+ Anrede des Constantin an seine Solda- ten, gleichfalls von Raphael gezeichnet, und von Giulio Romano, wahrscheinlich mit einigen Zusätzen eigener Erfindung, ausgeführt.
Es ist der Augenblick gewählt, in welchem der Kaiser zuerst das Kreuz in der Luft erblickt, und seine Soldaten darauf aufmerksam macht.
Nimmt man diesen Zeitpunkt nicht an, so wird man in vielen Figuren auf diesem Bilde den Ausdruck des Erstaunens vermissen, den die Erscheinung noth- wendig auf sie hervorbringen mußte.
Es läßt sich einiges gegen die mahlerische Anord- nung dieses Bildes erinnern. Raphael, oder sein Schüler, denn diesem will Richardson die meisten Feh- ler dieses Gemähldes zur Last legen, hat antike Bas- reliefs dabei vor Augen gehabt; aber ein Basrelief ist kein Gemählde.
Ein Basrelief ist ungeschickt, die Würkungen der Harmonie der Farben, und des eigentlichen Helldun- keln hervorzubringen. Es ist nur einer sehr einge- schränkten Luft- und Linien-Perspektive fähig, und die eigentliche Zusammengruppirung thut nur sehr selten die gewünschte Würkung. Es stellet daher die Fi- guren meistens isolirt und neben einander dar. War- um aber soll das Gemählde dasjenige als Vorzug nachahmen, was Unvollkommenheit in dem ver- schwisterten Kunstwerke ist?
Der possierliche Zwerg am Rande dieses Bildes pflegt den Zuschauern am ersten aufzufallen. Freilich steht er in dieser ernsthaften Composition nicht an sei- ner Stelle. Allein ich weiß nicht, ob derjenige, der
für
Der Vaticaniſche Pallaſt.
† Anrede des Conſtantin an ſeine Solda- ten, gleichfalls von Raphael gezeichnet, und von Giulio Romano, wahrſcheinlich mit einigen Zuſaͤtzen eigener Erfindung, ausgefuͤhrt.
Es iſt der Augenblick gewaͤhlt, in welchem der Kaiſer zuerſt das Kreuz in der Luft erblickt, und ſeine Soldaten darauf aufmerkſam macht.
Nimmt man dieſen Zeitpunkt nicht an, ſo wird man in vielen Figuren auf dieſem Bilde den Ausdruck des Erſtaunens vermiſſen, den die Erſcheinung noth- wendig auf ſie hervorbringen mußte.
Es laͤßt ſich einiges gegen die mahleriſche Anord- nung dieſes Bildes erinnern. Raphael, oder ſein Schuͤler, denn dieſem will Richardſon die meiſten Feh- ler dieſes Gemaͤhldes zur Laſt legen, hat antike Bas- reliefs dabei vor Augen gehabt; aber ein Basrelief iſt kein Gemaͤhlde.
Ein Basrelief iſt ungeſchickt, die Wuͤrkungen der Harmonie der Farben, und des eigentlichen Helldun- keln hervorzubringen. Es iſt nur einer ſehr einge- ſchraͤnkten Luft- und Linien-Perſpektive faͤhig, und die eigentliche Zuſammengruppirung thut nur ſehr ſelten die gewuͤnſchte Wuͤrkung. Es ſtellet daher die Fi- guren meiſtens iſolirt und neben einander dar. War- um aber ſoll das Gemaͤhlde dasjenige als Vorzug nachahmen, was Unvollkommenheit in dem ver- ſchwiſterten Kunſtwerke iſt?
Der poſſierliche Zwerg am Rande dieſes Bildes pflegt den Zuſchauern am erſten aufzufallen. Freilich ſteht er in dieſer ernſthaften Compoſition nicht an ſei- ner Stelle. Allein ich weiß nicht, ob derjenige, der
fuͤr
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Der Vaticaniſche Pallaſt.
† Anrede des Conſtantin an ſeine Solda-
ten, gleichfalls von Raphael gezeichnet, und von
Giulio Romano, wahrſcheinlich mit einigen Zuſaͤtzen
eigener Erfindung, ausgefuͤhrt.
Es iſt der Augenblick gewaͤhlt, in welchem der
Kaiſer zuerſt das Kreuz in der Luft erblickt, und ſeine
Soldaten darauf aufmerkſam macht.
Nimmt man dieſen Zeitpunkt nicht an, ſo wird
man in vielen Figuren auf dieſem Bilde den Ausdruck
des Erſtaunens vermiſſen, den die Erſcheinung noth-
wendig auf ſie hervorbringen mußte.
Es laͤßt ſich einiges gegen die mahleriſche Anord-
nung dieſes Bildes erinnern. Raphael, oder ſein
Schuͤler, denn dieſem will Richardſon die meiſten Feh-
ler dieſes Gemaͤhldes zur Laſt legen, hat antike Bas-
reliefs dabei vor Augen gehabt; aber ein Basrelief
iſt kein Gemaͤhlde.
Ein Basrelief iſt ungeſchickt, die Wuͤrkungen der
Harmonie der Farben, und des eigentlichen Helldun-
keln hervorzubringen. Es iſt nur einer ſehr einge-
ſchraͤnkten Luft- und Linien-Perſpektive faͤhig, und die
eigentliche Zuſammengruppirung thut nur ſehr ſelten
die gewuͤnſchte Wuͤrkung. Es ſtellet daher die Fi-
guren meiſtens iſolirt und neben einander dar. War-
um aber ſoll das Gemaͤhlde dasjenige als Vorzug
nachahmen, was Unvollkommenheit in dem ver-
ſchwiſterten Kunſtwerke iſt?
Der poſſierliche Zwerg am Rande dieſes Bildes
pflegt den Zuſchauern am erſten aufzufallen. Freilich
ſteht er in dieſer ernſthaften Compoſition nicht an ſei-
ner Stelle. Allein ich weiß nicht, ob derjenige, der
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/166>, abgerufen am 16.02.2025.
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