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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Mattei.
führungskunst der Männer aufzubieten, mit so viel
Ahndung einer brennenden Einbildungskraft und
eines weichen Herzens in jedem ihrer Züge, wie büßt
der gesenkte Blick und die zitternde Lefze den unglück-
lichen Augenblick, den ersten und einzigen vielleicht,
in dem sie schwach war. Hier ist keine gewöhnliche
Sünderin werden wir uns sagen
-- Cette ame qui s'accuse,
Faut foible faut coupable et non pas sans excuse.

Wer sollte es aber nun glauben, daß der Künst-
ler, statt den Christus aufgerichtet mit warnender
aufgehobener Hand und vorgestrecktem Arme vorzu-
stellen -- Eine Aktion mit der er beim Carraccio
die Worte begleitet: Wer unter euch ohne Sünde
ist, der werfe den ersten Stein auf sie: -- ihn sich
niederbücken, auf die Erde würde haben schreiben las-
sen. Diese Stellung nimmt seiner Gestalt die ohne-
hin nicht die edelste ist, alle Würde und Hoheit.

Ueberhaupt ist der Augenblick vor der Antwort
Christi unglücklich gewählt. Er motivirt nur den
einfachen wenig interessanten Ausdruck der Neugierde
in den Pharisäern; und die Art wie er dargestellt wird,
ist gar lächerlich: Sie setzen Brillen auf, das Ge-
schriebene zu lesen.

Aber diese Fehler in dem Gedanken werden durch
große Schönheiten in der Ausführung wieder einge-
bracht. An Kraft der Farben, und an pikanter
Würkung des Helldunkeln kömmt es den besten Ge-
mählden des Guercino bei. Die mahlerische Anord-
nung ist bei unserm Meister immer vortrefflich, und
der eigenthümliche Reitz seines Pinsels, das Duftige,

das

Pallaſt Mattei.
fuͤhrungskunſt der Maͤnner aufzubieten, mit ſo viel
Ahndung einer brennenden Einbildungskraft und
eines weichen Herzens in jedem ihrer Zuͤge, wie buͤßt
der geſenkte Blick und die zitternde Lefze den ungluͤck-
lichen Augenblick, den erſten und einzigen vielleicht,
in dem ſie ſchwach war. Hier iſt keine gewoͤhnliche
Suͤnderin werden wir uns ſagen
Cette ame qui s’accuſe,
Fût foible fût coupable et non pas ſans excuſe.

Wer ſollte es aber nun glauben, daß der Kuͤnſt-
ler, ſtatt den Chriſtus aufgerichtet mit warnender
aufgehobener Hand und vorgeſtrecktem Arme vorzu-
ſtellen — Eine Aktion mit der er beim Carraccio
die Worte begleitet: Wer unter euch ohne Suͤnde
iſt, der werfe den erſten Stein auf ſie: — ihn ſich
niederbuͤcken, auf die Erde wuͤrde haben ſchreiben laſ-
ſen. Dieſe Stellung nimmt ſeiner Geſtalt die ohne-
hin nicht die edelſte iſt, alle Wuͤrde und Hoheit.

Ueberhaupt iſt der Augenblick vor der Antwort
Chriſti ungluͤcklich gewaͤhlt. Er motivirt nur den
einfachen wenig intereſſanten Ausdruck der Neugierde
in den Phariſaͤern; und die Art wie er dargeſtellt wird,
iſt gar laͤcherlich: Sie ſetzen Brillen auf, das Ge-
ſchriebene zu leſen.

Aber dieſe Fehler in dem Gedanken werden durch
große Schoͤnheiten in der Ausfuͤhrung wieder einge-
bracht. An Kraft der Farben, und an pikanter
Wuͤrkung des Helldunkeln koͤmmt es den beſten Ge-
maͤhlden des Guercino bei. Die mahleriſche Anord-
nung iſt bei unſerm Meiſter immer vortrefflich, und
der eigenthuͤmliche Reitz ſeines Pinſels, das Duftige,

das
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[262/0276] Pallaſt Mattei. fuͤhrungskunſt der Maͤnner aufzubieten, mit ſo viel Ahndung einer brennenden Einbildungskraft und eines weichen Herzens in jedem ihrer Zuͤge, wie buͤßt der geſenkte Blick und die zitternde Lefze den ungluͤck- lichen Augenblick, den erſten und einzigen vielleicht, in dem ſie ſchwach war. Hier iſt keine gewoͤhnliche Suͤnderin werden wir uns ſagen — Cette ame qui s’accuſe, Fût foible fût coupable et non pas ſans excuſe. Wer ſollte es aber nun glauben, daß der Kuͤnſt- ler, ſtatt den Chriſtus aufgerichtet mit warnender aufgehobener Hand und vorgeſtrecktem Arme vorzu- ſtellen — Eine Aktion mit der er beim Carraccio die Worte begleitet: Wer unter euch ohne Suͤnde iſt, der werfe den erſten Stein auf ſie: — ihn ſich niederbuͤcken, auf die Erde wuͤrde haben ſchreiben laſ- ſen. Dieſe Stellung nimmt ſeiner Geſtalt die ohne- hin nicht die edelſte iſt, alle Wuͤrde und Hoheit. Ueberhaupt iſt der Augenblick vor der Antwort Chriſti ungluͤcklich gewaͤhlt. Er motivirt nur den einfachen wenig intereſſanten Ausdruck der Neugierde in den Phariſaͤern; und die Art wie er dargeſtellt wird, iſt gar laͤcherlich: Sie ſetzen Brillen auf, das Ge- ſchriebene zu leſen. Aber dieſe Fehler in dem Gedanken werden durch große Schoͤnheiten in der Ausfuͤhrung wieder einge- bracht. An Kraft der Farben, und an pikanter Wuͤrkung des Helldunkeln koͤmmt es den beſten Ge- maͤhlden des Guercino bei. Die mahleriſche Anord- nung iſt bei unſerm Meiſter immer vortrefflich, und der eigenthuͤmliche Reitz ſeines Pinſels, das Duftige, das

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/276>, abgerufen am 22.11.2024.