Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

eher als die Ueberzeugung zu verlieren, an der allein der Werth unserer Fortdauer liegt; getrennt von dem Geliebten keine Wonne, kein Genügen, kein Dulden und kein Daseyn kennen; darum aufsuchen, darum gern genießen jede Freude mit ihm - darum gern entbehren, darum schmacklos finden jede Freude ohne ihn; - sinnen, träumen durch ihn; - weben, leben in ihm; - Ja! dann haben wir ein Herz für Leidenschaft; ja! dann fühlen wir im engsten Sinne Liebe!

Ha l'amore! sagt der Italiener mit der Rührung des Mitleidens. Ha l'amore! der Arme ist krank an Liebe! Mit stolzem Erbarmen sagt der Deutsche: Er ist verliebt; der Thor geht irre durch Liebe! Ach! und wohl ist Leidenschaft der Liebe Krankheit! Krankheit der Seele und des Körpers! Wohl ist sie eine Art von Wahnsinn! Ein fieberhafter Wechsel von Ueberspannung und Ermattung aller Lebensgeister, von finstrer Wuth und extatischer Entzückung! Mit einem Worte: ein Wechsel von Hölle und von Seligkeit! *)

Zweytes Kapitel.

Semiotik, Zeichenlehre der Leidenschaft der Liebe. Erstes Merkmahl. Unbegreiflicher Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen.

Das erste Merkmahl der Leidenschaft der Liebe ist die unerklärbare Vorstellung, die wir uns von der Person des geliebten Wesens machen; der unbegreifliche Werth,

*) Sehr treffend drückt der Lateiner den Zustand eines Verliebten durch amore deperditus aus.

eher als die Ueberzeugung zu verlieren, an der allein der Werth unserer Fortdauer liegt; getrennt von dem Geliebten keine Wonne, kein Genügen, kein Dulden und kein Daseyn kennen; darum aufsuchen, darum gern genießen jede Freude mit ihm – darum gern entbehren, darum schmacklos finden jede Freude ohne ihn; – sinnen, träumen durch ihn; – weben, leben in ihm; – Ja! dann haben wir ein Herz für Leidenschaft; ja! dann fühlen wir im engsten Sinne Liebe!

Ha l’amore! sagt der Italiener mit der Rührung des Mitleidens. Ha l’amore! der Arme ist krank an Liebe! Mit stolzem Erbarmen sagt der Deutsche: Er ist verliebt; der Thor geht irre durch Liebe! Ach! und wohl ist Leidenschaft der Liebe Krankheit! Krankheit der Seele und des Körpers! Wohl ist sie eine Art von Wahnsinn! Ein fieberhafter Wechsel von Ueberspannung und Ermattung aller Lebensgeister, von finstrer Wuth und extatischer Entzückung! Mit einem Worte: ein Wechsel von Hölle und von Seligkeit! *)

Zweytes Kapitel.

Semiotik, Zeichenlehre der Leidenschaft der Liebe. Erstes Merkmahl. Unbegreiflicher Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen.

Das erste Merkmahl der Leidenschaft der Liebe ist die unerklärbare Vorstellung, die wir uns von der Person des geliebten Wesens machen; der unbegreifliche Werth,

*) Sehr treffend drückt der Lateiner den Zustand eines Verliebten durch amore deperditus aus.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="242"/>
eher als die Ueberzeugung zu verlieren, an der allein der Werth unserer Fortdauer liegt; getrennt von dem Geliebten keine Wonne, kein Genügen, kein Dulden und kein Daseyn kennen; darum aufsuchen, darum gern genießen jede Freude mit ihm &#x2013; darum gern entbehren, darum schmacklos finden jede Freude ohne ihn; &#x2013; sinnen, träumen durch ihn; &#x2013; weben, leben in ihm; &#x2013; Ja! dann haben wir ein Herz für Leidenschaft; ja! dann fühlen wir im engsten Sinne Liebe!</p>
          <p><hi rendition="#aq">Ha l&#x2019;amore!</hi> sagt der Italiener mit der Rührung des Mitleidens. <hi rendition="#aq">Ha l&#x2019;amore!</hi> der Arme ist krank an Liebe! Mit stolzem Erbarmen sagt der Deutsche: Er ist verliebt; der Thor geht irre durch Liebe! Ach! und wohl ist Leidenschaft der Liebe Krankheit! Krankheit der Seele und des Körpers! Wohl ist sie eine Art von Wahnsinn! Ein fieberhafter Wechsel von Ueberspannung und Ermattung aller Lebensgeister, von finstrer Wuth und extatischer Entzückung! Mit einem Worte: ein Wechsel von Hölle und von Seligkeit! <note place="foot" n="*)">Sehr treffend drückt der Lateiner den Zustand eines Verliebten durch <hi rendition="#aq">amore deperditus</hi> aus.</note></p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Zweytes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Semiotik, Zeichenlehre der Leidenschaft der Liebe. Erstes Merkmahl. Unbegreiflicher Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen.<lb/></p>
          </argument>
          <p>Das erste Merkmahl der Leidenschaft der Liebe ist die unerklärbare Vorstellung, die wir uns von der Person des geliebten Wesens machen; der unbegreifliche Werth,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0242] eher als die Ueberzeugung zu verlieren, an der allein der Werth unserer Fortdauer liegt; getrennt von dem Geliebten keine Wonne, kein Genügen, kein Dulden und kein Daseyn kennen; darum aufsuchen, darum gern genießen jede Freude mit ihm – darum gern entbehren, darum schmacklos finden jede Freude ohne ihn; – sinnen, träumen durch ihn; – weben, leben in ihm; – Ja! dann haben wir ein Herz für Leidenschaft; ja! dann fühlen wir im engsten Sinne Liebe! Ha l’amore! sagt der Italiener mit der Rührung des Mitleidens. Ha l’amore! der Arme ist krank an Liebe! Mit stolzem Erbarmen sagt der Deutsche: Er ist verliebt; der Thor geht irre durch Liebe! Ach! und wohl ist Leidenschaft der Liebe Krankheit! Krankheit der Seele und des Körpers! Wohl ist sie eine Art von Wahnsinn! Ein fieberhafter Wechsel von Ueberspannung und Ermattung aller Lebensgeister, von finstrer Wuth und extatischer Entzückung! Mit einem Worte: ein Wechsel von Hölle und von Seligkeit! *) Zweytes Kapitel. Semiotik, Zeichenlehre der Leidenschaft der Liebe. Erstes Merkmahl. Unbegreiflicher Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen. Das erste Merkmahl der Leidenschaft der Liebe ist die unerklärbare Vorstellung, die wir uns von der Person des geliebten Wesens machen; der unbegreifliche Werth, *) Sehr treffend drückt der Lateiner den Zustand eines Verliebten durch amore deperditus aus.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/242
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/242>, abgerufen am 22.12.2024.