Wir messen, wir rechnen, wir bringen die unge- wissen Formen unserer früheren Versuche in eckigt[ - 1 Zeichen fehlt] Winkel und gerade Linien zurück. So werden wir in dem Alter, -- das mit der Epoche der früheren griechischen Kunst so viel Analogie hat, -- hart, trocken, steif, aber richtig, um einst schön zu seyn. Bei der Entwerfung der Contours sind wir äusserst genau; die Ründung deuten wir nur an, und zwar nicht mit Schraffirungen, als welche für jeden Künst- ler, ausser dem Kupferstecher, ganz unnütz sind, son- dern mit verwischter Kreide. (a maniere estom- pee).
Soll denn der junge Künstler blos zeichnen, nicht mahlen? Allerdings soll er zuweilen daran erinnert werden, warum er zeichnet: alle vier bis sechs Wo- chen soll er einen Kopf mahlen, und zwar nach der Natur, und einen Tizian zur Seite.
Daß ich aber nie vergesse, daß, während der Ver- stand Kenntnisse einsammelt und die Hand sich an Treue gewöhnt, die Blüthe der Einbildungskraft so leicht verloren gehe; und daß wenn es gefährlich wird, den jungen Künstler über das Vergnügen Schö- pfer zu seyn, die Sorge gut zu schaffen vergessen zu lassen, es auf der andern Seite eben so gefährlich werde, die Mittel zur Vollkommenheit mit der Voll- kommenheit selbst zu verwechseln, und ewig Copist zu bleiben.
Früh und häufig muß der Künstler sich üben, das abwesende Bild gegenwärtig und dauernd in sei- ner Seele zu erhalten, früh aus diesen aufbewahrten Bildern neue zusammen setzen lernen. Ich werde dem jungen Künstler rathen, die Figur, die er treu
nach
Pallaſt
Wir meſſen, wir rechnen, wir bringen die unge- wiſſen Formen unſerer fruͤheren Verſuche in eckigt[ – 1 Zeichen fehlt] Winkel und gerade Linien zuruͤck. So werden wir in dem Alter, — das mit der Epoche der fruͤheren griechiſchen Kunſt ſo viel Analogie hat, — hart, trocken, ſteif, aber richtig, um einſt ſchoͤn zu ſeyn. Bei der Entwerfung der Contours ſind wir aͤuſſerſt genau; die Ruͤndung deuten wir nur an, und zwar nicht mit Schraffirungen, als welche fuͤr jeden Kuͤnſt- ler, auſſer dem Kupferſtecher, ganz unnuͤtz ſind, ſon- dern mit verwiſchter Kreide. (à maniere eſtom- pée).
Soll denn der junge Kuͤnſtler blos zeichnen, nicht mahlen? Allerdings ſoll er zuweilen daran erinnert werden, warum er zeichnet: alle vier bis ſechs Wo- chen ſoll er einen Kopf mahlen, und zwar nach der Natur, und einen Tizian zur Seite.
Daß ich aber nie vergeſſe, daß, waͤhrend der Ver- ſtand Kenntniſſe einſammelt und die Hand ſich an Treue gewoͤhnt, die Bluͤthe der Einbildungskraft ſo leicht verloren gehe; und daß wenn es gefaͤhrlich wird, den jungen Kuͤnſtler uͤber das Vergnuͤgen Schoͤ- pfer zu ſeyn, die Sorge gut zu ſchaffen vergeſſen zu laſſen, es auf der andern Seite eben ſo gefaͤhrlich werde, die Mittel zur Vollkommenheit mit der Voll- kommenheit ſelbſt zu verwechſeln, und ewig Copiſt zu bleiben.
Fruͤh und haͤufig muß der Kuͤnſtler ſich uͤben, das abweſende Bild gegenwaͤrtig und dauernd in ſei- ner Seele zu erhalten, fruͤh aus dieſen aufbewahrten Bildern neue zuſammen ſetzen lernen. Ich werde dem jungen Kuͤnſtler rathen, die Figur, die er treu
nach
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Pallaſt
Wir meſſen, wir rechnen, wir bringen die unge-
wiſſen Formen unſerer fruͤheren Verſuche in eckigt_
Winkel und gerade Linien zuruͤck. So werden wir
in dem Alter, — das mit der Epoche der fruͤheren
griechiſchen Kunſt ſo viel Analogie hat, — hart,
trocken, ſteif, aber richtig, um einſt ſchoͤn zu ſeyn.
Bei der Entwerfung der Contours ſind wir aͤuſſerſt
genau; die Ruͤndung deuten wir nur an, und zwar
nicht mit Schraffirungen, als welche fuͤr jeden Kuͤnſt-
ler, auſſer dem Kupferſtecher, ganz unnuͤtz ſind, ſon-
dern mit verwiſchter Kreide. (à maniere eſtom-
pée).
Soll denn der junge Kuͤnſtler blos zeichnen, nicht
mahlen? Allerdings ſoll er zuweilen daran erinnert
werden, warum er zeichnet: alle vier bis ſechs Wo-
chen ſoll er einen Kopf mahlen, und zwar nach der
Natur, und einen Tizian zur Seite.
Daß ich aber nie vergeſſe, daß, waͤhrend der Ver-
ſtand Kenntniſſe einſammelt und die Hand ſich an
Treue gewoͤhnt, die Bluͤthe der Einbildungskraft ſo
leicht verloren gehe; und daß wenn es gefaͤhrlich
wird, den jungen Kuͤnſtler uͤber das Vergnuͤgen Schoͤ-
pfer zu ſeyn, die Sorge gut zu ſchaffen vergeſſen zu
laſſen, es auf der andern Seite eben ſo gefaͤhrlich
werde, die Mittel zur Vollkommenheit mit der Voll-
kommenheit ſelbſt zu verwechſeln, und ewig Copiſt zu
bleiben.
Fruͤh und haͤufig muß der Kuͤnſtler ſich uͤben,
das abweſende Bild gegenwaͤrtig und dauernd in ſei-
ner Seele zu erhalten, fruͤh aus dieſen aufbewahrten
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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