Mahlerei des Vorzugs, durch sich selbst verständlich und schön zu seyn, ohne Noth zu berauben.
Wie wenig ohne diese wesentlicheren Vorzüge der Künste, der Vorzug eines lebhafteren Eindrucks ge- schehener Begebenheiten erreicht werde, kann man daraus abnehmen, daß die Deutung schlechter Mo- numente, die bloß überliefern, in kurzer Zeit ver- gessen wird, weil sich Niemand die Mühe giebt, sie aufzubewahren.
Nach eben diesen Grundsätzen mag nun auch dieVon der hi- storischen Treue bei Bekleidung der Bildsäu- len, als öf- fentliche Denkmäler. Frage beantwortet werden, ob man bei den öffent- lichen Monumenten die großen Männern gesetzt wer- den, die wahre Form der Gewänder u. s. w. die sie in ihrem Leben getragen haben, beibehalten solle? Ist das Costume dem Eindruck des Schönen zu- träglich; warum nicht? Ist sie es nicht; keines- weges.
Gegen einen Beschauer der in dem Manne mit Stiefeln von gebranntem Leder den Comte de Saxe, und in dem mit der Allongenperücke den Präsident de Montesquieu leichter wieder erkennt, giebt es hundert, deren Verständigung durch Beibe- haltung dieser, der Schönheit der Formen so ungün- stigen Tracht nicht um ein Haar erleichtert wird, denen man dem ohngeachtet sagen muß: dies war Moritz, dies war Montesquieu.
Ein Kunstwerk ist kein Garde-meuble: der große Mann verliert durch die Veränderung der Tracht nichts von seiner Individualität: und die Künste leiden ohnehin genung dadurch, daß sie gegen die Wahrheit der individuellen, größtentheils unvoll-
komme-
B 4
Pallaſt Giuſtiniani.
Mahlerei des Vorzugs, durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich und ſchoͤn zu ſeyn, ohne Noth zu berauben.
Wie wenig ohne dieſe weſentlicheren Vorzuͤge der Kuͤnſte, der Vorzug eines lebhafteren Eindrucks ge- ſchehener Begebenheiten erreicht werde, kann man daraus abnehmen, daß die Deutung ſchlechter Mo- numente, die bloß uͤberliefern, in kurzer Zeit ver- geſſen wird, weil ſich Niemand die Muͤhe giebt, ſie aufzubewahren.
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen mag nun auch dieVon der hi- ſtoriſchen Treue bei Bekleidung der Bildſaͤu- len, als oͤf- fentliche Denkmaͤler. Frage beantwortet werden, ob man bei den oͤffent- lichen Monumenten die großen Maͤnnern geſetzt wer- den, die wahre Form der Gewaͤnder u. ſ. w. die ſie in ihrem Leben getragen haben, beibehalten ſolle? Iſt das Coſtume dem Eindruck des Schoͤnen zu- traͤglich; warum nicht? Iſt ſie es nicht; keines- weges.
Gegen einen Beſchauer der in dem Manne mit Stiefeln von gebranntem Leder den Comte de Saxe, und in dem mit der Allongenperuͤcke den Praͤſident de Montesquieu leichter wieder erkennt, giebt es hundert, deren Verſtaͤndigung durch Beibe- haltung dieſer, der Schoͤnheit der Formen ſo unguͤn- ſtigen Tracht nicht um ein Haar erleichtert wird, denen man dem ohngeachtet ſagen muß: dies war Moritz, dies war Monteſquieu.
Ein Kunſtwerk iſt kein Garde-meuble: der große Mann verliert durch die Veraͤnderung der Tracht nichts von ſeiner Individualitaͤt: und die Kuͤnſte leiden ohnehin genung dadurch, daß ſie gegen die Wahrheit der individuellen, groͤßtentheils unvoll-
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Pallaſt Giuſtiniani.
Mahlerei des Vorzugs, durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich
und ſchoͤn zu ſeyn, ohne Noth zu berauben.
Wie wenig ohne dieſe weſentlicheren Vorzuͤge der
Kuͤnſte, der Vorzug eines lebhafteren Eindrucks ge-
ſchehener Begebenheiten erreicht werde, kann man
daraus abnehmen, daß die Deutung ſchlechter Mo-
numente, die bloß uͤberliefern, in kurzer Zeit ver-
geſſen wird, weil ſich Niemand die Muͤhe giebt, ſie
aufzubewahren.
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen mag nun auch die
Frage beantwortet werden, ob man bei den oͤffent-
lichen Monumenten die großen Maͤnnern geſetzt wer-
den, die wahre Form der Gewaͤnder u. ſ. w. die ſie
in ihrem Leben getragen haben, beibehalten ſolle?
Iſt das Coſtume dem Eindruck des Schoͤnen zu-
traͤglich; warum nicht? Iſt ſie es nicht; keines-
weges.
Von der hi-
ſtoriſchen
Treue bei
Bekleidung
der Bildſaͤu-
len, als oͤf-
fentliche
Denkmaͤler.
Gegen einen Beſchauer der in dem Manne mit
Stiefeln von gebranntem Leder den Comte de
Saxe, und in dem mit der Allongenperuͤcke den
Praͤſident de Montesquieu leichter wieder erkennt,
giebt es hundert, deren Verſtaͤndigung durch Beibe-
haltung dieſer, der Schoͤnheit der Formen ſo unguͤn-
ſtigen Tracht nicht um ein Haar erleichtert wird,
denen man dem ohngeachtet ſagen muß: dies war
Moritz, dies war Monteſquieu.
Ein Kunſtwerk iſt kein Garde-meuble: der
große Mann verliert durch die Veraͤnderung der
Tracht nichts von ſeiner Individualitaͤt: und die
Kuͤnſte leiden ohnehin genung dadurch, daß ſie gegen
die Wahrheit der individuellen, groͤßtentheils unvoll-
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/47>, abgerufen am 16.07.2024.
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