Obertheil sich hinten überbeugt, erhält durch diese Wendung die größte Schönheit.
Aber über Alles ist der Ausdruck zu bewundern. Das abwehrende Streben, die Spannung des Schmerzes zeigt sich in der Hauptfigur von der zusam- mengepreßten Stirn an, bis in die gestämmte Zehe mit gleicher Wahrheit in jeder auch der kleinsten Mus- kel. Ewig wird dies Stück dem Künstler ein Stu- dium des Knochenbaues, des Muskelnspiels und der Richtigkeit der Zeichnung bleiben. Wie muß der Gedanke: daß der Urheber dieses Werks nach keinem lebenden Modelle, das ihm in einer so gewaltsamen Anstrengung hätte sitzen können, gearbeitet hat, uns zur staunenden Bewunderung seiner Geschicklichkeit heben!
Die Seite, in welche die Schlange den Biß thut, wird für den schönsten Theil gehalten.
Sollten wir bei so viel Schönheiten, die der nackte Körper darbietet, dem Künstler, der einen opfernden Priester vorzustellen hatte, aus diesem nackten Körper ein Verbrechen machen? Ihm eine Verletzung des Costume, eine Unschicklichkeit vorwerfen? Doch! ein neuer scharfsichtiger Kunstrichter 7) glaubt, daß es nicht einst der Entschuldigung eines Mangels der Kleidung bedürfe. Die Gewänder sind würklich da. Sie liegen theils auf dem Würfel der Ara, theils flattern sie auf den Schultern der Söhne, und es läßt sich sehr natürlich annehmen, daß sie bei einer so
gewalt-
7) Hr. Hofr. Heyne am angef. Orte. S. 29. Die Kopf- binde, die er an den Gypsabgüssen bemerkt zu ha- ben glaubt, habe ich am Originale nicht gefunden.
Der Vaticaniſche Pallaſt.
Obertheil ſich hinten uͤberbeugt, erhaͤlt durch dieſe Wendung die groͤßte Schoͤnheit.
Aber uͤber Alles iſt der Ausdruck zu bewundern. Das abwehrende Streben, die Spannung des Schmerzes zeigt ſich in der Hauptfigur von der zuſam- mengepreßten Stirn an, bis in die geſtaͤmmte Zehe mit gleicher Wahrheit in jeder auch der kleinſten Muſ- kel. Ewig wird dies Stuͤck dem Kuͤnſtler ein Stu- dium des Knochenbaues, des Muſkelnſpiels und der Richtigkeit der Zeichnung bleiben. Wie muß der Gedanke: daß der Urheber dieſes Werks nach keinem lebenden Modelle, das ihm in einer ſo gewaltſamen Anſtrengung haͤtte ſitzen koͤnnen, gearbeitet hat, uns zur ſtaunenden Bewunderung ſeiner Geſchicklichkeit heben!
Die Seite, in welche die Schlange den Biß thut, wird fuͤr den ſchoͤnſten Theil gehalten.
Sollten wir bei ſo viel Schoͤnheiten, die der nackte Koͤrper darbietet, dem Kuͤnſtler, der einen opfernden Prieſter vorzuſtellen hatte, aus dieſem nackten Koͤrper ein Verbrechen machen? Ihm eine Verletzung des Coſtume, eine Unſchicklichkeit vorwerfen? Doch! ein neuer ſcharfſichtiger Kunſtrichter 7) glaubt, daß es nicht einſt der Entſchuldigung eines Mangels der Kleidung beduͤrfe. Die Gewaͤnder ſind wuͤrklich da. Sie liegen theils auf dem Wuͤrfel der Ara, theils flattern ſie auf den Schultern der Soͤhne, und es laͤßt ſich ſehr natuͤrlich annehmen, daß ſie bei einer ſo
gewalt-
7) Hr. Hofr. Heyne am angef. Orte. S. 29. Die Kopf- binde, die er an den Gypsabguͤſſen bemerkt zu ha- ben glaubt, habe ich am Originale nicht gefunden.
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
Obertheil ſich hinten uͤberbeugt, erhaͤlt durch dieſe
Wendung die groͤßte Schoͤnheit.
Aber uͤber Alles iſt der Ausdruck zu bewundern.
Das abwehrende Streben, die Spannung des
Schmerzes zeigt ſich in der Hauptfigur von der zuſam-
mengepreßten Stirn an, bis in die geſtaͤmmte Zehe
mit gleicher Wahrheit in jeder auch der kleinſten Muſ-
kel. Ewig wird dies Stuͤck dem Kuͤnſtler ein Stu-
dium des Knochenbaues, des Muſkelnſpiels und der
Richtigkeit der Zeichnung bleiben. Wie muß der
Gedanke: daß der Urheber dieſes Werks nach keinem
lebenden Modelle, das ihm in einer ſo gewaltſamen
Anſtrengung haͤtte ſitzen koͤnnen, gearbeitet hat, uns
zur ſtaunenden Bewunderung ſeiner Geſchicklichkeit
heben!
Die Seite, in welche die Schlange den Biß
thut, wird fuͤr den ſchoͤnſten Theil gehalten.
Sollten wir bei ſo viel Schoͤnheiten, die der nackte
Koͤrper darbietet, dem Kuͤnſtler, der einen opfernden
Prieſter vorzuſtellen hatte, aus dieſem nackten Koͤrper
ein Verbrechen machen? Ihm eine Verletzung des
Coſtume, eine Unſchicklichkeit vorwerfen? Doch!
ein neuer ſcharfſichtiger Kunſtrichter 7) glaubt, daß
es nicht einſt der Entſchuldigung eines Mangels der
Kleidung beduͤrfe. Die Gewaͤnder ſind wuͤrklich da.
Sie liegen theils auf dem Wuͤrfel der Ara, theils
flattern ſie auf den Schultern der Soͤhne, und es laͤßt
ſich ſehr natuͤrlich annehmen, daß ſie bei einer ſo
gewalt-
7) Hr. Hofr. Heyne am angef. Orte. S. 29. Die Kopf-
binde, die er an den Gypsabguͤſſen bemerkt zu ha-
ben glaubt, habe ich am Originale nicht gefunden.
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/84>, abgerufen am 23.07.2024.
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