Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Der kleine Pallast Farnese.
einer andern affektvollen Thätigkeit zu sehen, wird
das Jemand erwarten? keinesweges! sondern man
will den Ausdruck individueller Fähigkeiten der Seele
zum Handeln überhaupt, an den individuellen For-
men des Körpers in Ruhe wahrnehmen.

Der zweite folgt nach: er kündigt einen Kopf
an, der so natürlich weint, daß, wie das Anschlag-
zettel wieder sagt, es unmöglich sey, ihn anzusehen
ohne mitzuweinen. Kein Mensch wird hier daran
denken, neben dem Ausdruck dieser bestimmten Thä-
tigkeit der Seele, nun auch die Veranlassung dazu
zu sehen. Die denkt sich jeder von selbst hinzu: je-
der macht sich seine Exposition, seine Erzählung.
Es ist die sinnlich sichtbare Beschreibung des Aus-
drucks einer bestimmten Fassung der Seele.

Zuletzt langt ein Künstler mit einer Punschge-
sellschaft an. Er annoncirt sie als eine Menge Fi-
guren, Priester, Parlamentsglieder u. s. w. mit
allen Modificationen einer lustigen Gesellschaft, welche
Punsch trinkt. Ist es glaublich, daß wir unsere
Erwartungen erfüllt halten würden, wenn uns der
Künstler nun den einzelnen Priester, das einzelne
Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den
einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers
hin aufgestellt zeigen, und uns Tisch und Punsch und
Gesellschaft hinzudenken lassen wollte? Gewiß nicht!
Wir wollen die völlige Vorstellung des Auftrittes
mit dem Grade der Illusion haben, daß, wenn
wir unvorbereitet die Thür des Versammlungs-
zimmers geöffnet, und aus Discretion sogleich
wieder zugeschlossen haben würden, der ganze
Begriff, den uns der Künstler durch sein An-

schlag-
H 2

Der kleine Pallaſt Farneſe.
einer andern affektvollen Thaͤtigkeit zu ſehen, wird
das Jemand erwarten? keinesweges! ſondern man
will den Ausdruck individueller Faͤhigkeiten der Seele
zum Handeln uͤberhaupt, an den individuellen For-
men des Koͤrpers in Ruhe wahrnehmen.

Der zweite folgt nach: er kuͤndigt einen Kopf
an, der ſo natuͤrlich weint, daß, wie das Anſchlag-
zettel wieder ſagt, es unmoͤglich ſey, ihn anzuſehen
ohne mitzuweinen. Kein Menſch wird hier daran
denken, neben dem Ausdruck dieſer beſtimmten Thaͤ-
tigkeit der Seele, nun auch die Veranlaſſung dazu
zu ſehen. Die denkt ſich jeder von ſelbſt hinzu: je-
der macht ſich ſeine Expoſition, ſeine Erzaͤhlung.
Es iſt die ſinnlich ſichtbare Beſchreibung des Aus-
drucks einer beſtimmten Faſſung der Seele.

Zuletzt langt ein Kuͤnſtler mit einer Punſchge-
ſellſchaft an. Er annoncirt ſie als eine Menge Fi-
guren, Prieſter, Parlamentsglieder u. ſ. w. mit
allen Modificationen einer luſtigen Geſellſchaft, welche
Punſch trinkt. Iſt es glaublich, daß wir unſere
Erwartungen erfuͤllt halten wuͤrden, wenn uns der
Kuͤnſtler nun den einzelnen Prieſter, das einzelne
Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den
einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers
hin aufgeſtellt zeigen, und uns Tiſch und Punſch und
Geſellſchaft hinzudenken laſſen wollte? Gewiß nicht!
Wir wollen die voͤllige Vorſtellung des Auftrittes
mit dem Grade der Illuſion haben, daß, wenn
wir unvorbereitet die Thuͤr des Verſammlungs-
zimmers geoͤffnet, und aus Discretion ſogleich
wieder zugeſchloſſen haben wuͤrden, der ganze
Begriff, den uns der Kuͤnſtler durch ſein An-

ſchlag-
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0139" n="115"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der kleine Palla&#x017F;t Farne&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
einer andern affektvollen Tha&#x0364;tigkeit zu &#x017F;ehen, wird<lb/>
das Jemand erwarten? keinesweges! &#x017F;ondern man<lb/>
will den Ausdruck individueller Fa&#x0364;higkeiten der Seele<lb/>
zum Handeln u&#x0364;berhaupt, an den individuellen For-<lb/>
men des Ko&#x0364;rpers in Ruhe wahrnehmen.</p><lb/>
          <p>Der zweite folgt nach: er ku&#x0364;ndigt einen Kopf<lb/>
an, der &#x017F;o natu&#x0364;rlich weint, daß, wie das An&#x017F;chlag-<lb/>
zettel wieder &#x017F;agt, es unmo&#x0364;glich &#x017F;ey, ihn anzu&#x017F;ehen<lb/>
ohne mitzuweinen. Kein Men&#x017F;ch wird hier daran<lb/>
denken, neben dem Ausdruck die&#x017F;er be&#x017F;timmten Tha&#x0364;-<lb/>
tigkeit der Seele, nun auch die Veranla&#x017F;&#x017F;ung dazu<lb/>
zu &#x017F;ehen. Die denkt &#x017F;ich jeder von &#x017F;elb&#x017F;t hinzu: je-<lb/>
der macht &#x017F;ich &#x017F;eine Expo&#x017F;ition, &#x017F;eine Erza&#x0364;hlung.<lb/>
Es i&#x017F;t die &#x017F;innlich &#x017F;ichtbare Be&#x017F;chreibung des Aus-<lb/>
drucks einer be&#x017F;timmten Fa&#x017F;&#x017F;ung der Seele.</p><lb/>
          <p>Zuletzt langt ein Ku&#x0364;n&#x017F;tler mit einer Pun&#x017F;chge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft an. Er annoncirt &#x017F;ie als eine Menge Fi-<lb/>
guren, Prie&#x017F;ter, Parlamentsglieder u. &#x017F;. w. mit<lb/>
allen Modificationen einer lu&#x017F;tigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, welche<lb/>
Pun&#x017F;ch trinkt. I&#x017F;t es glaublich, daß wir un&#x017F;ere<lb/>
Erwartungen erfu&#x0364;llt halten wu&#x0364;rden, wenn uns der<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler nun den einzelnen Prie&#x017F;ter, das einzelne<lb/>
Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den<lb/>
einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers<lb/>
hin aufge&#x017F;tellt zeigen, und uns Ti&#x017F;ch und Pun&#x017F;ch und<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft hinzudenken la&#x017F;&#x017F;en wollte? Gewiß nicht!<lb/>
Wir wollen die vo&#x0364;llige Vor&#x017F;tellung des Auftrittes<lb/>
mit dem Grade der Illu&#x017F;ion haben, daß, wenn<lb/>
wir unvorbereitet die Thu&#x0364;r des Ver&#x017F;ammlungs-<lb/>
zimmers geo&#x0364;ffnet, und aus Discretion &#x017F;ogleich<lb/>
wieder zuge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en haben wu&#x0364;rden, der ganze<lb/>
Begriff, den uns der Ku&#x0364;n&#x017F;tler durch &#x017F;ein An-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chlag-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0139] Der kleine Pallaſt Farneſe. einer andern affektvollen Thaͤtigkeit zu ſehen, wird das Jemand erwarten? keinesweges! ſondern man will den Ausdruck individueller Faͤhigkeiten der Seele zum Handeln uͤberhaupt, an den individuellen For- men des Koͤrpers in Ruhe wahrnehmen. Der zweite folgt nach: er kuͤndigt einen Kopf an, der ſo natuͤrlich weint, daß, wie das Anſchlag- zettel wieder ſagt, es unmoͤglich ſey, ihn anzuſehen ohne mitzuweinen. Kein Menſch wird hier daran denken, neben dem Ausdruck dieſer beſtimmten Thaͤ- tigkeit der Seele, nun auch die Veranlaſſung dazu zu ſehen. Die denkt ſich jeder von ſelbſt hinzu: je- der macht ſich ſeine Expoſition, ſeine Erzaͤhlung. Es iſt die ſinnlich ſichtbare Beſchreibung des Aus- drucks einer beſtimmten Faſſung der Seele. Zuletzt langt ein Kuͤnſtler mit einer Punſchge- ſellſchaft an. Er annoncirt ſie als eine Menge Fi- guren, Prieſter, Parlamentsglieder u. ſ. w. mit allen Modificationen einer luſtigen Geſellſchaft, welche Punſch trinkt. Iſt es glaublich, daß wir unſere Erwartungen erfuͤllt halten wuͤrden, wenn uns der Kuͤnſtler nun den einzelnen Prieſter, das einzelne Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers hin aufgeſtellt zeigen, und uns Tiſch und Punſch und Geſellſchaft hinzudenken laſſen wollte? Gewiß nicht! Wir wollen die voͤllige Vorſtellung des Auftrittes mit dem Grade der Illuſion haben, daß, wenn wir unvorbereitet die Thuͤr des Verſammlungs- zimmers geoͤffnet, und aus Discretion ſogleich wieder zugeſchloſſen haben wuͤrden, der ganze Begriff, den uns der Kuͤnſtler durch ſein An- ſchlag- H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/139
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/139>, abgerufen am 22.11.2024.