Wenn die Begeisterung, mit der Winkelmann über manches Werk spricht, nicht stets durch dessen Schönheit gerechtfertiget wird, so dürfen wir nicht glauben, daß er seine Einbildungskraft in Arbeit gesetzt habe, den Zuhörer durch ein erlogenes Feuer zu blenden. Nein! Seine schöne Seele war vieler Irrungen fähig, aber keines absichtlichen Betrugs. Es war Anhänglichkeit an dem Besitzer, an dem Urheber des Kunstwerks, es war Freude über einen feinen von ihm zuerst ausgefundenen Aufschluß über dessen Bedeutung, durch die sein Herz -- sein Ver- stand, in einen leidenschaftlichen Affekt versetzt wur- den, der an sich der Empfindniß des Schönen fremd, dennoch auf Rechnung derselben von dem Betrogenen gesetzt wurde.
Nur eine erkünstelte Begeisterung verdient unsere Verachtung, der Witz, der die Larve der Empfindung annimmt. Wenn Winkelmanns kalte Nachahmer unter uns Deutschen ihre erlogenen Ge- fühle in Ausrufungen und Bombast hüllen, die der gesunde Menschensinn verleugnet; wenn Italienische Abbati uns mit auswendig gelerntem Redeschmuck in Gallerien verfolgen; dann laßt uns diese verwün- schen! Und ich habe euch oft verwünscht, ihr Ueber- lästigen, die ihr mich von Bewunderung des Kunst- werks auf Bewunderung eurer schönen Beschreibung abzuziehen suchtet!
Warnung, das Urtheil anderer über Werke der
Inzwischen hat die gutherzige Schwärmerey den Nachtheil, daß unser Geschmack noch größere Gefahr läuft, in die Irre geführt zu werden, und es scheint daher hier der Ort zu seyn, einige Regeln
der
Villa Albani.
Wenn die Begeiſterung, mit der Winkelmann uͤber manches Werk ſpricht, nicht ſtets durch deſſen Schoͤnheit gerechtfertiget wird, ſo duͤrfen wir nicht glauben, daß er ſeine Einbildungskraft in Arbeit geſetzt habe, den Zuhoͤrer durch ein erlogenes Feuer zu blenden. Nein! Seine ſchoͤne Seele war vieler Irrungen faͤhig, aber keines abſichtlichen Betrugs. Es war Anhaͤnglichkeit an dem Beſitzer, an dem Urheber des Kunſtwerks, es war Freude uͤber einen feinen von ihm zuerſt ausgefundenen Aufſchluß uͤber deſſen Bedeutung, durch die ſein Herz — ſein Ver- ſtand, in einen leidenſchaftlichen Affekt verſetzt wur- den, der an ſich der Empfindniß des Schoͤnen fremd, dennoch auf Rechnung derſelben von dem Betrogenen geſetzt wurde.
Nur eine erkuͤnſtelte Begeiſterung verdient unſere Verachtung, der Witz, der die Larve der Empfindung annimmt. Wenn Winkelmanns kalte Nachahmer unter uns Deutſchen ihre erlogenen Ge- fuͤhle in Ausrufungen und Bombaſt huͤllen, die der geſunde Menſchenſinn verleugnet; wenn Italieniſche Abbati uns mit auswendig gelerntem Redeſchmuck in Gallerien verfolgen; dann laßt uns dieſe verwuͤn- ſchen! Und ich habe euch oft verwuͤnſcht, ihr Ueber- laͤſtigen, die ihr mich von Bewunderung des Kunſt- werks auf Bewunderung eurer ſchoͤnen Beſchreibung abzuziehen ſuchtet!
Warnung, das Urtheil anderer uͤber Werke der
Inzwiſchen hat die gutherzige Schwaͤrmerey den Nachtheil, daß unſer Geſchmack noch groͤßere Gefahr laͤuft, in die Irre gefuͤhrt zu werden, und es ſcheint daher hier der Ort zu ſeyn, einige Regeln
der
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Villa Albani.
Wenn die Begeiſterung, mit der Winkelmann
uͤber manches Werk ſpricht, nicht ſtets durch deſſen
Schoͤnheit gerechtfertiget wird, ſo duͤrfen wir nicht
glauben, daß er ſeine Einbildungskraft in Arbeit
geſetzt habe, den Zuhoͤrer durch ein erlogenes Feuer
zu blenden. Nein! Seine ſchoͤne Seele war vieler
Irrungen faͤhig, aber keines abſichtlichen Betrugs.
Es war Anhaͤnglichkeit an dem Beſitzer, an dem
Urheber des Kunſtwerks, es war Freude uͤber einen
feinen von ihm zuerſt ausgefundenen Aufſchluß uͤber
deſſen Bedeutung, durch die ſein Herz — ſein Ver-
ſtand, in einen leidenſchaftlichen Affekt verſetzt wur-
den, der an ſich der Empfindniß des Schoͤnen fremd,
dennoch auf Rechnung derſelben von dem Betrogenen
geſetzt wurde.
Nur eine erkuͤnſtelte Begeiſterung verdient
unſere Verachtung, der Witz, der die Larve der
Empfindung annimmt. Wenn Winkelmanns kalte
Nachahmer unter uns Deutſchen ihre erlogenen Ge-
fuͤhle in Ausrufungen und Bombaſt huͤllen, die der
geſunde Menſchenſinn verleugnet; wenn Italieniſche
Abbati uns mit auswendig gelerntem Redeſchmuck
in Gallerien verfolgen; dann laßt uns dieſe verwuͤn-
ſchen! Und ich habe euch oft verwuͤnſcht, ihr Ueber-
laͤſtigen, die ihr mich von Bewunderung des Kunſt-
werks auf Bewunderung eurer ſchoͤnen Beſchreibung
abzuziehen ſuchtet!
Inzwiſchen hat die gutherzige Schwaͤrmerey
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/16>, abgerufen am 24.07.2024.
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