+ Apollo. So wie ich zum ersten Mahle in meinem Leben an Genuas Küsten die Sonne sich aus dem Meere heben sah, so schwebte mir im Belvedere die Statue des Apollo entgegen. Es ergriff mich das Gefühl übermenschlicher Majestät, und ich ward bil- lig gegen die Sterblichen, die bei andern Lehrbegriffen sich vor dem Bilde eines höheren Wesens zur Anbe- tung niederwerfen können.
Der Eindruck, den das erhabenste Schauspiel in der Natur und die Darstellung des erhabensten Gei- stes durch menschliche Formen auf ähnliche Art in mir hervorgebracht haben; führt mich auf die Vermu- thung: Das Kunstwerk ist die symbolische Vorstel- lung eines Gegenstandes in der Natur, den die Kunst durch würkliche Nachahmung nur mangelhaft erreicht: Phöbus, der Beherrscher des Himmels, der seine ersten Strahlen auf die Erde schießt.
So dachte sich schon der Psalmist die aufgehende Sonne:
Sie kömmt hervor, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer,
Und freuet sich wie ein Held zu laufen den Weg.
Sicher! Kein Gleichniß ist dieses würksamsten und prächtigsten Gegenstandes in der Natur würdiger als der Mann, das Vollkommenste unter den leben- den Creaturen, an dessen ausgewachsenem Körper die Kindheit nichts Mangelhaftes übrig läßt, und dessen edle Seele, angefüllt mit großen Planen, Majestät über jede seiner Bewegungen verbreitet.
Hoheit der Seele ist der Ausdruck unsers Apollo. Aber Ausdruck der Hoheit, die an Stolz gränzt, wie
des
Der Vaticaniſche Pallaſt.
Apollo im Belvedere.
† Apollo. So wie ich zum erſten Mahle in meinem Leben an Genuas Kuͤſten die Sonne ſich aus dem Meere heben ſah, ſo ſchwebte mir im Belvedere die Statue des Apollo entgegen. Es ergriff mich das Gefuͤhl uͤbermenſchlicher Majeſtaͤt, und ich ward bil- lig gegen die Sterblichen, die bei andern Lehrbegriffen ſich vor dem Bilde eines hoͤheren Weſens zur Anbe- tung niederwerfen koͤnnen.
Der Eindruck, den das erhabenſte Schauſpiel in der Natur und die Darſtellung des erhabenſten Gei- ſtes durch menſchliche Formen auf aͤhnliche Art in mir hervorgebracht haben; fuͤhrt mich auf die Vermu- thung: Das Kunſtwerk iſt die ſymboliſche Vorſtel- lung eines Gegenſtandes in der Natur, den die Kunſt durch wuͤrkliche Nachahmung nur mangelhaft erreicht: Phoͤbus, der Beherrſcher des Himmels, der ſeine erſten Strahlen auf die Erde ſchießt.
So dachte ſich ſchon der Pſalmiſt die aufgehende Sonne:
Sie koͤmmt hervor, wie ein Braͤutigam aus ſeiner Kammer,
Und freuet ſich wie ein Held zu laufen den Weg.
Sicher! Kein Gleichniß iſt dieſes wuͤrkſamſten und praͤchtigſten Gegenſtandes in der Natur wuͤrdiger als der Mann, das Vollkommenſte unter den leben- den Creaturen, an deſſen ausgewachſenem Koͤrper die Kindheit nichts Mangelhaftes uͤbrig laͤßt, und deſſen edle Seele, angefuͤllt mit großen Planen, Majeſtaͤt uͤber jede ſeiner Bewegungen verbreitet.
Hoheit der Seele iſt der Ausdruck unſers Apollo. Aber Ausdruck der Hoheit, die an Stolz graͤnzt, wie
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
† Apollo. So wie ich zum erſten Mahle in
meinem Leben an Genuas Kuͤſten die Sonne ſich aus
dem Meere heben ſah, ſo ſchwebte mir im Belvedere
die Statue des Apollo entgegen. Es ergriff mich das
Gefuͤhl uͤbermenſchlicher Majeſtaͤt, und ich ward bil-
lig gegen die Sterblichen, die bei andern Lehrbegriffen
ſich vor dem Bilde eines hoͤheren Weſens zur Anbe-
tung niederwerfen koͤnnen.
Der Eindruck, den das erhabenſte Schauſpiel in
der Natur und die Darſtellung des erhabenſten Gei-
ſtes durch menſchliche Formen auf aͤhnliche Art in mir
hervorgebracht haben; fuͤhrt mich auf die Vermu-
thung: Das Kunſtwerk iſt die ſymboliſche Vorſtel-
lung eines Gegenſtandes in der Natur, den die
Kunſt durch wuͤrkliche Nachahmung nur mangelhaft
erreicht: Phoͤbus, der Beherrſcher des Himmels,
der ſeine erſten Strahlen auf die Erde ſchießt.
So dachte ſich ſchon der Pſalmiſt die aufgehende
Sonne:
Sie koͤmmt hervor, wie ein Braͤutigam aus
ſeiner Kammer,
Und freuet ſich wie ein Held zu laufen den
Weg.
Sicher! Kein Gleichniß iſt dieſes wuͤrkſamſten
und praͤchtigſten Gegenſtandes in der Natur wuͤrdiger
als der Mann, das Vollkommenſte unter den leben-
den Creaturen, an deſſen ausgewachſenem Koͤrper die
Kindheit nichts Mangelhaftes uͤbrig laͤßt, und deſſen
edle Seele, angefuͤllt mit großen Planen, Majeſtaͤt
uͤber jede ſeiner Bewegungen verbreitet.
Hoheit der Seele iſt der Ausdruck unſers Apollo.
Aber Ausdruck der Hoheit, die an Stolz graͤnzt, wie
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/72>, abgerufen am 23.07.2024.
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