[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.Abbitte mene etwas anders, als was wir alle Tage thun?Bey dem ersten Anblicke eines Menschen ist sein Anzug der entscheidende Umstand, ob wir ihn hoch schätzen, oder verachten sollen. Sind diese Vor- urtheile übereilt, so wird gemeiniglich viel Zeit, und ein genauer Umgang erfodert, wenn wir diese übereilten Vorurtheile ändern sollen. Ein vernünftiger Mensch wird die Gelegenheit zu der- gleichen Vorurtheilen wider sich vorsichtig vermei- den, und nach seinen Umständen den äußerlichen Putz sorgfältig einrichten, weil dieser allemal eher in die Augen fällt, als sein Verstand, den man erst suchen muß. Und doch will man Orimenen es übel nehmen, daß sie es ihre einzige Beschäff- tigung seyn läßt, den Anputz zu untersuchen, und nach solchem die Verdienste der Menschen zu be- stimmen? Jst dieses ein Fehler von ihr, so sind auch an diesem Fehler nur die Mannspersonen Schuld. Alle, die mit ihr umgegangen sind, ha- ben sich mehr von Spitzen und Stoffen mit ihr un- terhalten, als von ernsthaften Sachen. Ein je- der hat darinnen des andern besondern Geschmack zu übertreffen gesucht: Und weil ein jeder Eigen- liebe genug gehabt, Orimenen zu versichern, daß er Verstand und Verdienste besitze; so hat endlich Orimene glauben müssen, daß in dem äußerli- chen Anputze, und in der Kunst, selbigen zu be- urtheilen, Geschmack und Verdienste bestehen. Sind also wir Mannspersonen nicht die unglück- liche Ursache, daß Orimene alle ihre Tugenden dem Schneider und der Putzmacherinn zu danken hat,
Abbitte mene etwas anders, als was wir alle Tage thun?Bey dem erſten Anblicke eines Menſchen iſt ſein Anzug der entſcheidende Umſtand, ob wir ihn hoch ſchaͤtzen, oder verachten ſollen. Sind dieſe Vor- urtheile uͤbereilt, ſo wird gemeiniglich viel Zeit, und ein genauer Umgang erfodert, wenn wir dieſe uͤbereilten Vorurtheile aͤndern ſollen. Ein vernuͤnftiger Menſch wird die Gelegenheit zu der- gleichen Vorurtheilen wider ſich vorſichtig vermei- den, und nach ſeinen Umſtaͤnden den aͤußerlichen Putz ſorgfaͤltig einrichten, weil dieſer allemal eher in die Augen faͤllt, als ſein Verſtand, den man erſt ſuchen muß. Und doch will man Orimenen es uͤbel nehmen, daß ſie es ihre einzige Beſchaͤff- tigung ſeyn laͤßt, den Anputz zu unterſuchen, und nach ſolchem die Verdienſte der Menſchen zu be- ſtimmen? Jſt dieſes ein Fehler von ihr, ſo ſind auch an dieſem Fehler nur die Mannsperſonen Schuld. Alle, die mit ihr umgegangen ſind, ha- ben ſich mehr von Spitzen und Stoffen mit ihr un- terhalten, als von ernſthaften Sachen. Ein je- der hat darinnen des andern beſondern Geſchmack zu uͤbertreffen geſucht: Und weil ein jeder Eigen- liebe genug gehabt, Orimenen zu verſichern, daß er Verſtand und Verdienſte beſitze; ſo hat endlich Orimene glauben muͤſſen, daß in dem aͤußerli- chen Anputze, und in der Kunſt, ſelbigen zu be- urtheilen, Geſchmack und Verdienſte beſtehen. Sind alſo wir Mannsperſonen nicht die ungluͤck- liche Urſache, daß Orimene alle ihre Tugenden dem Schneider und der Putzmacherinn zu danken hat,
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Abbitte
mene etwas anders, als was wir alle Tage thun?
Bey dem erſten Anblicke eines Menſchen iſt ſein
Anzug der entſcheidende Umſtand, ob wir ihn hoch
ſchaͤtzen, oder verachten ſollen. Sind dieſe Vor-
urtheile uͤbereilt, ſo wird gemeiniglich viel Zeit,
und ein genauer Umgang erfodert, wenn wir
dieſe uͤbereilten Vorurtheile aͤndern ſollen. Ein
vernuͤnftiger Menſch wird die Gelegenheit zu der-
gleichen Vorurtheilen wider ſich vorſichtig vermei-
den, und nach ſeinen Umſtaͤnden den aͤußerlichen
Putz ſorgfaͤltig einrichten, weil dieſer allemal eher
in die Augen faͤllt, als ſein Verſtand, den man
erſt ſuchen muß. Und doch will man Orimenen
es uͤbel nehmen, daß ſie es ihre einzige Beſchaͤff-
tigung ſeyn laͤßt, den Anputz zu unterſuchen, und
nach ſolchem die Verdienſte der Menſchen zu be-
ſtimmen? Jſt dieſes ein Fehler von ihr, ſo ſind
auch an dieſem Fehler nur die Mannsperſonen
Schuld. Alle, die mit ihr umgegangen ſind, ha-
ben ſich mehr von Spitzen und Stoffen mit ihr un-
terhalten, als von ernſthaften Sachen. Ein je-
der hat darinnen des andern beſondern Geſchmack
zu uͤbertreffen geſucht: Und weil ein jeder Eigen-
liebe genug gehabt, Orimenen zu verſichern, daß
er Verſtand und Verdienſte beſitze; ſo hat endlich
Orimene glauben muͤſſen, daß in dem aͤußerli-
chen Anputze, und in der Kunſt, ſelbigen zu be-
urtheilen, Geſchmack und Verdienſte beſtehen.
Sind alſo wir Mannsperſonen nicht die ungluͤck-
liche Urſache, daß Orimene alle ihre Tugenden
dem Schneider und der Putzmacherinn zu danken
hat,
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