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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Pallast Borghese.
eine Rolle spielt, modificiren sollte. Der Ausdruck
eines denkenden Wesens in Ruhe ist dem Tizian besser
und öfterer geglückt, als der Ausdruck einer bestimm-
ten Thätigkeit. Er mahlte viel Bildnisse, und stellte
den Menschen dar, wie er sich am bequemsten beob-
achten läßt.

In der Wahl seiner Formen folgte er der schönen
Natur seines Landes. Er mahlte seine Weiber mit
den Reitzen, die auf die gröbern Sinne Eindruck ma-
chen: nicht mit solchen, die den Geist entflammen.
Ein gewisser Nationalcharakter, den man in allen sei-
nen Köpfen wieder findet, macht diese ziemlich unter
einander ähnlich. Die Körper sind fleischigt, die Arme
stark, und die Finger etwas zu länglicht.

Tizians Kin-
der.

Tizians Kinder haben von jeher den größten
Künstlern zu Modellen gedient, und, wie man be-
hauptet, hatte er den Begriff der Schönheit dieses
Alters von ein Paar antiken Basreliefs in der Kirche
Sta. Maria de' Miracoli in Venedig entlehnt. 1 a)

Männer
1 a) Nachricht
von zwei an-
tiken Basre-
liefs mit
Amorinen
in Venedig.
Da, so viel mir bekannt ist, noch keine genaue
Nachricht über diese beiden Basreliefs gedruckt ist,
so will ich kurz die Bemerkungen, die ich darüber
bei meiner Durchreise durch Venedig zu machen
Gelegenheit gefunden habe, hieher setzen.
Sie stehen im Chor der Kirche St. Maria de'
Miracoli,
und stellen beide Amorinen vor, auf
jeglichem zwei, die mit den Waffen des Mars be-
laden sind. Dasjenige, auf welchem Amorinen
den Köcher des Gottes wegtragen, hat einen großen
Vorzug vor demjenigen, wo sie mit dem Wegschlep-
pen seines Schwerdtes beschäfftigt sind. Die Köpfe
sind

Pallaſt Borgheſe.
eine Rolle ſpielt, modificiren ſollte. Der Ausdruck
eines denkenden Weſens in Ruhe iſt dem Tizian beſſer
und oͤfterer gegluͤckt, als der Ausdruck einer beſtimm-
ten Thaͤtigkeit. Er mahlte viel Bildniſſe, und ſtellte
den Menſchen dar, wie er ſich am bequemſten beob-
achten laͤßt.

In der Wahl ſeiner Formen folgte er der ſchoͤnen
Natur ſeines Landes. Er mahlte ſeine Weiber mit
den Reitzen, die auf die groͤbern Sinne Eindruck ma-
chen: nicht mit ſolchen, die den Geiſt entflammen.
Ein gewiſſer Nationalcharakter, den man in allen ſei-
nen Koͤpfen wieder findet, macht dieſe ziemlich unter
einander aͤhnlich. Die Koͤrper ſind fleiſchigt, die Arme
ſtark, und die Finger etwas zu laͤnglicht.

Tizians Kin-
der.

Tizians Kinder haben von jeher den groͤßten
Kuͤnſtlern zu Modellen gedient, und, wie man be-
hauptet, hatte er den Begriff der Schoͤnheit dieſes
Alters von ein Paar antiken Basreliefs in der Kirche
Sta. Maria de’ Miracoli in Venedig entlehnt. 1 a)

Maͤnner
1 a) Nachricht
von zwei an-
tiken Basre-
liefs mit
Amorinen
in Venedig.
Da, ſo viel mir bekannt iſt, noch keine genaue
Nachricht uͤber dieſe beiden Basreliefs gedruckt iſt,
ſo will ich kurz die Bemerkungen, die ich daruͤber
bei meiner Durchreiſe durch Venedig zu machen
Gelegenheit gefunden habe, hieher ſetzen.
Sie ſtehen im Chor der Kirche St. Maria de’
Miracoli,
und ſtellen beide Amorinen vor, auf
jeglichem zwei, die mit den Waffen des Mars be-
laden ſind. Dasjenige, auf welchem Amorinen
den Koͤcher des Gottes wegtragen, hat einen großen
Vorzug vor demjenigen, wo ſie mit dem Wegſchlep-
pen ſeines Schwerdtes beſchaͤfftigt ſind. Die Koͤpfe
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[270/0292] Pallaſt Borgheſe. eine Rolle ſpielt, modificiren ſollte. Der Ausdruck eines denkenden Weſens in Ruhe iſt dem Tizian beſſer und oͤfterer gegluͤckt, als der Ausdruck einer beſtimm- ten Thaͤtigkeit. Er mahlte viel Bildniſſe, und ſtellte den Menſchen dar, wie er ſich am bequemſten beob- achten laͤßt. In der Wahl ſeiner Formen folgte er der ſchoͤnen Natur ſeines Landes. Er mahlte ſeine Weiber mit den Reitzen, die auf die groͤbern Sinne Eindruck ma- chen: nicht mit ſolchen, die den Geiſt entflammen. Ein gewiſſer Nationalcharakter, den man in allen ſei- nen Koͤpfen wieder findet, macht dieſe ziemlich unter einander aͤhnlich. Die Koͤrper ſind fleiſchigt, die Arme ſtark, und die Finger etwas zu laͤnglicht. Tizians Kinder haben von jeher den groͤßten Kuͤnſtlern zu Modellen gedient, und, wie man be- hauptet, hatte er den Begriff der Schoͤnheit dieſes Alters von ein Paar antiken Basreliefs in der Kirche Sta. Maria de’ Miracoli in Venedig entlehnt. 1 a) Maͤnner 1 a) Da, ſo viel mir bekannt iſt, noch keine genaue Nachricht uͤber dieſe beiden Basreliefs gedruckt iſt, ſo will ich kurz die Bemerkungen, die ich daruͤber bei meiner Durchreiſe durch Venedig zu machen Gelegenheit gefunden habe, hieher ſetzen. Sie ſtehen im Chor der Kirche St. Maria de’ Miracoli, und ſtellen beide Amorinen vor, auf jeglichem zwei, die mit den Waffen des Mars be- laden ſind. Dasjenige, auf welchem Amorinen den Koͤcher des Gottes wegtragen, hat einen großen Vorzug vor demjenigen, wo ſie mit dem Wegſchlep- pen ſeines Schwerdtes beſchaͤfftigt ſind. Die Koͤpfe ſind

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/292>, abgerufen am 23.11.2024.