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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

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Denkt an die Emotionen, welche Bilder unserer Abhängigkeit von Gott, Welt, Menschheit, Schicksal, Staat, Pflicht und Bedürfniß hervorbringen; denkt an diejenigen, welche Freyheit und Ruhe in euch erwecken, um Beyspiele spannender und zärtelnder Gefühle zu finden.

Beyde Reitzungsarten können wonnevoll für uns seyn; aber sie sind es nicht unbedingt. Mancher Gegenstand, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, kann uns durch zu starke Spannung widrig reitzen, mancher andere durch übertriebene Zärtelung.

Oft liegt es an der ganzen Einrichtung unsers Gemüths, wenn ein gewisser Grad von Spannung oder Zärtelung uns widrig afficiert. Es giebt Menschen, die von jeder Sterbescene in einem Trauerspiele auf eine unangenehme Art erschüttert werden; es giebt andere, die den Anblick schauderhafter Hinrichtungen auf Richtplätzen aufsuchen, um in eine wonnevolle Spannung zu gerathen. Manche finden die Darstellung des

daß mein Geist noch ungeschwächt und heiter ist, wenn gleich mein Gemüth viele seiner Kräfte verloren hat, durch unangenehme Vorstellungen verfinstert wird, Krankheit meine Lebenskraft erschlafft, Blindheit und Taubheit die Sensibilität der wichtigsten Organe zerstört, und das Alter meine Bildungskraft gehemmt hat. Ich bin mir bewußt, daß mein Geist bey der Betrachtung dessen, was mein Gemüth und mein Körper waren und wieder werden können, sich erhebt, sich froh fühlt, u. s. w. Man dürfte vielleicht sagen: der Geist sey das innerste Wesen im Gemüthe und verhalte sich zu diesem in der Seele, wie die Lebenskraft zur Sensibilität im Körper. Ich bitte aber nicht zu vergessen, daß ich diese Dinge bloß so darstelle, wie sie sich im Bewußtseyn gegen einander zu verhalten scheinen.

Denkt an die Emotionen, welche Bilder unserer Abhängigkeit von Gott, Welt, Menschheit, Schicksal, Staat, Pflicht und Bedürfniß hervorbringen; denkt an diejenigen, welche Freyheit und Ruhe in euch erwecken, um Beyspiele spannender und zärtelnder Gefühle zu finden.

Beyde Reitzungsarten können wonnevoll für uns seyn; aber sie sind es nicht unbedingt. Mancher Gegenstand, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, kann uns durch zu starke Spannung widrig reitzen, mancher andere durch übertriebene Zärtelung.

Oft liegt es an der ganzen Einrichtung unsers Gemüths, wenn ein gewisser Grad von Spannung oder Zärtelung uns widrig afficiert. Es giebt Menschen, die von jeder Sterbescene in einem Trauerspiele auf eine unangenehme Art erschüttert werden; es giebt andere, die den Anblick schauderhafter Hinrichtungen auf Richtplätzen aufsuchen, um in eine wonnevolle Spannung zu gerathen. Manche finden die Darstellung des

daß mein Geist noch ungeschwächt und heiter ist, wenn gleich mein Gemüth viele seiner Kräfte verloren hat, durch unangenehme Vorstellungen verfinstert wird, Krankheit meine Lebenskraft erschlafft, Blindheit und Taubheit die Sensibilität der wichtigsten Organe zerstört, und das Alter meine Bildungskraft gehemmt hat. Ich bin mir bewußt, daß mein Geist bey der Betrachtung dessen, was mein Gemüth und mein Körper waren und wieder werden können, sich erhebt, sich froh fühlt, u. s. w. Man dürfte vielleicht sagen: der Geist sey das innerste Wesen im Gemüthe und verhalte sich zu diesem in der Seele, wie die Lebenskraft zur Sensibilität im Körper. Ich bitte aber nicht zu vergessen, daß ich diese Dinge bloß so darstelle, wie sie sich im Bewußtseyn gegen einander zu verhalten scheinen.
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[160/0160] Denkt an die Emotionen, welche Bilder unserer Abhängigkeit von Gott, Welt, Menschheit, Schicksal, Staat, Pflicht und Bedürfniß hervorbringen; denkt an diejenigen, welche Freyheit und Ruhe in euch erwecken, um Beyspiele spannender und zärtelnder Gefühle zu finden. Beyde Reitzungsarten können wonnevoll für uns seyn; aber sie sind es nicht unbedingt. Mancher Gegenstand, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, kann uns durch zu starke Spannung widrig reitzen, mancher andere durch übertriebene Zärtelung. Oft liegt es an der ganzen Einrichtung unsers Gemüths, wenn ein gewisser Grad von Spannung oder Zärtelung uns widrig afficiert. Es giebt Menschen, die von jeder Sterbescene in einem Trauerspiele auf eine unangenehme Art erschüttert werden; es giebt andere, die den Anblick schauderhafter Hinrichtungen auf Richtplätzen aufsuchen, um in eine wonnevolle Spannung zu gerathen. Manche finden die Darstellung des *) *) daß mein Geist noch ungeschwächt und heiter ist, wenn gleich mein Gemüth viele seiner Kräfte verloren hat, durch unangenehme Vorstellungen verfinstert wird, Krankheit meine Lebenskraft erschlafft, Blindheit und Taubheit die Sensibilität der wichtigsten Organe zerstört, und das Alter meine Bildungskraft gehemmt hat. Ich bin mir bewußt, daß mein Geist bey der Betrachtung dessen, was mein Gemüth und mein Körper waren und wieder werden können, sich erhebt, sich froh fühlt, u. s. w. Man dürfte vielleicht sagen: der Geist sey das innerste Wesen im Gemüthe und verhalte sich zu diesem in der Seele, wie die Lebenskraft zur Sensibilität im Körper. Ich bitte aber nicht zu vergessen, daß ich diese Dinge bloß so darstelle, wie sie sich im Bewußtseyn gegen einander zu verhalten scheinen.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/160>, abgerufen am 27.11.2024.