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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Ludovisi.
Gutherzigkeit in allen Gemählden dieses Meisters.
Große Verschiedenheit brachte er nicht in seine Köpfe;
er scheint für jedes Alter und Geschlecht ein oder zwei
Modelle gehabt zu haben. Die Formen der Körper
nahm er daher, wo er die Köpfe nahm, jedoch mit
Wahl. Die Weiber sind schlanke Bologneser Bau-
erdirnen, stark an Knochen und Muskeln, und wohl-
behalten an Fleisch. So auch die Männer. Seine
Zeichnung ist schwerfällig, aber gemeiniglich ohne
auffallende Unrichtigkeiten. Sein Colorit ohne je-
mals ganz wahr zu seyn, ist oft sehr angenehm, vor-
züglich in den helleren Stücken, in denen er dem
Guido gleich zu kommen trachtete. In den übrigen
aber wird man unnatürliche schwarze oder rothbraune
Schatten, violette Mitteltinten, und grellgelbe Lich-
ter finden. Seine Frescogemählde sind voller Stär-
ke, aber von conventioneller Farbe, zu gelb im Hel-
len, zu schwarz im Dunkeln.

Guercino bezaubert uns vorzüglich durch die
Ründung, die er seinen Figuren zu geben wußte.
Sie treten stark hervor. Auch vertheilte er zuweilen
das Licht mit Weisheit, aber oft beleidiget die Zer-
streuung, das Schneidende desselben die Augen.

Nächst dem Guido hat vielleicht niemand unter
den Italienern den Pinsel so sehr in seiner Gewalt ge-
habt, als Guercino. Seine Behandlung ist vor-
trefflich. Mit einem Nichts wußte er seinen Extre-
mitäten täuschende Wahrheit zu geben. Er hat
hohle Hände gemahlt, in die man greifen möchte.
So viel vermag die weise Besorgung des Details
ohne Nachtheil für das Ganze!

Unser
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Villa Ludoviſi.
Gutherzigkeit in allen Gemaͤhlden dieſes Meiſters.
Große Verſchiedenheit brachte er nicht in ſeine Koͤpfe;
er ſcheint fuͤr jedes Alter und Geſchlecht ein oder zwei
Modelle gehabt zu haben. Die Formen der Koͤrper
nahm er daher, wo er die Koͤpfe nahm, jedoch mit
Wahl. Die Weiber ſind ſchlanke Bologneſer Bau-
erdirnen, ſtark an Knochen und Muſkeln, und wohl-
behalten an Fleiſch. So auch die Maͤnner. Seine
Zeichnung iſt ſchwerfaͤllig, aber gemeiniglich ohne
auffallende Unrichtigkeiten. Sein Colorit ohne je-
mals ganz wahr zu ſeyn, iſt oft ſehr angenehm, vor-
zuͤglich in den helleren Stuͤcken, in denen er dem
Guido gleich zu kommen trachtete. In den uͤbrigen
aber wird man unnatuͤrliche ſchwarze oder rothbraune
Schatten, violette Mitteltinten, und grellgelbe Lich-
ter finden. Seine Freſcogemaͤhlde ſind voller Staͤr-
ke, aber von conventioneller Farbe, zu gelb im Hel-
len, zu ſchwarz im Dunkeln.

Guercino bezaubert uns vorzuͤglich durch die
Ruͤndung, die er ſeinen Figuren zu geben wußte.
Sie treten ſtark hervor. Auch vertheilte er zuweilen
das Licht mit Weisheit, aber oft beleidiget die Zer-
ſtreuung, das Schneidende deſſelben die Augen.

Naͤchſt dem Guido hat vielleicht niemand unter
den Italienern den Pinſel ſo ſehr in ſeiner Gewalt ge-
habt, als Guercino. Seine Behandlung iſt vor-
trefflich. Mit einem Nichts wußte er ſeinen Extre-
mitaͤten taͤuſchende Wahrheit zu geben. Er hat
hohle Haͤnde gemahlt, in die man greifen moͤchte.
So viel vermag die weiſe Beſorgung des Details
ohne Nachtheil fuͤr das Ganze!

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[213/0227] Villa Ludoviſi. Gutherzigkeit in allen Gemaͤhlden dieſes Meiſters. Große Verſchiedenheit brachte er nicht in ſeine Koͤpfe; er ſcheint fuͤr jedes Alter und Geſchlecht ein oder zwei Modelle gehabt zu haben. Die Formen der Koͤrper nahm er daher, wo er die Koͤpfe nahm, jedoch mit Wahl. Die Weiber ſind ſchlanke Bologneſer Bau- erdirnen, ſtark an Knochen und Muſkeln, und wohl- behalten an Fleiſch. So auch die Maͤnner. Seine Zeichnung iſt ſchwerfaͤllig, aber gemeiniglich ohne auffallende Unrichtigkeiten. Sein Colorit ohne je- mals ganz wahr zu ſeyn, iſt oft ſehr angenehm, vor- zuͤglich in den helleren Stuͤcken, in denen er dem Guido gleich zu kommen trachtete. In den uͤbrigen aber wird man unnatuͤrliche ſchwarze oder rothbraune Schatten, violette Mitteltinten, und grellgelbe Lich- ter finden. Seine Freſcogemaͤhlde ſind voller Staͤr- ke, aber von conventioneller Farbe, zu gelb im Hel- len, zu ſchwarz im Dunkeln. Guercino bezaubert uns vorzuͤglich durch die Ruͤndung, die er ſeinen Figuren zu geben wußte. Sie treten ſtark hervor. Auch vertheilte er zuweilen das Licht mit Weisheit, aber oft beleidiget die Zer- ſtreuung, das Schneidende deſſelben die Augen. Naͤchſt dem Guido hat vielleicht niemand unter den Italienern den Pinſel ſo ſehr in ſeiner Gewalt ge- habt, als Guercino. Seine Behandlung iſt vor- trefflich. Mit einem Nichts wußte er ſeinen Extre- mitaͤten taͤuſchende Wahrheit zu geben. Er hat hohle Haͤnde gemahlt, in die man greifen moͤchte. So viel vermag die weiſe Beſorgung des Details ohne Nachtheil fuͤr das Ganze! Unſer O 3

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/227>, abgerufen am 22.11.2024.