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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abbitte
zugeschnittenen Kleide, in neumodisch gekräusel-
ten Haaren, in einer unverschämten Lebhaftig-
keit, und in einem allerliebstartigen Faseln be-
stehen.

Gnade, Madame! Jch will mich auf den
Mund schlagen. Nur noch das einzigemal wir-
ken sie mir bey ihrem Geschlechte Vergebung
aus. Sehen sie meine Wahrheiten für un-
überlegte Jugendfehler an. Seit gestern bin
ich älter geworden; heute denke ich viel gründ-
licher, und weit gefälliger. Dieses ist mei-
ne Abbitte; sind sie damit zufrieden? - - Auch
noch einen Widerruf wollen sie haben? Gut!
Hier haben sie eine förmliche Palinodie: Fragen
sie Kallisten, was das heiße?



Hatte Selinde nicht Ursache, auf ihre Schön-
heit stolz zu seyn, da diese Schönheit ihren ganzen
Werth ausmacht, und da sie alle Tage hört, daß
man nichts, als diese Schönheit an ihr bewun-
dert? Schon in ihren ersten kindischen Jahren,
ward sie daran gewöhnt, daß man sie ein allerliebst
schönes Kind nannte. Jn den Jahren, wo die
Mädchen anfangen, die Aufmerksamkeit der
Mannspersonen zu verstehen, verdoppelten sich
diese Schmeicheleyen. Einer von ihren Anbetern
zerschmolz vor den feurigen Blicken ihrer stralen-
den Augen; ein anderer besang ihren Mund; der
dritte küßte ihre runde Hand mit einer ehrerbieti-
gen Entzückung; alle bewunderten ihre Schönheit,
und keiner sagte ein Wort von ihrem Verstande,

oder

Abbitte
zugeſchnittenen Kleide, in neumodiſch gekraͤuſel-
ten Haaren, in einer unverſchaͤmten Lebhaftig-
keit, und in einem allerliebſtartigen Faſeln be-
ſtehen.

Gnade, Madame! Jch will mich auf den
Mund ſchlagen. Nur noch das einzigemal wir-
ken ſie mir bey ihrem Geſchlechte Vergebung
aus. Sehen ſie meine Wahrheiten fuͤr un-
uͤberlegte Jugendfehler an. Seit geſtern bin
ich aͤlter geworden; heute denke ich viel gruͤnd-
licher, und weit gefaͤlliger. Dieſes iſt mei-
ne Abbitte; ſind ſie damit zufrieden? ‒ ‒ Auch
noch einen Widerruf wollen ſie haben? Gut!
Hier haben ſie eine foͤrmliche Palinodie: Fragen
ſie Kalliſten, was das heiße?



Hatte Selinde nicht Urſache, auf ihre Schoͤn-
heit ſtolz zu ſeyn, da dieſe Schoͤnheit ihren ganzen
Werth ausmacht, und da ſie alle Tage hoͤrt, daß
man nichts, als dieſe Schoͤnheit an ihr bewun-
dert? Schon in ihren erſten kindiſchen Jahren,
ward ſie daran gewoͤhnt, daß man ſie ein allerliebſt
ſchoͤnes Kind nannte. Jn den Jahren, wo die
Maͤdchen anfangen, die Aufmerkſamkeit der
Mannsperſonen zu verſtehen, verdoppelten ſich
dieſe Schmeicheleyen. Einer von ihren Anbetern
zerſchmolz vor den feurigen Blicken ihrer ſtralen-
den Augen; ein anderer beſang ihren Mund; der
dritte kuͤßte ihre runde Hand mit einer ehrerbieti-
gen Entzuͤckung; alle bewunderten ihre Schoͤnheit,
und keiner ſagte ein Wort von ihrem Verſtande,

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[580[578]/0602] Abbitte zugeſchnittenen Kleide, in neumodiſch gekraͤuſel- ten Haaren, in einer unverſchaͤmten Lebhaftig- keit, und in einem allerliebſtartigen Faſeln be- ſtehen. Gnade, Madame! Jch will mich auf den Mund ſchlagen. Nur noch das einzigemal wir- ken ſie mir bey ihrem Geſchlechte Vergebung aus. Sehen ſie meine Wahrheiten fuͤr un- uͤberlegte Jugendfehler an. Seit geſtern bin ich aͤlter geworden; heute denke ich viel gruͤnd- licher, und weit gefaͤlliger. Dieſes iſt mei- ne Abbitte; ſind ſie damit zufrieden? ‒ ‒ Auch noch einen Widerruf wollen ſie haben? Gut! Hier haben ſie eine foͤrmliche Palinodie: Fragen ſie Kalliſten, was das heiße? Hatte Selinde nicht Urſache, auf ihre Schoͤn- heit ſtolz zu ſeyn, da dieſe Schoͤnheit ihren ganzen Werth ausmacht, und da ſie alle Tage hoͤrt, daß man nichts, als dieſe Schoͤnheit an ihr bewun- dert? Schon in ihren erſten kindiſchen Jahren, ward ſie daran gewoͤhnt, daß man ſie ein allerliebſt ſchoͤnes Kind nannte. Jn den Jahren, wo die Maͤdchen anfangen, die Aufmerkſamkeit der Mannsperſonen zu verſtehen, verdoppelten ſich dieſe Schmeicheleyen. Einer von ihren Anbetern zerſchmolz vor den feurigen Blicken ihrer ſtralen- den Augen; ein anderer beſang ihren Mund; der dritte kuͤßte ihre runde Hand mit einer ehrerbieti- gen Entzuͤckung; alle bewunderten ihre Schoͤnheit, und keiner ſagte ein Wort von ihrem Verſtande, oder

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 580[578]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/602>, abgerufen am 23.11.2024.