Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Vaticanische Pallast.
haben den vergötterten, den verklärten Hercules in
diesem Bruchstücke gesehen. Diese edle Bestimmung
scheint der Vortrefflichkeit der Arbeit würdig; und
wer würde dann noch weiter zweifeln, daß sie die ur-
sprüngliche gewesen sey?

Es ist bekannt, daß die Formen des menschlichen
Körpers aus einer unzählichen Menge von Erhöhun-
gen und Vertiefungen bestehen, die den Gliedmaaßen,
den Muskeln, der Haut das Wellenförmige, das
Ausgeschweifte, das in einander Fließende geben,
von denen in der Bildhauerarbeit Leben und Wahrheit
abzuhängen scheinen: Kein Werk des Meißels kömmt
hierin unserm Bruchstück bei. Von keiner Muskel
sieht man den Anfang oder das Ende, und dennoch
zeichnet sich eine jede mit der äußersten Bestimmtheit
dem Auge vor.

Der Rücken und die Schenkel haben mir die
schönsten Theile geschienen. Wenn man die Probe
machen will, bei zugeschlossenen Augen langsam mit
der Hand über die angezeigten Theile herzufahren,
wird man wahres Fleisch zu fühlen glauben. Mehr
will ich über die Schönheit dieses Werks nicht hinzu-
setzen. Man muß sehen, und schon viel gesehen
haben, um den ganzen Werth dieses Rumpfes zu füh-
len. Aber denjenigen, der ihn fühlt, muß ich dar-
auf zurückführen, daß es nicht Wichtigkeit der Be-
deutung, nicht Interesse des Ausdrucks ist, die seinen
Blick an dieses Bruchstück ohne Kopf, ohne Arme,
ohne Beine fesseln. Es ist das Wohlgefällige der
Gestalt, die körperliche Schönheit, verbunden mit
der Betrachtung der Geschicklichkeit des Künstlers, die
uns diesen Rumpf für unser Vergnügen so werth ma-

chen.
E 3

Der Vaticaniſche Pallaſt.
haben den vergoͤtterten, den verklaͤrten Hercules in
dieſem Bruchſtuͤcke geſehen. Dieſe edle Beſtimmung
ſcheint der Vortrefflichkeit der Arbeit wuͤrdig; und
wer wuͤrde dann noch weiter zweifeln, daß ſie die ur-
ſpruͤngliche geweſen ſey?

Es iſt bekannt, daß die Formen des menſchlichen
Koͤrpers aus einer unzaͤhlichen Menge von Erhoͤhun-
gen und Vertiefungen beſtehen, die den Gliedmaaßen,
den Muſkeln, der Haut das Wellenfoͤrmige, das
Ausgeſchweifte, das in einander Fließende geben,
von denen in der Bildhauerarbeit Leben und Wahrheit
abzuhaͤngen ſcheinen: Kein Werk des Meißels koͤmmt
hierin unſerm Bruchſtuͤck bei. Von keiner Muſkel
ſieht man den Anfang oder das Ende, und dennoch
zeichnet ſich eine jede mit der aͤußerſten Beſtimmtheit
dem Auge vor.

Der Ruͤcken und die Schenkel haben mir die
ſchoͤnſten Theile geſchienen. Wenn man die Probe
machen will, bei zugeſchloſſenen Augen langſam mit
der Hand uͤber die angezeigten Theile herzufahren,
wird man wahres Fleiſch zu fuͤhlen glauben. Mehr
will ich uͤber die Schoͤnheit dieſes Werks nicht hinzu-
ſetzen. Man muß ſehen, und ſchon viel geſehen
haben, um den ganzen Werth dieſes Rumpfes zu fuͤh-
len. Aber denjenigen, der ihn fuͤhlt, muß ich dar-
auf zuruͤckfuͤhren, daß es nicht Wichtigkeit der Be-
deutung, nicht Intereſſe des Ausdrucks iſt, die ſeinen
Blick an dieſes Bruchſtuͤck ohne Kopf, ohne Arme,
ohne Beine feſſeln. Es iſt das Wohlgefaͤllige der
Geſtalt, die koͤrperliche Schoͤnheit, verbunden mit
der Betrachtung der Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, die
uns dieſen Rumpf fuͤr unſer Vergnuͤgen ſo werth ma-

chen.
E 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0091" n="69"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Vaticani&#x017F;che Palla&#x017F;t.</hi></fw><lb/>
haben den vergo&#x0364;tterten, den verkla&#x0364;rten Hercules in<lb/>
die&#x017F;em Bruch&#x017F;tu&#x0364;cke ge&#x017F;ehen. Die&#x017F;e edle Be&#x017F;timmung<lb/>
&#x017F;cheint der Vortrefflichkeit der Arbeit wu&#x0364;rdig; und<lb/>
wer wu&#x0364;rde dann noch weiter zweifeln, daß &#x017F;ie die ur-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;ngliche gewe&#x017F;en &#x017F;ey?</p><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t bekannt, daß die Formen des men&#x017F;chlichen<lb/>
Ko&#x0364;rpers aus einer unza&#x0364;hlichen Menge von Erho&#x0364;hun-<lb/>
gen und Vertiefungen be&#x017F;tehen, die den Gliedmaaßen,<lb/>
den Mu&#x017F;keln, der Haut das Wellenfo&#x0364;rmige, das<lb/>
Ausge&#x017F;chweifte, das in einander Fließende geben,<lb/>
von denen in der Bildhauerarbeit Leben und Wahrheit<lb/>
abzuha&#x0364;ngen &#x017F;cheinen: Kein Werk des Meißels ko&#x0364;mmt<lb/>
hierin un&#x017F;erm Bruch&#x017F;tu&#x0364;ck bei. Von keiner Mu&#x017F;kel<lb/>
&#x017F;ieht man den Anfang oder das Ende, und dennoch<lb/>
zeichnet &#x017F;ich eine jede mit der a&#x0364;ußer&#x017F;ten Be&#x017F;timmtheit<lb/>
dem Auge vor.</p><lb/>
              <p>Der Ru&#x0364;cken und die Schenkel haben mir die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Theile ge&#x017F;chienen. Wenn man die Probe<lb/>
machen will, bei zuge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Augen lang&#x017F;am mit<lb/>
der Hand u&#x0364;ber die angezeigten Theile herzufahren,<lb/>
wird man wahres Flei&#x017F;ch zu fu&#x0364;hlen glauben. Mehr<lb/>
will ich u&#x0364;ber die Scho&#x0364;nheit die&#x017F;es Werks nicht hinzu-<lb/>
&#x017F;etzen. Man muß &#x017F;ehen, und &#x017F;chon viel ge&#x017F;ehen<lb/>
haben, um den ganzen Werth die&#x017F;es Rumpfes zu fu&#x0364;h-<lb/>
len. Aber denjenigen, der ihn fu&#x0364;hlt, muß ich dar-<lb/>
auf zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hren, daß es nicht Wichtigkeit der Be-<lb/>
deutung, nicht Intere&#x017F;&#x017F;e des Ausdrucks i&#x017F;t, die &#x017F;einen<lb/>
Blick an die&#x017F;es Bruch&#x017F;tu&#x0364;ck ohne Kopf, ohne Arme,<lb/>
ohne Beine fe&#x017F;&#x017F;eln. Es i&#x017F;t das Wohlgefa&#x0364;llige der<lb/>
Ge&#x017F;talt, die ko&#x0364;rperliche Scho&#x0364;nheit, verbunden mit<lb/>
der Betrachtung der Ge&#x017F;chicklichkeit des Ku&#x0364;n&#x017F;tlers, die<lb/>
uns die&#x017F;en Rumpf fu&#x0364;r un&#x017F;er Vergnu&#x0364;gen &#x017F;o werth ma-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 3</fw><fw place="bottom" type="catch">chen.</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0091] Der Vaticaniſche Pallaſt. haben den vergoͤtterten, den verklaͤrten Hercules in dieſem Bruchſtuͤcke geſehen. Dieſe edle Beſtimmung ſcheint der Vortrefflichkeit der Arbeit wuͤrdig; und wer wuͤrde dann noch weiter zweifeln, daß ſie die ur- ſpruͤngliche geweſen ſey? Es iſt bekannt, daß die Formen des menſchlichen Koͤrpers aus einer unzaͤhlichen Menge von Erhoͤhun- gen und Vertiefungen beſtehen, die den Gliedmaaßen, den Muſkeln, der Haut das Wellenfoͤrmige, das Ausgeſchweifte, das in einander Fließende geben, von denen in der Bildhauerarbeit Leben und Wahrheit abzuhaͤngen ſcheinen: Kein Werk des Meißels koͤmmt hierin unſerm Bruchſtuͤck bei. Von keiner Muſkel ſieht man den Anfang oder das Ende, und dennoch zeichnet ſich eine jede mit der aͤußerſten Beſtimmtheit dem Auge vor. Der Ruͤcken und die Schenkel haben mir die ſchoͤnſten Theile geſchienen. Wenn man die Probe machen will, bei zugeſchloſſenen Augen langſam mit der Hand uͤber die angezeigten Theile herzufahren, wird man wahres Fleiſch zu fuͤhlen glauben. Mehr will ich uͤber die Schoͤnheit dieſes Werks nicht hinzu- ſetzen. Man muß ſehen, und ſchon viel geſehen haben, um den ganzen Werth dieſes Rumpfes zu fuͤh- len. Aber denjenigen, der ihn fuͤhlt, muß ich dar- auf zuruͤckfuͤhren, daß es nicht Wichtigkeit der Be- deutung, nicht Intereſſe des Ausdrucks iſt, die ſeinen Blick an dieſes Bruchſtuͤck ohne Kopf, ohne Arme, ohne Beine feſſeln. Es iſt das Wohlgefaͤllige der Geſtalt, die koͤrperliche Schoͤnheit, verbunden mit der Betrachtung der Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, die uns dieſen Rumpf fuͤr unſer Vergnuͤgen ſo werth ma- chen. E 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/91
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/91>, abgerufen am 22.11.2024.