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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Ueber die Kennz. des Kirchenstils

Aus eben dieser lächerlichen Anmaaßung mit
Marmor mahlen zu wollen, sind nun auch die schlaf-
fen Formen entstanden, die Bernini und seine Schü-
ler von den fleischigten Weibern des Rubens für ihre
weiblichen Statuen entlehnt haben. Sie haben ge-
glaubt, wahres Fleisch zu bilden, und haben verges-
sen, daß dieses nicht schlaff, sondern elastisch ist, und
daß die blos convexen Formen gerade den Ueberdruß
verbreiten müßten, den zu vermeiden sie so ängstlich
bemüht waren.

Endlich haben sie gesehen, daß in Gemählden
von größerer Composition Abwechselung in den Stel-
lungen nothwendig wurde, theils der Gruppirung we-
gen, theils auch die Einförmigkeit zu unterbrechen.
Ohne diesen wahren Zweck des Contraposto zu beden-
ken, haben sie ihn nun auf die abentheuerlichste Weise
in ihre einzelnen Figuren übertragen. Wie oft ist
seitdem über die unnatürliche, unerklärbare Drehung
des Körpers, die Idee von zweckmässiger Ordnung
verloren gegangen, ohne welche Schönheit und Wahr-
heit nicht bestehen können!


Erläutern-
des Beispiel
einer Statue
im neueren
Kirchenstile.

So' würden denn die Hauptunterscheidungszei-
chen des Kirchenstils in der Sculptur aus ihren
Grundursachen hergeleitet, und zu gleicher Zeit be-
stimmt seyn. Er hat verschiedene Epochen gehabt,
in denen man sich weniger oder mehr von dem Stile
der Alten entfernt hat. Von den besondern Stilen
der hauptsächlichsten neueren Meister, werde ich bei
Gelegenheit noch weiter reden. Auszeichnungsweise
kann man aber denjenigen Stil, der aus dem Algar-

dischen
Ueber die Kennz. des Kirchenſtils

Aus eben dieſer laͤcherlichen Anmaaßung mit
Marmor mahlen zu wollen, ſind nun auch die ſchlaf-
fen Formen entſtanden, die Bernini und ſeine Schuͤ-
ler von den fleiſchigten Weibern des Rubens fuͤr ihre
weiblichen Statuen entlehnt haben. Sie haben ge-
glaubt, wahres Fleiſch zu bilden, und haben vergeſ-
ſen, daß dieſes nicht ſchlaff, ſondern elaſtiſch iſt, und
daß die blos convexen Formen gerade den Ueberdruß
verbreiten muͤßten, den zu vermeiden ſie ſo aͤngſtlich
bemuͤht waren.

Endlich haben ſie geſehen, daß in Gemaͤhlden
von groͤßerer Compoſition Abwechſelung in den Stel-
lungen nothwendig wurde, theils der Gruppirung we-
gen, theils auch die Einfoͤrmigkeit zu unterbrechen.
Ohne dieſen wahren Zweck des Contrapoſto zu beden-
ken, haben ſie ihn nun auf die abentheuerlichſte Weiſe
in ihre einzelnen Figuren uͤbertragen. Wie oft iſt
ſeitdem uͤber die unnatuͤrliche, unerklaͤrbare Drehung
des Koͤrpers, die Idee von zweckmaͤſſiger Ordnung
verloren gegangen, ohne welche Schoͤnheit und Wahr-
heit nicht beſtehen koͤnnen!


Erlaͤutern-
des Beiſpiel
einer Statue
im neueren
Kirchenſtile.

So’ wuͤrden denn die Hauptunterſcheidungszei-
chen des Kirchenſtils in der Sculptur aus ihren
Grundurſachen hergeleitet, und zu gleicher Zeit be-
ſtimmt ſeyn. Er hat verſchiedene Epochen gehabt,
in denen man ſich weniger oder mehr von dem Stile
der Alten entfernt hat. Von den beſondern Stilen
der hauptſaͤchlichſten neueren Meiſter, werde ich bei
Gelegenheit noch weiter reden. Auszeichnungsweiſe
kann man aber denjenigen Stil, der aus dem Algar-

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[202/0226] Ueber die Kennz. des Kirchenſtils Aus eben dieſer laͤcherlichen Anmaaßung mit Marmor mahlen zu wollen, ſind nun auch die ſchlaf- fen Formen entſtanden, die Bernini und ſeine Schuͤ- ler von den fleiſchigten Weibern des Rubens fuͤr ihre weiblichen Statuen entlehnt haben. Sie haben ge- glaubt, wahres Fleiſch zu bilden, und haben vergeſ- ſen, daß dieſes nicht ſchlaff, ſondern elaſtiſch iſt, und daß die blos convexen Formen gerade den Ueberdruß verbreiten muͤßten, den zu vermeiden ſie ſo aͤngſtlich bemuͤht waren. Endlich haben ſie geſehen, daß in Gemaͤhlden von groͤßerer Compoſition Abwechſelung in den Stel- lungen nothwendig wurde, theils der Gruppirung we- gen, theils auch die Einfoͤrmigkeit zu unterbrechen. Ohne dieſen wahren Zweck des Contrapoſto zu beden- ken, haben ſie ihn nun auf die abentheuerlichſte Weiſe in ihre einzelnen Figuren uͤbertragen. Wie oft iſt ſeitdem uͤber die unnatuͤrliche, unerklaͤrbare Drehung des Koͤrpers, die Idee von zweckmaͤſſiger Ordnung verloren gegangen, ohne welche Schoͤnheit und Wahr- heit nicht beſtehen koͤnnen! So’ wuͤrden denn die Hauptunterſcheidungszei- chen des Kirchenſtils in der Sculptur aus ihren Grundurſachen hergeleitet, und zu gleicher Zeit be- ſtimmt ſeyn. Er hat verſchiedene Epochen gehabt, in denen man ſich weniger oder mehr von dem Stile der Alten entfernt hat. Von den beſondern Stilen der hauptſaͤchlichſten neueren Meiſter, werde ich bei Gelegenheit noch weiter reden. Auszeichnungsweiſe kann man aber denjenigen Stil, der aus dem Algar- diſchen

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/226>, abgerufen am 27.11.2024.