Wenn diese Grundsätze auf das Bild des Todes des Germanicus angewandt werden, so finden wir, daß Poussin sie genau beobachtet, daß er gut gewäh- let hat.
Germanicus hat eben seine Rede geendigt, und noch zeigt seine Gebärde den Eindruck an, den er durch seine letzten Worte auf seine Freunde hat her- vorbringen wollen. Sie sollten dem römischen Volke sein Weib und seine Kinder zeigen: Dieser Anblick würde das Mitleiden über jede Besorgniß vor höhern Schutz der Bosheit siegen lassen. Den Ausdruck, den er einst von seinen Freunden bei ihren Klagen vor dem Volke verlangt, den nimmt er schon jetzt in Mine und Stellung an, und verstärkt dadurch die Bewegungsgründe, mit denen er die Aufforderung zur Rache an seine Freunde unterstützt. Ja! er braucht vielmehr die einzigen, die eine stumme Spra- che zuläßt. Denn wie wird er sie mit bloßen Ge- bärden an die Pflichten der Freundschaft erinnern können; und wenn er es kann, etwa durch die An- deutung eines Gemähldes des Achilles, der um seinen Freund Patroclus zu rächen den Leichnam des Hek- tors schleift, wird dies Bild im Bilde so rühren wie diese lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art? Sehet diese Kinder, ruft er, diese Mutter! man hat ihnen ihren Vater genommen!
Richardson 15b) sagt, man lese in der Mine des Germanicus mehr wehmüthiges Bitten an seine
Freun-
15b)Description des Statues, Tableaux etc. T. III. p. 270.
Zweiter Theil. U
Pallaſt Barberini.
Wenn dieſe Grundſaͤtze auf das Bild des Todes des Germanicus angewandt werden, ſo finden wir, daß Pouſſin ſie genau beobachtet, daß er gut gewaͤh- let hat.
Germanicus hat eben ſeine Rede geendigt, und noch zeigt ſeine Gebaͤrde den Eindruck an, den er durch ſeine letzten Worte auf ſeine Freunde hat her- vorbringen wollen. Sie ſollten dem roͤmiſchen Volke ſein Weib und ſeine Kinder zeigen: Dieſer Anblick wuͤrde das Mitleiden uͤber jede Beſorgniß vor hoͤhern Schutz der Bosheit ſiegen laſſen. Den Ausdruck, den er einſt von ſeinen Freunden bei ihren Klagen vor dem Volke verlangt, den nimmt er ſchon jetzt in Mine und Stellung an, und verſtaͤrkt dadurch die Bewegungsgruͤnde, mit denen er die Aufforderung zur Rache an ſeine Freunde unterſtuͤtzt. Ja! er braucht vielmehr die einzigen, die eine ſtumme Spra- che zulaͤßt. Denn wie wird er ſie mit bloßen Ge- baͤrden an die Pflichten der Freundſchaft erinnern koͤnnen; und wenn er es kann, etwa durch die An- deutung eines Gemaͤhldes des Achilles, der um ſeinen Freund Patroclus zu raͤchen den Leichnam des Hek- tors ſchleift, wird dies Bild im Bilde ſo ruͤhren wie dieſe lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art? Sehet dieſe Kinder, ruft er, dieſe Mutter! man hat ihnen ihren Vater genommen!
Richardſon 15b) ſagt, man leſe in der Mine des Germanicus mehr wehmuͤthiges Bitten an ſeine
Freun-
15b)Deſcription des Statues, Tableaux etc. T. III. p. 270.
Zweiter Theil. U
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Pallaſt Barberini.
Wenn dieſe Grundſaͤtze auf das Bild des Todes
des Germanicus angewandt werden, ſo finden wir,
daß Pouſſin ſie genau beobachtet, daß er gut gewaͤh-
let hat.
Germanicus hat eben ſeine Rede geendigt, und
noch zeigt ſeine Gebaͤrde den Eindruck an, den er
durch ſeine letzten Worte auf ſeine Freunde hat her-
vorbringen wollen. Sie ſollten dem roͤmiſchen Volke
ſein Weib und ſeine Kinder zeigen: Dieſer Anblick
wuͤrde das Mitleiden uͤber jede Beſorgniß vor hoͤhern
Schutz der Bosheit ſiegen laſſen. Den Ausdruck,
den er einſt von ſeinen Freunden bei ihren Klagen vor
dem Volke verlangt, den nimmt er ſchon jetzt in
Mine und Stellung an, und verſtaͤrkt dadurch die
Bewegungsgruͤnde, mit denen er die Aufforderung
zur Rache an ſeine Freunde unterſtuͤtzt. Ja! er
braucht vielmehr die einzigen, die eine ſtumme Spra-
che zulaͤßt. Denn wie wird er ſie mit bloßen Ge-
baͤrden an die Pflichten der Freundſchaft erinnern
koͤnnen; und wenn er es kann, etwa durch die An-
deutung eines Gemaͤhldes des Achilles, der um ſeinen
Freund Patroclus zu raͤchen den Leichnam des Hek-
tors ſchleift, wird dies Bild im Bilde ſo ruͤhren wie
dieſe lebenden Figuren, wenn gleich auf andere Art?
Sehet dieſe Kinder, ruft er, dieſe Mutter! man hat
ihnen ihren Vater genommen!
Richardſon 15b) ſagt, man leſe in der Mine des
Germanicus mehr wehmuͤthiges Bitten an ſeine
Freun-
15b) Deſcription des Statues, Tableaux etc. T. III.
p. 270.
Zweiter Theil. U
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/319>, abgerufen am 27.07.2024.
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