Unser Künstler verleugnet sich nie unter allen den abwechselnden Gestalten, in denen er sich zeigt. Denn diese Abwechselung war nicht der objektivischen Verschiedenheit zuzuschreiben, nach welcher sich die Gegenstände in der Natur, je nachdem sie unter an- dern Verhältnissen, zu andern Zwecken wahrgenom- men werden, würklich verschieden zeigen; sondern der subjektivischen, nach welcher der Künstler die Gegenstände auf seinem Gemählde anders wollte er- scheinen lassen, um eine andere Art von mahlerischer Würkung hervorzubringen. Er verbesserte nur die Manier nicht die Kunst der Nachahmung nach den Regeln der Treue, und der individuellen Wahrheit. Er hatte also immer nur Manier, aber man muß es gestehen, er hatte sie mit einem Scheine von Wahr- heit, der über die Abweichung von der Natur in dem Gemählde verblendet, oder wohl gar uns verleitet die Gegenstände in der Natur fernerhin mit dem Zu- fatze zu sehen, den wir aus dem Gemählde entlehnt haben. Man könnte den Guercino einen verbesser- ten M. Angelo Carravaggio nennen. Weniger nie- drig in der Wahl der Süjets und der Formen, war er zugleich wahrer in den Theilen, die zu ihrer Dar- stellung gehören: allein er wählte so wie dieser nur aus der Natur um ihn herum, kleidete so wie dieser seine Figuren aus der Trödelbude, und setzte endlich so wie dieser den Haupteindruck, den er von seinen Gemählden erwartete, in den Zauber der Rün- dung.
Nun zur Beschreibung seiner Mahlereien in diesem Casino.
Unteres
Villa Ludoviſi.
Unſer Kuͤnſtler verleugnet ſich nie unter allen den abwechſelnden Geſtalten, in denen er ſich zeigt. Denn dieſe Abwechſelung war nicht der objektiviſchen Verſchiedenheit zuzuſchreiben, nach welcher ſich die Gegenſtaͤnde in der Natur, je nachdem ſie unter an- dern Verhaͤltniſſen, zu andern Zwecken wahrgenom- men werden, wuͤrklich verſchieden zeigen; ſondern der ſubjektiviſchen, nach welcher der Kuͤnſtler die Gegenſtaͤnde auf ſeinem Gemaͤhlde anders wollte er- ſcheinen laſſen, um eine andere Art von mahleriſcher Wuͤrkung hervorzubringen. Er verbeſſerte nur die Manier nicht die Kunſt der Nachahmung nach den Regeln der Treue, und der individuellen Wahrheit. Er hatte alſo immer nur Manier, aber man muß es geſtehen, er hatte ſie mit einem Scheine von Wahr- heit, der uͤber die Abweichung von der Natur in dem Gemaͤhlde verblendet, oder wohl gar uns verleitet die Gegenſtaͤnde in der Natur fernerhin mit dem Zu- fatze zu ſehen, den wir aus dem Gemaͤhlde entlehnt haben. Man koͤnnte den Guercino einen verbeſſer- ten M. Angelo Carravaggio nennen. Weniger nie- drig in der Wahl der Suͤjets und der Formen, war er zugleich wahrer in den Theilen, die zu ihrer Dar- ſtellung gehoͤren: allein er waͤhlte ſo wie dieſer nur aus der Natur um ihn herum, kleidete ſo wie dieſer ſeine Figuren aus der Troͤdelbude, und ſetzte endlich ſo wie dieſer den Haupteindruck, den er von ſeinen Gemaͤhlden erwartete, in den Zauber der Ruͤn- dung.
Nun zur Beſchreibung ſeiner Mahlereien in dieſem Caſino.
Unteres
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Villa Ludoviſi.
Unſer Kuͤnſtler verleugnet ſich nie unter allen
den abwechſelnden Geſtalten, in denen er ſich zeigt.
Denn dieſe Abwechſelung war nicht der objektiviſchen
Verſchiedenheit zuzuſchreiben, nach welcher ſich die
Gegenſtaͤnde in der Natur, je nachdem ſie unter an-
dern Verhaͤltniſſen, zu andern Zwecken wahrgenom-
men werden, wuͤrklich verſchieden zeigen; ſondern
der ſubjektiviſchen, nach welcher der Kuͤnſtler die
Gegenſtaͤnde auf ſeinem Gemaͤhlde anders wollte er-
ſcheinen laſſen, um eine andere Art von mahleriſcher
Wuͤrkung hervorzubringen. Er verbeſſerte nur die
Manier nicht die Kunſt der Nachahmung nach den
Regeln der Treue, und der individuellen Wahrheit.
Er hatte alſo immer nur Manier, aber man muß es
geſtehen, er hatte ſie mit einem Scheine von Wahr-
heit, der uͤber die Abweichung von der Natur in dem
Gemaͤhlde verblendet, oder wohl gar uns verleitet
die Gegenſtaͤnde in der Natur fernerhin mit dem Zu-
fatze zu ſehen, den wir aus dem Gemaͤhlde entlehnt
haben. Man koͤnnte den Guercino einen verbeſſer-
ten M. Angelo Carravaggio nennen. Weniger nie-
drig in der Wahl der Suͤjets und der Formen, war
er zugleich wahrer in den Theilen, die zu ihrer Dar-
ſtellung gehoͤren: allein er waͤhlte ſo wie dieſer nur
aus der Natur um ihn herum, kleidete ſo wie dieſer
ſeine Figuren aus der Troͤdelbude, und ſetzte endlich
ſo wie dieſer den Haupteindruck, den er von ſeinen
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/228>, abgerufen am 22.07.2024.
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