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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.
Das jüngste, ein Sohn schreiet: Sein Alter scheint
kein anderes Gefühl des gegenwärtigen Uebels zu ken-
nen, als das, im Schlafe gestört zu seyn.

Auf der andern Seite zeigt sich mütterliche Liebe
in aller ihrer Stärke. Ein Weib reicht von der
Mauer eines Hauses, dessen Inneres schon die Flam-
men verzehrt haben, ihr Kind in Windeln dem unten
stehenden Vater herab. Mit welcher Behutsamkeit;
wie scheint sie nur zu fürchten, daß der Vater es nicht
gehörig auffange! Für sich fürchtet sie nicht die Flam-
men, die begleitet von dickem Rauch, schon über ih-
ren Kopf hinausschlagen. Die übrigen Bewohner
dieses Hauses haben es verlassen. Ein starker nervig-
ter Mann in der Blüthe der Jahre trägt den er-
schlafften, erstarrten Vater weg, der kaum noch
Kräfte genung hat, seinen Träger zu umklammern.
Ein muntrer Knabe, unbekümmert über seinen künf-
tigen Wohnort, -- ihm ist die ganze Welt offen --
geht rasch neben ihnen her. Aber das alte Weib mit
dem Korbe, in den sie einige Habseligkeiten in der
Eile gepackt hat, sieht traurend nach dem Orte zu-
rück, in dem sie ungern das Uebrige hat zurücklassen
müssen. Endlich läßt sich ein Jüngling, dessen Kör-
per Behendigkeit zeigt, von der Mauer herab. Diese
Handlung bewegt eine unten sitzende Mutter mit über-
gebeugtem Körper ihr Kind zu bedecken, damit der
herabspringende Mann beim Fallen dies einzige ihr
übrig gebliebene Kleinod nicht beschädige.

In der Mitte des Bildes spreitet eine weibliche
Figur ihre Hände kniend gegen den Pabst aus. Aber
das hülflose Alter des Kindes ist eher berechtigt Erbar-

men

Der Vaticaniſche Pallaſt.
Das juͤngſte, ein Sohn ſchreiet: Sein Alter ſcheint
kein anderes Gefuͤhl des gegenwaͤrtigen Uebels zu ken-
nen, als das, im Schlafe geſtoͤrt zu ſeyn.

Auf der andern Seite zeigt ſich muͤtterliche Liebe
in aller ihrer Staͤrke. Ein Weib reicht von der
Mauer eines Hauſes, deſſen Inneres ſchon die Flam-
men verzehrt haben, ihr Kind in Windeln dem unten
ſtehenden Vater herab. Mit welcher Behutſamkeit;
wie ſcheint ſie nur zu fuͤrchten, daß der Vater es nicht
gehoͤrig auffange! Fuͤr ſich fuͤrchtet ſie nicht die Flam-
men, die begleitet von dickem Rauch, ſchon uͤber ih-
ren Kopf hinausſchlagen. Die uͤbrigen Bewohner
dieſes Hauſes haben es verlaſſen. Ein ſtarker nervig-
ter Mann in der Bluͤthe der Jahre traͤgt den er-
ſchlafften, erſtarrten Vater weg, der kaum noch
Kraͤfte genung hat, ſeinen Traͤger zu umklammern.
Ein muntrer Knabe, unbekuͤmmert uͤber ſeinen kuͤnf-
tigen Wohnort, — ihm iſt die ganze Welt offen —
geht raſch neben ihnen her. Aber das alte Weib mit
dem Korbe, in den ſie einige Habſeligkeiten in der
Eile gepackt hat, ſieht traurend nach dem Orte zu-
ruͤck, in dem ſie ungern das Uebrige hat zuruͤcklaſſen
muͤſſen. Endlich laͤßt ſich ein Juͤngling, deſſen Koͤr-
per Behendigkeit zeigt, von der Mauer herab. Dieſe
Handlung bewegt eine unten ſitzende Mutter mit uͤber-
gebeugtem Koͤrper ihr Kind zu bedecken, damit der
herabſpringende Mann beim Fallen dies einzige ihr
uͤbrig gebliebene Kleinod nicht beſchaͤdige.

In der Mitte des Bildes ſpreitet eine weibliche
Figur ihre Haͤnde kniend gegen den Pabſt aus. Aber
das huͤlfloſe Alter des Kindes iſt eher berechtigt Erbar-

men
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[173/0195] Der Vaticaniſche Pallaſt. Das juͤngſte, ein Sohn ſchreiet: Sein Alter ſcheint kein anderes Gefuͤhl des gegenwaͤrtigen Uebels zu ken- nen, als das, im Schlafe geſtoͤrt zu ſeyn. Auf der andern Seite zeigt ſich muͤtterliche Liebe in aller ihrer Staͤrke. Ein Weib reicht von der Mauer eines Hauſes, deſſen Inneres ſchon die Flam- men verzehrt haben, ihr Kind in Windeln dem unten ſtehenden Vater herab. Mit welcher Behutſamkeit; wie ſcheint ſie nur zu fuͤrchten, daß der Vater es nicht gehoͤrig auffange! Fuͤr ſich fuͤrchtet ſie nicht die Flam- men, die begleitet von dickem Rauch, ſchon uͤber ih- ren Kopf hinausſchlagen. Die uͤbrigen Bewohner dieſes Hauſes haben es verlaſſen. Ein ſtarker nervig- ter Mann in der Bluͤthe der Jahre traͤgt den er- ſchlafften, erſtarrten Vater weg, der kaum noch Kraͤfte genung hat, ſeinen Traͤger zu umklammern. Ein muntrer Knabe, unbekuͤmmert uͤber ſeinen kuͤnf- tigen Wohnort, — ihm iſt die ganze Welt offen — geht raſch neben ihnen her. Aber das alte Weib mit dem Korbe, in den ſie einige Habſeligkeiten in der Eile gepackt hat, ſieht traurend nach dem Orte zu- ruͤck, in dem ſie ungern das Uebrige hat zuruͤcklaſſen muͤſſen. Endlich laͤßt ſich ein Juͤngling, deſſen Koͤr- per Behendigkeit zeigt, von der Mauer herab. Dieſe Handlung bewegt eine unten ſitzende Mutter mit uͤber- gebeugtem Koͤrper ihr Kind zu bedecken, damit der herabſpringende Mann beim Fallen dies einzige ihr uͤbrig gebliebene Kleinod nicht beſchaͤdige. In der Mitte des Bildes ſpreitet eine weibliche Figur ihre Haͤnde kniend gegen den Pabſt aus. Aber das huͤlfloſe Alter des Kindes iſt eher berechtigt Erbar- men

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/195>, abgerufen am 28.11.2024.