armen Bettler durch ihre grausamen Vorwürfe Thränen aus, ehe sie ihm ein trocknes Stück Brodt zuwirft: Aber sie fastet alle Wochen einmal. Sie ist rachsüchtig, und wütet unversöhnlich, wenn sie beleidigt wird: Aber sie ist fromm.
Jch will es gestehen, es ist von mir ein großer Leichtsinn gewesen, daß ich Rosamunden Schuld gegeben habe, es sey ein Theil ihres Gottesdien- stes, wenn sie sich geputzt in der Kirche sehen läßt. Rosamunde thut in der Kirche mehr nicht, als was andre Frauenspersonen, an ihrem Nachttische thun. Sie bewundert sich, und läßt sich bewun- dern. Ein jeder, von welcher Secte er auch sey, verdient eine gewisse Hochachtung, wenn er das, was er in seiner Religion glauben soll, mit Ueber- zeugung, und mit einem bescheidnen Eifer glaubt: Und diese Hochachtung verdient Rosamunde dop- pelt. Sie hat es der Unterweisung ihrer Mutter, deren völliges Ebenbild sie ist, zu danken, daß sie von der Religion überhaupt sehr beqveme Begriffe, und insbesondere vom Sonntage diesen hat, daß er nichts anders sey, als ein gewisser Tag in der Woche, wo das Frauenzimmer zwo Stunden eher aufsteht, als an den andern Tagen, um sich die Haare auf das sorgfältigste frisiren zu lassen, und ein Kleid anzulegen, welches die andächtige Auf- merksamkeit der Nebenchristen auf sich ziehen kann, in deren Gesellschaft man drey Stunden lang stille
sitzt,
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und Ehrenerklaͤrung.
armen Bettler durch ihre grauſamen Vorwuͤrfe Thraͤnen aus, ehe ſie ihm ein trocknes Stuͤck Brodt zuwirft: Aber ſie faſtet alle Wochen einmal. Sie iſt rachſuͤchtig, und wuͤtet unverſoͤhnlich, wenn ſie beleidigt wird: Aber ſie iſt fromm.
Jch will es geſtehen, es iſt von mir ein großer Leichtſinn geweſen, daß ich Roſamunden Schuld gegeben habe, es ſey ein Theil ihres Gottesdien- ſtes, wenn ſie ſich geputzt in der Kirche ſehen laͤßt. Roſamunde thut in der Kirche mehr nicht, als was andre Frauensperſonen, an ihrem Nachttiſche thun. Sie bewundert ſich, und laͤßt ſich bewun- dern. Ein jeder, von welcher Secte er auch ſey, verdient eine gewiſſe Hochachtung, wenn er das, was er in ſeiner Religion glauben ſoll, mit Ueber- zeugung, und mit einem beſcheidnen Eifer glaubt: Und dieſe Hochachtung verdient Roſamunde dop- pelt. Sie hat es der Unterweiſung ihrer Mutter, deren voͤlliges Ebenbild ſie iſt, zu danken, daß ſie von der Religion uͤberhaupt ſehr beqveme Begriffe, und insbeſondere vom Sonntage dieſen hat, daß er nichts anders ſey, als ein gewiſſer Tag in der Woche, wo das Frauenzimmer zwo Stunden eher aufſteht, als an den andern Tagen, um ſich die Haare auf das ſorgfaͤltigſte friſiren zu laſſen, und ein Kleid anzulegen, welches die andaͤchtige Auf- merkſamkeit der Nebenchriſten auf ſich ziehen kann, in deren Geſellſchaft man drey Stunden lang ſtille
ſitzt,
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[593[591]/0615]
und Ehrenerklaͤrung.
armen Bettler durch ihre grauſamen Vorwuͤrfe
Thraͤnen aus, ehe ſie ihm ein trocknes Stuͤck Brodt
zuwirft: Aber ſie faſtet alle Wochen einmal. Sie
iſt rachſuͤchtig, und wuͤtet unverſoͤhnlich, wenn ſie
beleidigt wird: Aber ſie iſt fromm.
Jch will es geſtehen, es iſt von mir ein großer
Leichtſinn geweſen, daß ich Roſamunden Schuld
gegeben habe, es ſey ein Theil ihres Gottesdien-
ſtes, wenn ſie ſich geputzt in der Kirche ſehen laͤßt.
Roſamunde thut in der Kirche mehr nicht, als
was andre Frauensperſonen, an ihrem Nachttiſche
thun. Sie bewundert ſich, und laͤßt ſich bewun-
dern. Ein jeder, von welcher Secte er auch ſey,
verdient eine gewiſſe Hochachtung, wenn er das,
was er in ſeiner Religion glauben ſoll, mit Ueber-
zeugung, und mit einem beſcheidnen Eifer glaubt:
Und dieſe Hochachtung verdient Roſamunde dop-
pelt. Sie hat es der Unterweiſung ihrer Mutter,
deren voͤlliges Ebenbild ſie iſt, zu danken, daß ſie
von der Religion uͤberhaupt ſehr beqveme Begriffe,
und insbeſondere vom Sonntage dieſen hat, daß
er nichts anders ſey, als ein gewiſſer Tag in der
Woche, wo das Frauenzimmer zwo Stunden
eher aufſteht, als an den andern Tagen, um ſich
die Haare auf das ſorgfaͤltigſte friſiren zu laſſen, und
ein Kleid anzulegen, welches die andaͤchtige Auf-
merkſamkeit der Nebenchriſten auf ſich ziehen kann,
in deren Geſellſchaft man drey Stunden lang ſtille
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 593[591]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/615>, abgerufen am 24.11.2024.
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