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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Medicis.

greifenden Majestät, ohne Nachtheil für das An-
ziehende.
Der Kopf ist der interessanteste Theil. Dievon
Schmerz gezogenen Augenbraunen, der offene
Mund, dessen Unterlippe schlaff herabhängt, geben
einen Ausdruck, von dem man sich nach Gypsab-
drücken und Kupferstichen keinen Begriff macht,
der keine auch der kleinsten Abänderungen leiden
darf, ohne zur Carricatur zu werden, und der so
wie er da ist, das wahre Maaß der starren Furcht
enthält, der entseelten Angst, des Uebergangs zur
ohnmächtigen schlaffen Verzweiflung. Es ist ein
Charakter von unbeschreiblicher Größe über diesen
Kopf ausgegossen, und doch hat er schon gelitten
und ist stark mit Gyps ausgebessert. Die Brust
ist reif und voll, ohne hängend zu seyn.
Von dem Gesichte der Tochter, welche die Mut-
ter an sich gedrückt hält, ist wenig zu sehen: Aber
die Stellung ist reizend und dem Alter angemessen.
Einige haben die Gewänder getadelt, andere,
und unter diesen Winkelmann, haben das Ge-
wand der Mutter als ein Muster einer guten Be-
kleidung gepriesen. Diesen letzten kann ich nicht
beitreten. Das Gewand der Mutter liegt hart
an, wie nasses Leinen. Die Falten sind zu gerad-
linigt. Das Gewand der Tochter klebt dergestalt
an den Körper, daß die Streifen, welche die Fal-
ten ausdrücken sollen, Striemen ähneln, die in
die Haut geschnitten seyn könnten.
Neu sind an der Mutter: beide Arme, und der
Theil des Schleiers, welcher über den Arm gezo-
gen ist. An der Tochter der rechte Arm und das
linke Bein. Der hintere Theil ist nicht ausgear-
beitet, und zeigt, daß die Figur hinten an einer
Wand gestanden hat.
Eine

Villa Medicis.

greifenden Majeſtaͤt, ohne Nachtheil fuͤr das An-
ziehende.
Der Kopf iſt der intereſſanteſte Theil. Dievon
Schmerz gezogenen Augenbraunen, der offene
Mund, deſſen Unterlippe ſchlaff herabhaͤngt, geben
einen Ausdruck, von dem man ſich nach Gypsab-
druͤcken und Kupferſtichen keinen Begriff macht,
der keine auch der kleinſten Abaͤnderungen leiden
darf, ohne zur Carricatur zu werden, und der ſo
wie er da iſt, das wahre Maaß der ſtarren Furcht
enthaͤlt, der entſeelten Angſt, des Uebergangs zur
ohnmaͤchtigen ſchlaffen Verzweiflung. Es iſt ein
Charakter von unbeſchreiblicher Groͤße uͤber dieſen
Kopf ausgegoſſen, und doch hat er ſchon gelitten
und iſt ſtark mit Gyps ausgebeſſert. Die Bruſt
iſt reif und voll, ohne haͤngend zu ſeyn.
Von dem Geſichte der Tochter, welche die Mut-
ter an ſich gedruͤckt haͤlt, iſt wenig zu ſehen: Aber
die Stellung iſt reizend und dem Alter angemeſſen.
Einige haben die Gewaͤnder getadelt, andere,
und unter dieſen Winkelmann, haben das Ge-
wand der Mutter als ein Muſter einer guten Be-
kleidung geprieſen. Dieſen letzten kann ich nicht
beitreten. Das Gewand der Mutter liegt hart
an, wie naſſes Leinen. Die Falten ſind zu gerad-
linigt. Das Gewand der Tochter klebt dergeſtalt
an den Koͤrper, daß die Streifen, welche die Fal-
ten ausdruͤcken ſollen, Striemen aͤhneln, die in
die Haut geſchnitten ſeyn koͤnnten.
Neu ſind an der Mutter: beide Arme, und der
Theil des Schleiers, welcher uͤber den Arm gezo-
gen iſt. An der Tochter der rechte Arm und das
linke Bein. Der hintere Theil iſt nicht ausgear-
beitet, und zeigt, daß die Figur hinten an einer
Wand geſtanden hat.
Eine
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[139/0153] Villa Medicis. 1) 1) greifenden Majeſtaͤt, ohne Nachtheil fuͤr das An- ziehende. Der Kopf iſt der intereſſanteſte Theil. Dievon Schmerz gezogenen Augenbraunen, der offene Mund, deſſen Unterlippe ſchlaff herabhaͤngt, geben einen Ausdruck, von dem man ſich nach Gypsab- druͤcken und Kupferſtichen keinen Begriff macht, der keine auch der kleinſten Abaͤnderungen leiden darf, ohne zur Carricatur zu werden, und der ſo wie er da iſt, das wahre Maaß der ſtarren Furcht enthaͤlt, der entſeelten Angſt, des Uebergangs zur ohnmaͤchtigen ſchlaffen Verzweiflung. Es iſt ein Charakter von unbeſchreiblicher Groͤße uͤber dieſen Kopf ausgegoſſen, und doch hat er ſchon gelitten und iſt ſtark mit Gyps ausgebeſſert. Die Bruſt iſt reif und voll, ohne haͤngend zu ſeyn. Von dem Geſichte der Tochter, welche die Mut- ter an ſich gedruͤckt haͤlt, iſt wenig zu ſehen: Aber die Stellung iſt reizend und dem Alter angemeſſen. Einige haben die Gewaͤnder getadelt, andere, und unter dieſen Winkelmann, haben das Ge- wand der Mutter als ein Muſter einer guten Be- kleidung geprieſen. Dieſen letzten kann ich nicht beitreten. Das Gewand der Mutter liegt hart an, wie naſſes Leinen. Die Falten ſind zu gerad- linigt. Das Gewand der Tochter klebt dergeſtalt an den Koͤrper, daß die Streifen, welche die Fal- ten ausdruͤcken ſollen, Striemen aͤhneln, die in die Haut geſchnitten ſeyn koͤnnten. Neu ſind an der Mutter: beide Arme, und der Theil des Schleiers, welcher uͤber den Arm gezo- gen iſt. An der Tochter der rechte Arm und das linke Bein. Der hintere Theil iſt nicht ausgear- beitet, und zeigt, daß die Figur hinten an einer Wand geſtanden hat. Eine

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/153>, abgerufen am 27.11.2024.