Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Vaticanische Pallast.

Hier steigt der Gerechte mit ruhiger Zuversicht
aus der Gruft hervor; dort betet ein anderer dankbar
an. Geliebte, Eltern und Kinder, Brüder und
Freunde erkennen sich wieder, eilen aufeinander zu,
und vergessen sich in ihren Umarmungen. Engel tra-
gen Gruppen von Seligen empor; der Weltrichter
reicht ihnen mit dem Ausdrucke der Güte die Hand
und schleudert mit zurückgewandter Rechte den Don-
ner auf die Verdammten, die man im Hintergrunde
erblickt. Dort erleuchten die leckenden Flammen des
feurigen Pfuhls die Scene des Grauses und des
Schreckens, hinreichend um sie zu erkennen, aber
nicht stark genung, um dem vordern Lichte zu schaden.

Unglückliche, die sich nun auf immer von demjeni-
gen getrennt sehen, was ihnen auf Erden das liebste
war, hülflos ihre Arme darnach ausstrecken; Andere,
die den Himmel verzweifelnd anklagen; Andere, die
mit neidischem Blicke auf die Seligen sich foltern,
stehen auf dem zweiten Plane, und leiten das Auge
in Verbindung mit dem Ganzen auf den Hintergrund,
wo der Donner des Allmächtigen die Frevler in den
feurigen Abgrund stürzt. --

Aber was findet man von diesen und andern
Ideen, wodurch dies Süjet so reich an interessanten
Eindrücken werden könnte, in diesem Gemählde?
Nichts! Es gleicht einer Beschreibung, wodurch
eine feurige und fruchtbare Einbildungskraft, die we-
der von Gefühl noch Geschmack geleitet wird, bei lan-
gen Winterabenden, horchenden Kindern und Wei-
bern, ein Grausen würde abjagen wollen.

Oben
Der Vaticaniſche Pallaſt.

Hier ſteigt der Gerechte mit ruhiger Zuverſicht
aus der Gruft hervor; dort betet ein anderer dankbar
an. Geliebte, Eltern und Kinder, Bruͤder und
Freunde erkennen ſich wieder, eilen aufeinander zu,
und vergeſſen ſich in ihren Umarmungen. Engel tra-
gen Gruppen von Seligen empor; der Weltrichter
reicht ihnen mit dem Ausdrucke der Guͤte die Hand
und ſchleudert mit zuruͤckgewandter Rechte den Don-
ner auf die Verdammten, die man im Hintergrunde
erblickt. Dort erleuchten die leckenden Flammen des
feurigen Pfuhls die Scene des Grauſes und des
Schreckens, hinreichend um ſie zu erkennen, aber
nicht ſtark genung, um dem vordern Lichte zu ſchaden.

Ungluͤckliche, die ſich nun auf immer von demjeni-
gen getrennt ſehen, was ihnen auf Erden das liebſte
war, huͤlflos ihre Arme darnach ausſtrecken; Andere,
die den Himmel verzweifelnd anklagen; Andere, die
mit neidiſchem Blicke auf die Seligen ſich foltern,
ſtehen auf dem zweiten Plane, und leiten das Auge
in Verbindung mit dem Ganzen auf den Hintergrund,
wo der Donner des Allmaͤchtigen die Frevler in den
feurigen Abgrund ſtuͤrzt. —

Aber was findet man von dieſen und andern
Ideen, wodurch dies Suͤjet ſo reich an intereſſanten
Eindruͤcken werden koͤnnte, in dieſem Gemaͤhlde?
Nichts! Es gleicht einer Beſchreibung, wodurch
eine feurige und fruchtbare Einbildungskraft, die we-
der von Gefuͤhl noch Geſchmack geleitet wird, bei lan-
gen Winterabenden, horchenden Kindern und Wei-
bern, ein Grauſen wuͤrde abjagen wollen.

Oben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0202" n="180"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Vaticani&#x017F;che Palla&#x017F;t.</hi> </fw><lb/>
              <p>Hier &#x017F;teigt der Gerechte mit ruhiger Zuver&#x017F;icht<lb/>
aus der Gruft hervor; dort betet ein anderer dankbar<lb/>
an. Geliebte, Eltern und Kinder, Bru&#x0364;der und<lb/>
Freunde erkennen &#x017F;ich wieder, eilen aufeinander zu,<lb/>
und verge&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich in ihren Umarmungen. Engel tra-<lb/>
gen Gruppen von Seligen empor; der Weltrichter<lb/>
reicht ihnen mit dem Ausdrucke der Gu&#x0364;te die Hand<lb/>
und &#x017F;chleudert mit zuru&#x0364;ckgewandter Rechte den Don-<lb/>
ner auf die Verdammten, die man im Hintergrunde<lb/>
erblickt. Dort erleuchten die leckenden Flammen des<lb/>
feurigen Pfuhls die Scene des Grau&#x017F;es und des<lb/>
Schreckens, hinreichend um &#x017F;ie zu erkennen, aber<lb/>
nicht &#x017F;tark genung, um dem vordern Lichte zu &#x017F;chaden.</p><lb/>
              <p>Unglu&#x0364;ckliche, die &#x017F;ich nun auf immer von demjeni-<lb/>
gen getrennt &#x017F;ehen, was ihnen auf Erden das lieb&#x017F;te<lb/>
war, hu&#x0364;lflos ihre Arme darnach aus&#x017F;trecken; Andere,<lb/>
die den Himmel verzweifelnd anklagen; Andere, die<lb/>
mit neidi&#x017F;chem Blicke auf die Seligen &#x017F;ich foltern,<lb/>
&#x017F;tehen auf dem zweiten Plane, und leiten das Auge<lb/>
in Verbindung mit dem Ganzen auf den Hintergrund,<lb/>
wo der Donner des Allma&#x0364;chtigen die Frevler in den<lb/>
feurigen Abgrund &#x017F;tu&#x0364;rzt. &#x2014;</p><lb/>
              <p>Aber was findet man von die&#x017F;en und andern<lb/>
Ideen, wodurch dies Su&#x0364;jet &#x017F;o reich an intere&#x017F;&#x017F;anten<lb/>
Eindru&#x0364;cken werden ko&#x0364;nnte, in die&#x017F;em Gema&#x0364;hlde?<lb/>
Nichts! Es gleicht einer Be&#x017F;chreibung, wodurch<lb/>
eine feurige und fruchtbare Einbildungskraft, die we-<lb/>
der von Gefu&#x0364;hl noch Ge&#x017F;chmack geleitet wird, bei lan-<lb/>
gen Winterabenden, horchenden Kindern und Wei-<lb/>
bern, ein Grau&#x017F;en wu&#x0364;rde abjagen wollen.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Oben</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0202] Der Vaticaniſche Pallaſt. Hier ſteigt der Gerechte mit ruhiger Zuverſicht aus der Gruft hervor; dort betet ein anderer dankbar an. Geliebte, Eltern und Kinder, Bruͤder und Freunde erkennen ſich wieder, eilen aufeinander zu, und vergeſſen ſich in ihren Umarmungen. Engel tra- gen Gruppen von Seligen empor; der Weltrichter reicht ihnen mit dem Ausdrucke der Guͤte die Hand und ſchleudert mit zuruͤckgewandter Rechte den Don- ner auf die Verdammten, die man im Hintergrunde erblickt. Dort erleuchten die leckenden Flammen des feurigen Pfuhls die Scene des Grauſes und des Schreckens, hinreichend um ſie zu erkennen, aber nicht ſtark genung, um dem vordern Lichte zu ſchaden. Ungluͤckliche, die ſich nun auf immer von demjeni- gen getrennt ſehen, was ihnen auf Erden das liebſte war, huͤlflos ihre Arme darnach ausſtrecken; Andere, die den Himmel verzweifelnd anklagen; Andere, die mit neidiſchem Blicke auf die Seligen ſich foltern, ſtehen auf dem zweiten Plane, und leiten das Auge in Verbindung mit dem Ganzen auf den Hintergrund, wo der Donner des Allmaͤchtigen die Frevler in den feurigen Abgrund ſtuͤrzt. — Aber was findet man von dieſen und andern Ideen, wodurch dies Suͤjet ſo reich an intereſſanten Eindruͤcken werden koͤnnte, in dieſem Gemaͤhlde? Nichts! Es gleicht einer Beſchreibung, wodurch eine feurige und fruchtbare Einbildungskraft, die we- der von Gefuͤhl noch Geſchmack geleitet wird, bei lan- gen Winterabenden, horchenden Kindern und Wei- bern, ein Grauſen wuͤrde abjagen wollen. Oben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/202
Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/202>, abgerufen am 24.11.2024.