+ Rund um den Plafond herum sieht man meh- rere Sybillen und Propheten in academischen Stellungen. Sie zeichnen sich durch eine repräsenti- rende Anmaaßung, durch eine Anstrengung von Kräften aus, deren Grund man nicht absieht, die über die Gränze der Wahrheit verstärkt ist.
Man sieht wohl ein, daß ein Mensch in einer ähnlichen Lage sich so stellen könnte, daß er sich aber gewiß nicht so stellen würde, wenn es ihm nicht dar- auf ankäme, recht bedeutungsvoll auszusehen.
Der Ausdruck in den Figuren des Michael An- gelo verhält sich zu dem Ausdrucke in den Figuren des Raphael, wie die Bewegung eines vorexercirenden Flügelmanns zu den Bewegungen eines Soldaten in Reihe und Glieder.
Camera de' Papiri mit einem PlafondCamera de- Papiri. von Anton Raphael Mengs.
Anton Raphael Mengs erhielt mit RaphaelAnton Ra- phael Mengs. Sanzio da Urbino beinahe dieselbe frühere Bildung. Auch er wurde jung an Treue der Nachahmung und sorgfältige Beobachtung der Verhältnisse gewöhnt, auch er besaß beinahe von seiner Kindheit an, ein Auge das richtig sahe, und eine Hand die willig folgte; die frühere Bekanntschaft mit den Meisterstü- cken der alten und der neueren Kunst hatte er vielleicht zum Voraus; er ward ein großer Mahler, ein brauchbarer Schriftsteller in seinem Fache; -- und ward kein Sanzio.
Es
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
† Rund um den Plafond herum ſieht man meh- rere Sybillen und Propheten in academiſchen Stellungen. Sie zeichnen ſich durch eine repraͤſenti- rende Anmaaßung, durch eine Anſtrengung von Kraͤften aus, deren Grund man nicht abſieht, die uͤber die Graͤnze der Wahrheit verſtaͤrkt iſt.
Man ſieht wohl ein, daß ein Menſch in einer aͤhnlichen Lage ſich ſo ſtellen koͤnnte, daß er ſich aber gewiß nicht ſo ſtellen wuͤrde, wenn es ihm nicht dar- auf ankaͤme, recht bedeutungsvoll auszuſehen.
Der Ausdruck in den Figuren des Michael An- gelo verhaͤlt ſich zu dem Ausdrucke in den Figuren des Raphael, wie die Bewegung eines vorexercirenden Fluͤgelmanns zu den Bewegungen eines Soldaten in Reihe und Glieder.
Camera de’ Papiri mit einem PlafondCamera de- Papiri. von Anton Raphael Mengs.
Anton Raphael Mengs erhielt mit RaphaelAnton Ra- phael Mengs. Sanzio da Urbino beinahe dieſelbe fruͤhere Bildung. Auch er wurde jung an Treue der Nachahmung und ſorgfaͤltige Beobachtung der Verhaͤltniſſe gewoͤhnt, auch er beſaß beinahe von ſeiner Kindheit an, ein Auge das richtig ſahe, und eine Hand die willig folgte; die fruͤhere Bekanntſchaft mit den Meiſterſtuͤ- cken der alten und der neueren Kunſt hatte er vielleicht zum Voraus; er ward ein großer Mahler, ein brauchbarer Schriftſteller in ſeinem Fache; — und ward kein Sanzio.
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
† Rund um den Plafond herum ſieht man meh-
rere Sybillen und Propheten in academiſchen
Stellungen. Sie zeichnen ſich durch eine repraͤſenti-
rende Anmaaßung, durch eine Anſtrengung von
Kraͤften aus, deren Grund man nicht abſieht, die
uͤber die Graͤnze der Wahrheit verſtaͤrkt iſt.
Man ſieht wohl ein, daß ein Menſch in einer
aͤhnlichen Lage ſich ſo ſtellen koͤnnte, daß er ſich aber
gewiß nicht ſo ſtellen wuͤrde, wenn es ihm nicht dar-
auf ankaͤme, recht bedeutungsvoll auszuſehen.
Der Ausdruck in den Figuren des Michael An-
gelo verhaͤlt ſich zu dem Ausdrucke in den Figuren des
Raphael, wie die Bewegung eines vorexercirenden
Fluͤgelmanns zu den Bewegungen eines Soldaten in
Reihe und Glieder.
Camera de’ Papiri mit einem Plafond
von Anton Raphael Mengs.
Anton Raphael Mengs erhielt mit Raphael
Sanzio da Urbino beinahe dieſelbe fruͤhere Bildung.
Auch er wurde jung an Treue der Nachahmung und
ſorgfaͤltige Beobachtung der Verhaͤltniſſe gewoͤhnt,
auch er beſaß beinahe von ſeiner Kindheit an, ein
Auge das richtig ſahe, und eine Hand die willig
folgte; die fruͤhere Bekanntſchaft mit den Meiſterſtuͤ-
cken der alten und der neueren Kunſt hatte er vielleicht
zum Voraus; er ward ein großer Mahler, ein
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ward kein Sanzio.
Anton Ra-
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/205>, abgerufen am 04.03.2025.
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