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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Mattei.

+ Die Ehebrecherin von P. da Cortona.Die Ehebre-
cherin, von
P. da Corto-
na.

Unstreitig das schönste Gemählde in dieser Gallerie,
und wenn ich es sagen darf, unter denen, die dieser
Meister je hervorgebracht hat.

Es ist wahr, die Composition verdient wenig
Lob. Man wird sich der Begebenheit, die hier
vorgestellt ist, erinnern. "Die Schriftgelehrten
"und Pharisäer brachten ein Weib zu Christo, das
"des Ehebruchs überführt war, und sprachen um
"ihn zu versuchen: Moses hat im Gesetz geboten,
"eine überführte Ehebrecherin zu steinigen. Was
"sagft du? Christus bückte sich nieder, und schrieb
"auf die Erde. Als sie nun anhielten ihn zu fragen,
"richtete er sich auf, und sprach zu ihnen: Wer un-
"ter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein
"auf sie, und bückte sich nieder und schrieb auf die
"Erde. Da sie aber das hörten, giengen sie hin-
"aus von ihrem Gewissen überzeuget etc."

Dies Süjet ist des reichen, abwechselnden, deut-
lichen Ausdrucks wegen, zu dem es Anlaß giebt, äus-
serst vortheilhaft für die Mahlerei. Die reuige Angst
in der Sünderin, die Beschämung, der laute und
verbissene Aerger in den Pharisäern, der Ausdruck
der Hoheit und der Milde im Christus, machen un-
ter andern die Vorstellung dieser heiligen Geschichte
von Agostino Carraccio im Pallast Zampieri zu Bo-
logna, zu einem der interessantesten Bilder.

Der Ausdruck in dem schuldigen Weibe ist auch
unserm Künstler vortrefflich geglückt. Der bloße
Anblick ihrer Gestalt enthält die völlige Entschuldigung
ihres Fehltritts. Mit so viel Reitzen die ganze Ver-

führungs-
R 3
Pallaſt Mattei.

Die Ehebrecherin von P. da Cortona.Die Ehebre-
cherin, von
P. da Corto-
na.

Unſtreitig das ſchoͤnſte Gemaͤhlde in dieſer Gallerie,
und wenn ich es ſagen darf, unter denen, die dieſer
Meiſter je hervorgebracht hat.

Es iſt wahr, die Compoſition verdient wenig
Lob. Man wird ſich der Begebenheit, die hier
vorgeſtellt iſt, erinnern. „Die Schriftgelehrten
„und Phariſaͤer brachten ein Weib zu Chriſto, das
„des Ehebruchs uͤberfuͤhrt war, und ſprachen um
„ihn zu verſuchen: Moſes hat im Geſetz geboten,
„eine uͤberfuͤhrte Ehebrecherin zu ſteinigen. Was
„ſagft du? Chriſtus buͤckte ſich nieder, und ſchrieb
„auf die Erde. Als ſie nun anhielten ihn zu fragen,
„richtete er ſich auf, und ſprach zu ihnen: Wer un-
„ter euch ohne Suͤnde iſt, der werfe den erſten Stein
„auf ſie, und buͤckte ſich nieder und ſchrieb auf die
„Erde. Da ſie aber das hoͤrten, giengen ſie hin-
„aus von ihrem Gewiſſen uͤberzeuget ꝛc.“

Dies Suͤjet iſt des reichen, abwechſelnden, deut-
lichen Ausdrucks wegen, zu dem es Anlaß giebt, aͤuſ-
ſerſt vortheilhaft fuͤr die Mahlerei. Die reuige Angſt
in der Suͤnderin, die Beſchaͤmung, der laute und
verbiſſene Aerger in den Phariſaͤern, der Ausdruck
der Hoheit und der Milde im Chriſtus, machen un-
ter andern die Vorſtellung dieſer heiligen Geſchichte
von Agoſtino Carraccio im Pallaſt Zampieri zu Bo-
logna, zu einem der intereſſanteſten Bilder.

Der Ausdruck in dem ſchuldigen Weibe iſt auch
unſerm Kuͤnſtler vortrefflich gegluͤckt. Der bloße
Anblick ihrer Geſtalt enthaͤlt die voͤllige Entſchuldigung
ihres Fehltritts. Mit ſo viel Reitzen die ganze Ver-

fuͤhrungs-
R 3
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[261/0275] Pallaſt Mattei. † Die Ehebrecherin von P. da Cortona. Unſtreitig das ſchoͤnſte Gemaͤhlde in dieſer Gallerie, und wenn ich es ſagen darf, unter denen, die dieſer Meiſter je hervorgebracht hat. Die Ehebre- cherin, von P. da Corto- na. Es iſt wahr, die Compoſition verdient wenig Lob. Man wird ſich der Begebenheit, die hier vorgeſtellt iſt, erinnern. „Die Schriftgelehrten „und Phariſaͤer brachten ein Weib zu Chriſto, das „des Ehebruchs uͤberfuͤhrt war, und ſprachen um „ihn zu verſuchen: Moſes hat im Geſetz geboten, „eine uͤberfuͤhrte Ehebrecherin zu ſteinigen. Was „ſagft du? Chriſtus buͤckte ſich nieder, und ſchrieb „auf die Erde. Als ſie nun anhielten ihn zu fragen, „richtete er ſich auf, und ſprach zu ihnen: Wer un- „ter euch ohne Suͤnde iſt, der werfe den erſten Stein „auf ſie, und buͤckte ſich nieder und ſchrieb auf die „Erde. Da ſie aber das hoͤrten, giengen ſie hin- „aus von ihrem Gewiſſen uͤberzeuget ꝛc.“ Dies Suͤjet iſt des reichen, abwechſelnden, deut- lichen Ausdrucks wegen, zu dem es Anlaß giebt, aͤuſ- ſerſt vortheilhaft fuͤr die Mahlerei. Die reuige Angſt in der Suͤnderin, die Beſchaͤmung, der laute und verbiſſene Aerger in den Phariſaͤern, der Ausdruck der Hoheit und der Milde im Chriſtus, machen un- ter andern die Vorſtellung dieſer heiligen Geſchichte von Agoſtino Carraccio im Pallaſt Zampieri zu Bo- logna, zu einem der intereſſanteſten Bilder. Der Ausdruck in dem ſchuldigen Weibe iſt auch unſerm Kuͤnſtler vortrefflich gegluͤckt. Der bloße Anblick ihrer Geſtalt enthaͤlt die voͤllige Entſchuldigung ihres Fehltritts. Mit ſo viel Reitzen die ganze Ver- fuͤhrungs- R 3

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/275>, abgerufen am 01.09.2024.