Also der Ausdruck von Thätigkeit, den der Be- schauer an denen im Bilde aufgestellten Personen be- merkt, ist, wenn ich so sagen darf, das Problem; die Entdeckung des Motivs, die Solution. Er liebt die Billigkeit des Affekts zu beurtheilen, das unterhält ihn: er findet ihn wahr, das muß ihn rühren.
Man könnte die Sache umkehren. Der Mann im Fenster sieht einen Todten, einen Kranken auf der Gasse fallen. Wie werden sich die Umstehenden da- bei gebärden? Das ist die Aufgabe: die Wahrneh- mung der Gebärden, die Auflösung. Ich bin es zufrieden.
Ich bin es zufrieden, sage ich; aber mit der Einschränkung: das stillstehende pantomimische Dra- ma gebe mir die Illusion eines würklichen Auftritts, den ich in der Natur aus der Ferne, ohne Verdoll- metschung durch Worte, durch den bloßen Blick er- kenne, so vollständig, als es nur immer sie zu geben im Stande ist: Der Mangel irgend eines Theiles, der zur Erklärung nöthig ist, erinnere mich nicht dar- an, daß es nur Aefferei ist; daß sich gewisse Perso- nen nur so hingestellet haben, um mir zu zeigen, wie sie da stehen könnten, wenn ein Todter oder Kranker würklich vor ihnen läge, ob er gleich nicht da liegt. Mit einem Worte: Der Ausdruck der interessirten Personen sey nicht ohne das Motiv ihres affektvollen Zustandes in dem Bilde anzutreffen.
Nur gar zu gewöhnlich ist der Misbrauch den man von der Mahlerei als einer bloßen Hülfskunst der Geschichte oder der dichterischen Fabel macht.
Man
Pallaſt Barberini.
Alſo der Ausdruck von Thaͤtigkeit, den der Be- ſchauer an denen im Bilde aufgeſtellten Perſonen be- merkt, iſt, wenn ich ſo ſagen darf, das Problem; die Entdeckung des Motivs, die Solution. Er liebt die Billigkeit des Affekts zu beurtheilen, das unterhaͤlt ihn: er findet ihn wahr, das muß ihn ruͤhren.
Man koͤnnte die Sache umkehren. Der Mann im Fenſter ſieht einen Todten, einen Kranken auf der Gaſſe fallen. Wie werden ſich die Umſtehenden da- bei gebaͤrden? Das iſt die Aufgabe: die Wahrneh- mung der Gebaͤrden, die Aufloͤſung. Ich bin es zufrieden.
Ich bin es zufrieden, ſage ich; aber mit der Einſchraͤnkung: das ſtillſtehende pantomimiſche Dra- ma gebe mir die Illuſion eines wuͤrklichen Auftritts, den ich in der Natur aus der Ferne, ohne Verdoll- metſchung durch Worte, durch den bloßen Blick er- kenne, ſo vollſtaͤndig, als es nur immer ſie zu geben im Stande iſt: Der Mangel irgend eines Theiles, der zur Erklaͤrung noͤthig iſt, erinnere mich nicht dar- an, daß es nur Aefferei iſt; daß ſich gewiſſe Perſo- nen nur ſo hingeſtellet haben, um mir zu zeigen, wie ſie da ſtehen koͤnnten, wenn ein Todter oder Kranker wuͤrklich vor ihnen laͤge, ob er gleich nicht da liegt. Mit einem Worte: Der Ausdruck der intereſſirten Perſonen ſey nicht ohne das Motiv ihres affektvollen Zuſtandes in dem Bilde anzutreffen.
Nur gar zu gewoͤhnlich iſt der Misbrauch den man von der Mahlerei als einer bloßen Huͤlfskunſt der Geſchichte oder der dichteriſchen Fabel macht.
Man
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0308"n="294"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Pallaſt Barberini.</hi></fw><lb/><p>Alſo der Ausdruck von Thaͤtigkeit, den der Be-<lb/>ſchauer an denen im Bilde aufgeſtellten Perſonen be-<lb/>
merkt, iſt, wenn ich ſo ſagen darf, das Problem;<lb/>
die Entdeckung des Motivs, die Solution. Er<lb/>
liebt die Billigkeit des Affekts zu beurtheilen, das<lb/>
unterhaͤlt ihn: er findet ihn wahr, das muß ihn<lb/>
ruͤhren.</p><lb/><p>Man koͤnnte die Sache umkehren. Der Mann<lb/>
im Fenſter ſieht einen Todten, einen Kranken auf der<lb/>
Gaſſe fallen. Wie werden ſich die Umſtehenden da-<lb/>
bei gebaͤrden? Das iſt die Aufgabe: die Wahrneh-<lb/>
mung der Gebaͤrden, die Aufloͤſung. Ich bin es<lb/>
zufrieden.</p><lb/><p>Ich bin es zufrieden, ſage ich; aber mit der<lb/>
Einſchraͤnkung: das ſtillſtehende pantomimiſche Dra-<lb/>
ma gebe mir die Illuſion eines wuͤrklichen Auftritts,<lb/>
den ich in der Natur aus der Ferne, ohne Verdoll-<lb/>
metſchung durch Worte, durch den bloßen Blick er-<lb/>
kenne, ſo vollſtaͤndig, als es nur immer ſie zu geben<lb/>
im Stande iſt: Der Mangel irgend eines Theiles,<lb/>
der zur Erklaͤrung noͤthig iſt, erinnere mich nicht dar-<lb/>
an, daß es nur Aefferei iſt; daß ſich gewiſſe Perſo-<lb/>
nen nur ſo hingeſtellet haben, um mir zu zeigen, wie<lb/>ſie da ſtehen koͤnnten, wenn ein Todter oder Kranker<lb/>
wuͤrklich vor ihnen laͤge, ob er gleich nicht da liegt.<lb/>
Mit einem Worte: Der Ausdruck der intereſſirten<lb/>
Perſonen ſey nicht ohne das Motiv ihres affektvollen<lb/>
Zuſtandes in dem Bilde anzutreffen.</p><lb/><p>Nur gar zu gewoͤhnlich iſt der Misbrauch den<lb/>
man von der Mahlerei als einer bloßen Huͤlfskunſt<lb/>
der Geſchichte oder der dichteriſchen Fabel macht.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Man</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[294/0308]
Pallaſt Barberini.
Alſo der Ausdruck von Thaͤtigkeit, den der Be-
ſchauer an denen im Bilde aufgeſtellten Perſonen be-
merkt, iſt, wenn ich ſo ſagen darf, das Problem;
die Entdeckung des Motivs, die Solution. Er
liebt die Billigkeit des Affekts zu beurtheilen, das
unterhaͤlt ihn: er findet ihn wahr, das muß ihn
ruͤhren.
Man koͤnnte die Sache umkehren. Der Mann
im Fenſter ſieht einen Todten, einen Kranken auf der
Gaſſe fallen. Wie werden ſich die Umſtehenden da-
bei gebaͤrden? Das iſt die Aufgabe: die Wahrneh-
mung der Gebaͤrden, die Aufloͤſung. Ich bin es
zufrieden.
Ich bin es zufrieden, ſage ich; aber mit der
Einſchraͤnkung: das ſtillſtehende pantomimiſche Dra-
ma gebe mir die Illuſion eines wuͤrklichen Auftritts,
den ich in der Natur aus der Ferne, ohne Verdoll-
metſchung durch Worte, durch den bloßen Blick er-
kenne, ſo vollſtaͤndig, als es nur immer ſie zu geben
im Stande iſt: Der Mangel irgend eines Theiles,
der zur Erklaͤrung noͤthig iſt, erinnere mich nicht dar-
an, daß es nur Aefferei iſt; daß ſich gewiſſe Perſo-
nen nur ſo hingeſtellet haben, um mir zu zeigen, wie
ſie da ſtehen koͤnnten, wenn ein Todter oder Kranker
wuͤrklich vor ihnen laͤge, ob er gleich nicht da liegt.
Mit einem Worte: Der Ausdruck der intereſſirten
Perſonen ſey nicht ohne das Motiv ihres affektvollen
Zuſtandes in dem Bilde anzutreffen.
Nur gar zu gewoͤhnlich iſt der Misbrauch den
man von der Mahlerei als einer bloßen Huͤlfskunſt
der Geſchichte oder der dichteriſchen Fabel macht.
Man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/308>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.