, so daß ein gewisses Bild auch ohne besondere Veranlassung häufig und anhaltend in unserm Geiste aufsteigt, und mit Lebhaftigkeit auf den Verstand und das Herz wirkt, ist die bekannteste aller Erfahrungen. Daß aber auch gewisse Reitzungen unsers Herzens bey uns figiert werden mögen, häufig als Rührungen wiederkommen, und diejenigen Vorstellungen und Bilder, mit denen wir sie zuerst gehabt haben, jedesmahl wieder erwecken, dürfte eher bezweifelt werden. Es ist inzwischen nichts gewisser. Wir fühlen uns oft traurig, mißvergnügt, oder heiter, fröhlich; und mit dem Tone unserer Reitzbarkeit, welcher uns gewöhnlich geworden ist, steigen die Bilder, welche diesen Zustand oft oder stark erweckt haben, wieder in uns auf. Der Hypochondrist giebt davon den unläugbarsten Beweis. Sein Physisches wirkt auf die Reitzbarkeit seiner Seele; er ist gewöhnlich zur Traurigkeit gestimmt, und diese macht, daß er diejenigen Vorstellungen nicht los werden kann, welche er zufällig während der körperlichen Schmerzen gehabt hat, und sehr oft mit seiner Traurigkeit in keiner weitern Beziehung stehen. Oft

gehalten hat, glaubt eine Weile nachher noch die Pressung zu empfinden. Den Antheil den die Phantasie daran hat, will ich hier nicht bestreiten. Inzwischen ist es gewiß, daß die bloße Afficierung der Nerven gleichfalls den Betrug unserer Sinne bewirken könne. So erscheint in unsern Augen der Schein des Lichts, wenn unsere Zunge durch Belegung mit gewissen elektrischen Körpern gereitzt wird, oder wenn ein unmittelbarer Druck auf unser Gehirn erfolgt. Mithin wird an der Figierung sinnlicher Eindrücke wahrscheinlich der Körper eben so viel Antheil haben als die Phantasie.

Die Figierung unserer Ideen, so daß ein gewisses Bild auch ohne besondere Veranlassung häufig und anhaltend in unserm Geiste aufsteigt, und mit Lebhaftigkeit auf den Verstand und das Herz wirkt, ist die bekannteste aller Erfahrungen. Daß aber auch gewisse Reitzungen unsers Herzens bey uns figiert werden mögen, häufig als Rührungen wiederkommen, und diejenigen Vorstellungen und Bilder, mit denen wir sie zuerst gehabt haben, jedesmahl wieder erwecken, dürfte eher bezweifelt werden. Es ist inzwischen nichts gewisser. Wir fühlen uns oft traurig, mißvergnügt, oder heiter, fröhlich; und mit dem Tone unserer Reitzbarkeit, welcher uns gewöhnlich geworden ist, steigen die Bilder, welche diesen Zustand oft oder stark erweckt haben, wieder in uns auf. Der Hypochondrist giebt davon den unläugbarsten Beweis. Sein Physisches wirkt auf die Reitzbarkeit seiner Seele; er ist gewöhnlich zur Traurigkeit gestimmt, und diese macht, daß er diejenigen Vorstellungen nicht los werden kann, welche er zufällig während der körperlichen Schmerzen gehabt hat, und sehr oft mit seiner Traurigkeit in keiner weitern Beziehung stehen. Oft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0264" n="264"/>
gehalten hat, glaubt eine Weile nachher noch die Pressung zu empfinden. Den Antheil den die Phantasie daran hat, will ich hier nicht bestreiten. Inzwischen ist es gewiß, daß die bloße Afficierung der Nerven gleichfalls den Betrug unserer Sinne bewirken könne. So erscheint in unsern Augen der Schein des Lichts, wenn unsere Zunge durch Belegung mit gewissen elektrischen Körpern gereitzt wird, oder wenn ein unmittelbarer Druck auf unser Gehirn erfolgt. Mithin wird an der Figierung sinnlicher Eindrücke wahrscheinlich der Körper eben so viel Antheil haben als die Phantasie.</p>
            <p>Die Figierung unserer Ideen, so daß ein gewisses Bild auch ohne besondere Veranlassung häufig und anhaltend in unserm Geiste aufsteigt, und mit Lebhaftigkeit auf den Verstand und das Herz wirkt, ist die bekannteste aller Erfahrungen. Daß aber auch gewisse Reitzungen unsers Herzens bey uns figiert werden mögen, häufig als Rührungen wiederkommen, und diejenigen Vorstellungen und Bilder, mit denen wir sie zuerst gehabt haben, jedesmahl wieder erwecken, dürfte eher bezweifelt werden. Es ist inzwischen nichts gewisser. Wir fühlen uns oft traurig, mißvergnügt, oder heiter, fröhlich; und mit dem Tone unserer Reitzbarkeit, welcher uns gewöhnlich geworden ist, steigen die Bilder, welche diesen Zustand oft oder stark erweckt haben, wieder in uns auf. Der Hypochondrist giebt davon den unläugbarsten Beweis. Sein Physisches wirkt auf die Reitzbarkeit seiner Seele; er ist gewöhnlich zur Traurigkeit gestimmt, und diese macht, daß er diejenigen Vorstellungen nicht los werden kann, welche er zufällig während der körperlichen Schmerzen gehabt hat, und sehr oft mit seiner Traurigkeit in keiner weitern Beziehung stehen. Oft
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0264] gehalten hat, glaubt eine Weile nachher noch die Pressung zu empfinden. Den Antheil den die Phantasie daran hat, will ich hier nicht bestreiten. Inzwischen ist es gewiß, daß die bloße Afficierung der Nerven gleichfalls den Betrug unserer Sinne bewirken könne. So erscheint in unsern Augen der Schein des Lichts, wenn unsere Zunge durch Belegung mit gewissen elektrischen Körpern gereitzt wird, oder wenn ein unmittelbarer Druck auf unser Gehirn erfolgt. Mithin wird an der Figierung sinnlicher Eindrücke wahrscheinlich der Körper eben so viel Antheil haben als die Phantasie. Die Figierung unserer Ideen, so daß ein gewisses Bild auch ohne besondere Veranlassung häufig und anhaltend in unserm Geiste aufsteigt, und mit Lebhaftigkeit auf den Verstand und das Herz wirkt, ist die bekannteste aller Erfahrungen. Daß aber auch gewisse Reitzungen unsers Herzens bey uns figiert werden mögen, häufig als Rührungen wiederkommen, und diejenigen Vorstellungen und Bilder, mit denen wir sie zuerst gehabt haben, jedesmahl wieder erwecken, dürfte eher bezweifelt werden. Es ist inzwischen nichts gewisser. Wir fühlen uns oft traurig, mißvergnügt, oder heiter, fröhlich; und mit dem Tone unserer Reitzbarkeit, welcher uns gewöhnlich geworden ist, steigen die Bilder, welche diesen Zustand oft oder stark erweckt haben, wieder in uns auf. Der Hypochondrist giebt davon den unläugbarsten Beweis. Sein Physisches wirkt auf die Reitzbarkeit seiner Seele; er ist gewöhnlich zur Traurigkeit gestimmt, und diese macht, daß er diejenigen Vorstellungen nicht los werden kann, welche er zufällig während der körperlichen Schmerzen gehabt hat, und sehr oft mit seiner Traurigkeit in keiner weitern Beziehung stehen. Oft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/264
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/264>, abgerufen am 22.11.2024.