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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Pallast Boccapaduli.

Ob ich dem Opfermesser in der Hand des Prie-
sters diese oder jene Form gebe, ist im Grunde einer-
lei. Genung daß ich das Messer zu dem bestimm-
ten Gebrauche darin wieder erkenne. Sind wir,
auf den Genuß der Künste Berechtigte, aber ge-
wohnt nach der Bibelübersetzung, die wir allein lesen,
uns den jüdischen Hohenpriester in gelber Kleidung
zu denken; so darf der Künstler, der uns nicht in die
Irre führen will, uns nicht eher diesen Hohenprie-
ster im himmelblauen Gewande zeigen, bis er über-
zeugt ist, daß die jüdischen Heiligthümer des Lundius
eben so allgemein gelesen werden, als jene Bibelüber-
setzung; oder bis er durch andere Nebenumstände
uns, ohngeachtet der ungewöhnten Farbe, auf den
Begriff eines jüdischen Hohenpriesters deutlich zurück-
führen kann.

Ein Kunstrichter, 3) von dem der Künstler und
der Liebhaber mehr lernen würden, wenn er nicht
seine guten Bemerkungen oft in einen unerträglich
pretiösen Stil eingekleidet hätte, scheint ohngeachtet
der Billigkeit mit der er an die Beobachtung des
Ueblichen erinnert, dennoch den Begriff desselben mit
historischer Treue zuweilen verwechselt zu haben. Wie
würde er es sonst dem Künstler zur Nothwendigkeit
gemacht haben, den Hohenpriester Caiphas, der
seine Kleider zerreißt, in seiner gewöhnlichen Haus-
kleidung, nicht in der feierlichen Tempelkleidung dar-
zustellen. Ich weiß viel, wie diese ausgesehen ha-
ben mag: woran soll ich meinen Mann erkennen?

Ich
3) von Hagedorn Betrachtungen über die Mahlerei.
Erster Theil, S. 230.
Pallaſt Boccapaduli.

Ob ich dem Opfermeſſer in der Hand des Prie-
ſters dieſe oder jene Form gebe, iſt im Grunde einer-
lei. Genung daß ich das Meſſer zu dem beſtimm-
ten Gebrauche darin wieder erkenne. Sind wir,
auf den Genuß der Kuͤnſte Berechtigte, aber ge-
wohnt nach der Bibeluͤberſetzung, die wir allein leſen,
uns den juͤdiſchen Hohenprieſter in gelber Kleidung
zu denken; ſo darf der Kuͤnſtler, der uns nicht in die
Irre fuͤhren will, uns nicht eher dieſen Hohenprie-
ſter im himmelblauen Gewande zeigen, bis er uͤber-
zeugt iſt, daß die juͤdiſchen Heiligthuͤmer des Lundius
eben ſo allgemein geleſen werden, als jene Bibeluͤber-
ſetzung; oder bis er durch andere Nebenumſtaͤnde
uns, ohngeachtet der ungewoͤhnten Farbe, auf den
Begriff eines juͤdiſchen Hohenprieſters deutlich zuruͤck-
fuͤhren kann.

Ein Kunſtrichter, 3) von dem der Kuͤnſtler und
der Liebhaber mehr lernen wuͤrden, wenn er nicht
ſeine guten Bemerkungen oft in einen unertraͤglich
pretioͤſen Stil eingekleidet haͤtte, ſcheint ohngeachtet
der Billigkeit mit der er an die Beobachtung des
Ueblichen erinnert, dennoch den Begriff deſſelben mit
hiſtoriſcher Treue zuweilen verwechſelt zu haben. Wie
wuͤrde er es ſonſt dem Kuͤnſtler zur Nothwendigkeit
gemacht haben, den Hohenprieſter Caiphas, der
ſeine Kleider zerreißt, in ſeiner gewoͤhnlichen Haus-
kleidung, nicht in der feierlichen Tempelkleidung dar-
zuſtellen. Ich weiß viel, wie dieſe ausgeſehen ha-
ben mag: woran ſoll ich meinen Mann erkennen?

Ich
3) von Hagedorn Betrachtungen uͤber die Mahlerei.
Erſter Theil, S. 230.
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[234/0248] Pallaſt Boccapaduli. Ob ich dem Opfermeſſer in der Hand des Prie- ſters dieſe oder jene Form gebe, iſt im Grunde einer- lei. Genung daß ich das Meſſer zu dem beſtimm- ten Gebrauche darin wieder erkenne. Sind wir, auf den Genuß der Kuͤnſte Berechtigte, aber ge- wohnt nach der Bibeluͤberſetzung, die wir allein leſen, uns den juͤdiſchen Hohenprieſter in gelber Kleidung zu denken; ſo darf der Kuͤnſtler, der uns nicht in die Irre fuͤhren will, uns nicht eher dieſen Hohenprie- ſter im himmelblauen Gewande zeigen, bis er uͤber- zeugt iſt, daß die juͤdiſchen Heiligthuͤmer des Lundius eben ſo allgemein geleſen werden, als jene Bibeluͤber- ſetzung; oder bis er durch andere Nebenumſtaͤnde uns, ohngeachtet der ungewoͤhnten Farbe, auf den Begriff eines juͤdiſchen Hohenprieſters deutlich zuruͤck- fuͤhren kann. Ein Kunſtrichter, 3) von dem der Kuͤnſtler und der Liebhaber mehr lernen wuͤrden, wenn er nicht ſeine guten Bemerkungen oft in einen unertraͤglich pretioͤſen Stil eingekleidet haͤtte, ſcheint ohngeachtet der Billigkeit mit der er an die Beobachtung des Ueblichen erinnert, dennoch den Begriff deſſelben mit hiſtoriſcher Treue zuweilen verwechſelt zu haben. Wie wuͤrde er es ſonſt dem Kuͤnſtler zur Nothwendigkeit gemacht haben, den Hohenprieſter Caiphas, der ſeine Kleider zerreißt, in ſeiner gewoͤhnlichen Haus- kleidung, nicht in der feierlichen Tempelkleidung dar- zuſtellen. Ich weiß viel, wie dieſe ausgeſehen ha- ben mag: woran ſoll ich meinen Mann erkennen? Ich 3) von Hagedorn Betrachtungen uͤber die Mahlerei. Erſter Theil, S. 230.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/248>, abgerufen am 01.09.2024.