Auf Münzen, auf Denkmählern, auf allen Werken, die wissenschaftliche Bedeutung, Belehrung, Aufbewahrung des Geschehenen zur Absicht haben, laufen Nutzen und Vergnügen in einander, und der Unterschied zwischen Symbol, Zeichen, und allegori- scher Vorstellung, schönem Bilde, wird, dem Zweck und der Verfahrungsart des Verfertigers nach, we- niger fühlbar. Hier tritt schriftliche und münd- liche Ueberlieferung dem Ausdruck des Bildes zur Seite: Die Enträthselung der Absicht macht keine Schwierigkeit, und sollte sie welche machen, so belohnt dafür der Vortheil der Belehrung, die Be- schäfftigung des Witzes in Aufspührung feiner Ver- hältnisse zwischen Bild und Gedanken. Geht dar- über der Eindruck der Schönheit verlohren, wohl! wir halten uns an den Gewinn von Ideen, die neu in unserm Kopfe aufsteigen.
Aber das Werk einer Kunst, welches den Sinn des Auges durch Schönheit der Gestalt vergnügen, das Herz durch den Ausdruck interessanter Affekten zur Mitempfindung einladen, und die Einbildungskraft durch Darstellung dessen, was sie sich als Bild zu denken gewohnt gewesen ist, ausfüllen, nicht spannen will; das Werk einer solchen Kunst, sage ich, muß auf den ersten Blick verstanden werden. Findet der Beschauer nicht in seiner eigenen Erfahrung den Schlüssel zu dessen Verständigung, soll er erst einen gelehrten Ausleger herbeirufen, über die Bedeutung nachsinnen und rathen, so geht seine Begierde, von der sichtbaren Vollkommenheit gerührt zu werden, verlohren, und das, was übrig bleibt, ist nicht Ver- gnügen seines Auges und seines Herzens, nicht Aus-
füllung
Der Vaticaniſche Pallaſt.
Auf Muͤnzen, auf Denkmaͤhlern, auf allen Werken, die wiſſenſchaftliche Bedeutung, Belehrung, Aufbewahrung des Geſchehenen zur Abſicht haben, laufen Nutzen und Vergnuͤgen in einander, und der Unterſchied zwiſchen Symbol, Zeichen, und allegori- ſcher Vorſtellung, ſchoͤnem Bilde, wird, dem Zweck und der Verfahrungsart des Verfertigers nach, we- niger fuͤhlbar. Hier tritt ſchriftliche und muͤnd- liche Ueberlieferung dem Ausdruck des Bildes zur Seite: Die Entraͤthſelung der Abſicht macht keine Schwierigkeit, und ſollte ſie welche machen, ſo belohnt dafuͤr der Vortheil der Belehrung, die Be- ſchaͤfftigung des Witzes in Aufſpuͤhrung feiner Ver- haͤltniſſe zwiſchen Bild und Gedanken. Geht dar- uͤber der Eindruck der Schoͤnheit verlohren, wohl! wir halten uns an den Gewinn von Ideen, die neu in unſerm Kopfe aufſteigen.
Aber das Werk einer Kunſt, welches den Sinn des Auges durch Schoͤnheit der Geſtalt vergnuͤgen, das Herz durch den Ausdruck intereſſanter Affekten zur Mitempfindung einladen, und die Einbildungskraft durch Darſtellung deſſen, was ſie ſich als Bild zu denken gewohnt geweſen iſt, ausfuͤllen, nicht ſpannen will; das Werk einer ſolchen Kunſt, ſage ich, muß auf den erſten Blick verſtanden werden. Findet der Beſchauer nicht in ſeiner eigenen Erfahrung den Schluͤſſel zu deſſen Verſtaͤndigung, ſoll er erſt einen gelehrten Ausleger herbeirufen, uͤber die Bedeutung nachſinnen und rathen, ſo geht ſeine Begierde, von der ſichtbaren Vollkommenheit geruͤhrt zu werden, verlohren, und das, was uͤbrig bleibt, iſt nicht Ver- gnuͤgen ſeines Auges und ſeines Herzens, nicht Aus-
fuͤllung
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
Auf Muͤnzen, auf Denkmaͤhlern, auf allen
Werken, die wiſſenſchaftliche Bedeutung, Belehrung,
Aufbewahrung des Geſchehenen zur Abſicht haben,
laufen Nutzen und Vergnuͤgen in einander, und der
Unterſchied zwiſchen Symbol, Zeichen, und allegori-
ſcher Vorſtellung, ſchoͤnem Bilde, wird, dem Zweck
und der Verfahrungsart des Verfertigers nach, we-
niger fuͤhlbar. Hier tritt ſchriftliche und muͤnd-
liche Ueberlieferung dem Ausdruck des Bildes zur
Seite: Die Entraͤthſelung der Abſicht macht keine
Schwierigkeit, und ſollte ſie welche machen, ſo
belohnt dafuͤr der Vortheil der Belehrung, die Be-
ſchaͤfftigung des Witzes in Aufſpuͤhrung feiner Ver-
haͤltniſſe zwiſchen Bild und Gedanken. Geht dar-
uͤber der Eindruck der Schoͤnheit verlohren, wohl!
wir halten uns an den Gewinn von Ideen, die neu in
unſerm Kopfe aufſteigen.
Aber das Werk einer Kunſt, welches den Sinn
des Auges durch Schoͤnheit der Geſtalt vergnuͤgen,
das Herz durch den Ausdruck intereſſanter Affekten
zur Mitempfindung einladen, und die Einbildungskraft
durch Darſtellung deſſen, was ſie ſich als Bild zu
denken gewohnt geweſen iſt, ausfuͤllen, nicht ſpannen
will; das Werk einer ſolchen Kunſt, ſage ich, muß
auf den erſten Blick verſtanden werden. Findet der
Beſchauer nicht in ſeiner eigenen Erfahrung den
Schluͤſſel zu deſſen Verſtaͤndigung, ſoll er erſt einen
gelehrten Ausleger herbeirufen, uͤber die Bedeutung
nachſinnen und rathen, ſo geht ſeine Begierde, von
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/212>, abgerufen am 25.11.2024.
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