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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787.

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Villa Negroni.
Seele in Nachdenken über vereitelte Plane, über
verirrte Wünsche und aufgegebene Hoffnungen ein-
lullt; girrt die Turteltaube zu meiner Seite.

Aber daß diese Stimmung nicht zur Schwer-
muth werde, lebt Alles um mich herum. Hier
eine Bauerhütte, dort ein prächtiges Casino.
Das Land ist einzeln an die Einwohner Roms aus-
gethan. Sie nutzen es theils zu Gartengewächsen,
theils -- so groß ist der Umfang dieser Villa mitten
in der Stadt! -- zu Weiden für Pferde, Kühe
und Schaafe. Der Hirt auf seinen Stab gelehnt
spielt mit seinem Hunde; die Heerden drängen sich
in Haufen zusammen, die Römerin setzt ihr Körb-
chen neben sich nieder, ihr Kind an ihre Brust zu
drücken, und ein Paar Liebende Arm in Arm ent-
gehen der Wachsamkeit ihrer strengen Aufseher unter
diesen Schatten. Wie verständlich dieser Ausdruck!
Wie mahlerisch das Alles, wenn nun der markige
Strahl der untergehenden Sonne darüber her
fährt!

Die Gewohnheit, von Jugend auf Alles in der
Natur wie ein Gemählde zu betrachten, jedes Ge-
mählde auf die Natur zurückzuführen, erregt meine
Dankbarkeit in allen Fällen, wo ich entweder die
Natur ohne Zusatz in einen Rahmen fassen könnte,
oder wo die hülfreiche Hand der Kunst mir in der
Natur ein Gemählde zubereitet hat.

Beides finde ich in der sogenannten Partie des
Michael Angelo,
dem nur die Verehrung der
Italiener für ein so viel umfassendes, und mit gros-
sen Ideen schwangeres Genie, die Erfindung dieses
Hügels beilegen konnte,

Eine

Villa Negroni.
Seele in Nachdenken uͤber vereitelte Plane, uͤber
verirrte Wuͤnſche und aufgegebene Hoffnungen ein-
lullt; girrt die Turteltaube zu meiner Seite.

Aber daß dieſe Stimmung nicht zur Schwer-
muth werde, lebt Alles um mich herum. Hier
eine Bauerhuͤtte, dort ein praͤchtiges Caſino.
Das Land iſt einzeln an die Einwohner Roms aus-
gethan. Sie nutzen es theils zu Gartengewaͤchſen,
theils — ſo groß iſt der Umfang dieſer Villa mitten
in der Stadt! — zu Weiden fuͤr Pferde, Kuͤhe
und Schaafe. Der Hirt auf ſeinen Stab gelehnt
ſpielt mit ſeinem Hunde; die Heerden draͤngen ſich
in Haufen zuſammen, die Roͤmerin ſetzt ihr Koͤrb-
chen neben ſich nieder, ihr Kind an ihre Bruſt zu
druͤcken, und ein Paar Liebende Arm in Arm ent-
gehen der Wachſamkeit ihrer ſtrengen Aufſeher unter
dieſen Schatten. Wie verſtaͤndlich dieſer Ausdruck!
Wie mahleriſch das Alles, wenn nun der markige
Strahl der untergehenden Sonne daruͤber her
faͤhrt!

Die Gewohnheit, von Jugend auf Alles in der
Natur wie ein Gemaͤhlde zu betrachten, jedes Ge-
maͤhlde auf die Natur zuruͤckzufuͤhren, erregt meine
Dankbarkeit in allen Faͤllen, wo ich entweder die
Natur ohne Zuſatz in einen Rahmen faſſen koͤnnte,
oder wo die huͤlfreiche Hand der Kunſt mir in der
Natur ein Gemaͤhlde zubereitet hat.

Beides finde ich in der ſogenannten Partie des
Michael Angelo,
dem nur die Verehrung der
Italiener fuͤr ein ſo viel umfaſſendes, und mit groſ-
ſen Ideen ſchwangeres Genie, die Erfindung dieſes
Huͤgels beilegen konnte,

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[112/0126] Villa Negroni. Seele in Nachdenken uͤber vereitelte Plane, uͤber verirrte Wuͤnſche und aufgegebene Hoffnungen ein- lullt; girrt die Turteltaube zu meiner Seite. Aber daß dieſe Stimmung nicht zur Schwer- muth werde, lebt Alles um mich herum. Hier eine Bauerhuͤtte, dort ein praͤchtiges Caſino. Das Land iſt einzeln an die Einwohner Roms aus- gethan. Sie nutzen es theils zu Gartengewaͤchſen, theils — ſo groß iſt der Umfang dieſer Villa mitten in der Stadt! — zu Weiden fuͤr Pferde, Kuͤhe und Schaafe. Der Hirt auf ſeinen Stab gelehnt ſpielt mit ſeinem Hunde; die Heerden draͤngen ſich in Haufen zuſammen, die Roͤmerin ſetzt ihr Koͤrb- chen neben ſich nieder, ihr Kind an ihre Bruſt zu druͤcken, und ein Paar Liebende Arm in Arm ent- gehen der Wachſamkeit ihrer ſtrengen Aufſeher unter dieſen Schatten. Wie verſtaͤndlich dieſer Ausdruck! Wie mahleriſch das Alles, wenn nun der markige Strahl der untergehenden Sonne daruͤber her faͤhrt! Die Gewohnheit, von Jugend auf Alles in der Natur wie ein Gemaͤhlde zu betrachten, jedes Ge- maͤhlde auf die Natur zuruͤckzufuͤhren, erregt meine Dankbarkeit in allen Faͤllen, wo ich entweder die Natur ohne Zuſatz in einen Rahmen faſſen koͤnnte, oder wo die huͤlfreiche Hand der Kunſt mir in der Natur ein Gemaͤhlde zubereitet hat. Beides finde ich in der ſogenannten Partie des Michael Angelo, dem nur die Verehrung der Italiener fuͤr ein ſo viel umfaſſendes, und mit groſ- ſen Ideen ſchwangeres Genie, die Erfindung dieſes Huͤgels beilegen konnte, Eine

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 2. Leipzig, 1787, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei02_1787/126>, abgerufen am 25.11.2024.