reißt den Mund auf und verdreht die Augen. Ihre Finger sind wie Spindeln gestaltet. Die Gewänder von schlechtem Geschmack. Bernini, der immer in der Sculptur mahlen wollte, hat wenigstens den Vor- theil daraus gezogen, daß er seine Statue vortrefflich zu stellen wußte. Die unsrige steht in einem vortheil- haften Lichte.
Das Bild der heil. Maria, welche der heil. Anna das Kind Jesus übergiebt, von Baciccio, hat viel von der Manier des Pietro da Cortona; aber es ist incorrekter gezeichnet, und nicht so leicht behandelt.
Pieta von Annibale Carraccio.
+ Die Mutter Gottes bei dem Leichnam Christi, von Annibale Carraccio. Winkel- mann führt aus diesem Gemählde die Figur Christi, als Muster einer edlen, dem Begriff des Gottmen- schen angemessenen Gestalt an. 32)
Die Anordnung dieses Bildes ist sehr gut. Der Leichnam Christi ruhet nur auf halben Leib an den Knien der Madonna, welches mir viel natürli- cher scheinet, als sie mit dem ganzen Gewicht eines todten Körpers erdrücken zu lassen. Auf der einen Seite steht die heil. Magdalena, und auf der andern der heil. Franciscus. Zwei Engel zeigen die Wun- den des Heilands. Man sieht, daß unsere Composi- tion ganz verschieden von den Wiederholungen dieses Süjets zu Capo di Monte und im Pallast Doria ist.
Der Ausdruck in den Köpfen ist sehr wahr und sehr edel. Dasselbe kann man von den Stellungen überhaupt sagen, und von der der heil. Magdalena noch besonders, daß sie reizend ist.
Die
32) G. d. K. S. 297.
Anmerkungen
reißt den Mund auf und verdreht die Augen. Ihre Finger ſind wie Spindeln geſtaltet. Die Gewaͤnder von ſchlechtem Geſchmack. Bernini, der immer in der Sculptur mahlen wollte, hat wenigſtens den Vor- theil daraus gezogen, daß er ſeine Statue vortrefflich zu ſtellen wußte. Die unſrige ſteht in einem vortheil- haften Lichte.
Das Bild der heil. Maria, welche der heil. Anna das Kind Jeſus uͤbergiebt, von Baciccio, hat viel von der Manier des Pietro da Cortona; aber es iſt incorrekter gezeichnet, und nicht ſo leicht behandelt.
Pietà von Annibale Carraccio.
† Die Mutter Gottes bei dem Leichnam Chriſti, von Annibale Carraccio. Winkel- mann fuͤhrt aus dieſem Gemaͤhlde die Figur Chriſti, als Muſter einer edlen, dem Begriff des Gottmen- ſchen angemeſſenen Geſtalt an. 32)
Die Anordnung dieſes Bildes iſt ſehr gut. Der Leichnam Chriſti ruhet nur auf halben Leib an den Knien der Madonna, welches mir viel natuͤrli- cher ſcheinet, als ſie mit dem ganzen Gewicht eines todten Koͤrpers erdruͤcken zu laſſen. Auf der einen Seite ſteht die heil. Magdalena, und auf der andern der heil. Franciſcus. Zwei Engel zeigen die Wun- den des Heilands. Man ſieht, daß unſere Compoſi- tion ganz verſchieden von den Wiederholungen dieſes Suͤjets zu Capo di Monte und im Pallaſt Doria iſt.
Der Ausdruck in den Koͤpfen iſt ſehr wahr und ſehr edel. Daſſelbe kann man von den Stellungen uͤberhaupt ſagen, und von der der heil. Magdalena noch beſonders, daß ſie reizend iſt.
Die
32) G. d. K. S. 297.
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Anmerkungen
reißt den Mund auf und verdreht die Augen. Ihre
Finger ſind wie Spindeln geſtaltet. Die Gewaͤnder
von ſchlechtem Geſchmack. Bernini, der immer in
der Sculptur mahlen wollte, hat wenigſtens den Vor-
theil daraus gezogen, daß er ſeine Statue vortrefflich
zu ſtellen wußte. Die unſrige ſteht in einem vortheil-
haften Lichte.
Das Bild der heil. Maria, welche der
heil. Anna das Kind Jeſus uͤbergiebt, von
Baciccio, hat viel von der Manier des Pietro da
Cortona; aber es iſt incorrekter gezeichnet, und nicht
ſo leicht behandelt.
† Die Mutter Gottes bei dem Leichnam
Chriſti, von Annibale Carraccio. Winkel-
mann fuͤhrt aus dieſem Gemaͤhlde die Figur Chriſti,
als Muſter einer edlen, dem Begriff des Gottmen-
ſchen angemeſſenen Geſtalt an. 32)
Die Anordnung dieſes Bildes iſt ſehr gut.
Der Leichnam Chriſti ruhet nur auf halben Leib an
den Knien der Madonna, welches mir viel natuͤrli-
cher ſcheinet, als ſie mit dem ganzen Gewicht eines
todten Koͤrpers erdruͤcken zu laſſen. Auf der einen
Seite ſteht die heil. Magdalena, und auf der andern
der heil. Franciſcus. Zwei Engel zeigen die Wun-
den des Heilands. Man ſieht, daß unſere Compoſi-
tion ganz verſchieden von den Wiederholungen dieſes
Suͤjets zu Capo di Monte und im Pallaſt Doria iſt.
Der Ausdruck in den Koͤpfen iſt ſehr wahr und
ſehr edel. Daſſelbe kann man von den Stellungen
uͤberhaupt ſagen, und von der der heil. Magdalena
noch beſonders, daß ſie reizend iſt.
Die
32) G. d. K. S. 297.
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/296>, abgerufen am 16.02.2025.
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