Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.Bienen hingegen bilden bloß einen Staat und Zellen nur für einen; bey ihnen hat ein ganzer Stock nur eine Gattin. Neuntes Kapitel. Von der Lüsternheit der Seele und ihrer Folge der Besessenheit. Ich habe vorhin schon das Streben nach dem Stolz auf den Besitz der Person für eine Lüsternheit der Seele ausgegeben. Ein noch mehr auffallender und merklicher Grad derselben zeigt sich aber in demjenigen Zustande, den ich jetzt darstellen und entwickeln will. Das Streben der Seele, sich den Geist eines andern Wesens ganz anzueignen; die schmelzende und zugleich starrende Lage, in welche alsdann alle Kräfte unsers Gemüths gerathen; die Aehnlichkeit dieses Zustandes mit der Lüsternheit des Körpers, und ihr genauer Zusammenhang unter einander; alles dieß ist aufmerksamen Beobachtern nie entgangen. Die Franzosen haben seit langer Zeit ein doppeltes Temperament des Kopfes und der Sinne angenommen, und das erste in der Eroberungssucht der Herzen, verbunden mit dem Triebe nach dem Außerordentlichen und Neuen, gesetzt. Hemsterhuys und einige andere haben die Aehnlichkeit zwischen dem schwärmerischen Triebe der Seele, sich das Geistige anzueignen, mit der körperlichen Lüsternheit so auffallend gefunden, daß sie sogar einen und denselben Trieb in beyden Fällen als wirksam angenommen haben. Bienen hingegen bilden bloß einen Staat und Zellen nur für einen; bey ihnen hat ein ganzer Stock nur eine Gattin. Neuntes Kapitel. Von der Lüsternheit der Seele und ihrer Folge der Besessenheit. Ich habe vorhin schon das Streben nach dem Stolz auf den Besitz der Person für eine Lüsternheit der Seele ausgegeben. Ein noch mehr auffallender und merklicher Grad derselben zeigt sich aber in demjenigen Zustande, den ich jetzt darstellen und entwickeln will. Das Streben der Seele, sich den Geist eines andern Wesens ganz anzueignen; die schmelzende und zugleich starrende Lage, in welche alsdann alle Kräfte unsers Gemüths gerathen; die Aehnlichkeit dieses Zustandes mit der Lüsternheit des Körpers, und ihr genauer Zusammenhang unter einander; alles dieß ist aufmerksamen Beobachtern nie entgangen. Die Franzosen haben seit langer Zeit ein doppeltes Temperament des Kopfes und der Sinne angenommen, und das erste in der Eroberungssucht der Herzen, verbunden mit dem Triebe nach dem Außerordentlichen und Neuen, gesetzt. Hemsterhuys und einige andere haben die Aehnlichkeit zwischen dem schwärmerischen Triebe der Seele, sich das Geistige anzueignen, mit der körperlichen Lüsternheit so auffallend gefunden, daß sie sogar einen und denselben Trieb in beyden Fällen als wirksam angenommen haben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0186" n="186"/> Bienen hingegen bilden bloß einen Staat und Zellen nur für einen; bey ihnen hat ein ganzer Stock nur eine Gattin.</p> </div> </div> <div n="2"> <head>Neuntes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Von der Lüsternheit der Seele und ihrer Folge der Besessenheit.<lb/></p> </argument> <p>Ich habe vorhin schon das Streben nach dem Stolz auf den Besitz der Person für eine Lüsternheit der Seele ausgegeben. Ein noch mehr auffallender und merklicher Grad derselben zeigt sich aber in demjenigen Zustande, den ich jetzt darstellen und entwickeln will.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Das Streben der Seele, sich den Geist eines andern Wesens ganz anzueignen; die schmelzende und zugleich starrende Lage, in welche alsdann alle Kräfte unsers Gemüths gerathen; die Aehnlichkeit dieses Zustandes mit der Lüsternheit des Körpers, und ihr genauer Zusammenhang unter einander; alles dieß ist aufmerksamen Beobachtern nie entgangen. Die Franzosen haben seit langer Zeit ein doppeltes Temperament des Kopfes und der Sinne angenommen, und das erste in der Eroberungssucht der Herzen, verbunden mit dem Triebe nach dem Außerordentlichen und Neuen, gesetzt. Hemsterhuys und einige andere haben die Aehnlichkeit zwischen dem schwärmerischen Triebe der Seele, sich das Geistige anzueignen, mit der körperlichen Lüsternheit so auffallend gefunden, daß sie sogar einen und denselben Trieb in beyden Fällen als wirksam angenommen haben.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0186]
Bienen hingegen bilden bloß einen Staat und Zellen nur für einen; bey ihnen hat ein ganzer Stock nur eine Gattin.
Neuntes Kapitel.
Von der Lüsternheit der Seele und ihrer Folge der Besessenheit.
Ich habe vorhin schon das Streben nach dem Stolz auf den Besitz der Person für eine Lüsternheit der Seele ausgegeben. Ein noch mehr auffallender und merklicher Grad derselben zeigt sich aber in demjenigen Zustande, den ich jetzt darstellen und entwickeln will.
Das Streben der Seele, sich den Geist eines andern Wesens ganz anzueignen; die schmelzende und zugleich starrende Lage, in welche alsdann alle Kräfte unsers Gemüths gerathen; die Aehnlichkeit dieses Zustandes mit der Lüsternheit des Körpers, und ihr genauer Zusammenhang unter einander; alles dieß ist aufmerksamen Beobachtern nie entgangen. Die Franzosen haben seit langer Zeit ein doppeltes Temperament des Kopfes und der Sinne angenommen, und das erste in der Eroberungssucht der Herzen, verbunden mit dem Triebe nach dem Außerordentlichen und Neuen, gesetzt. Hemsterhuys und einige andere haben die Aehnlichkeit zwischen dem schwärmerischen Triebe der Seele, sich das Geistige anzueignen, mit der körperlichen Lüsternheit so auffallend gefunden, daß sie sogar einen und denselben Trieb in beyden Fällen als wirksam angenommen haben.
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/186>, abgerufen am 24.02.2025. |