Großvater haben bringen können. Hier sitzt er im Lehnstuhle, und überdenkt sein Glück, und das Glück seiner Kinder, bis auf die spätesten Urenkel. Seine Frau hängt ihm zärtlich am Halse, und dankt Gott und ihrem Manne, daß sie den heuti- gen großen Tag noch hat erleben können. Der glückliche Polydor! Vier Wochen wird das ganze Land von nichts reden, als von ihm. Seine Feinde werden vor Verdruß rasen, und seine Freun- de werden stolz seyn, daß sie seine Freunde sind. Er wird auch noch immer ihr Freund seyn, ob es ihm gleich seine Umstände nicht erlauben, so ver- traut mit ihnen umzugehen, wie vorher. Er muß den Hof schonen; denn nunmehr giebt der Hof auf alle seine Schritte Acht. Was ist denn das für ein schreckliches Glück, das Polydor heute erlebt hat? Er hat sich für 3000 Gulden Ahnen gekauft.
34.
Nun wird die Sache schon anders gehen. Sempron(43) kömmt eben itzt vom Rathhause, und hat eine Klage übergeben. Sein Nachbar soll es schon erfahren, daß er das Recht nicht hat, in Semprons Hof zu sehen. Wenn er mir fol- gen wollte; so würde er es ihm nicht verwehren. Aber sein Advocat hat es ihm aus einem großen Folianten bewiesen, daß er gerechte Sache hat, und daß der Streit in vier Wochen entschieden seyn muß. Auf den ersten April 1775. wird sich
Sem-
(43) Der streitbare S - -.
Das Maͤrchen vom erſten April.
Großvater haben bringen koͤnnen. Hier ſitzt er im Lehnſtuhle, und uͤberdenkt ſein Gluͤck, und das Gluͤck ſeiner Kinder, bis auf die ſpaͤteſten Urenkel. Seine Frau haͤngt ihm zaͤrtlich am Halſe, und dankt Gott und ihrem Manne, daß ſie den heuti- gen großen Tag noch hat erleben koͤnnen. Der gluͤckliche Polydor! Vier Wochen wird das ganze Land von nichts reden, als von ihm. Seine Feinde werden vor Verdruß raſen, und ſeine Freun- de werden ſtolz ſeyn, daß ſie ſeine Freunde ſind. Er wird auch noch immer ihr Freund ſeyn, ob es ihm gleich ſeine Umſtaͤnde nicht erlauben, ſo ver- traut mit ihnen umzugehen, wie vorher. Er muß den Hof ſchonen; denn nunmehr giebt der Hof auf alle ſeine Schritte Acht. Was iſt denn das fuͤr ein ſchreckliches Gluͤck, das Polydor heute erlebt hat? Er hat ſich fuͤr 3000 Gulden Ahnen gekauft.
34.
Nun wird die Sache ſchon anders gehen. Sempron(43) koͤmmt eben itzt vom Rathhauſe, und hat eine Klage uͤbergeben. Sein Nachbar ſoll es ſchon erfahren, daß er das Recht nicht hat, in Semprons Hof zu ſehen. Wenn er mir fol- gen wollte; ſo wuͤrde er es ihm nicht verwehren. Aber ſein Advocat hat es ihm aus einem großen Folianten bewieſen, daß er gerechte Sache hat, und daß der Streit in vier Wochen entſchieden ſeyn muß. Auf den erſten April 1775. wird ſich
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(43) Der ſtreitbare S ‒ ‒.
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[534[532]/0556]
Das Maͤrchen vom erſten April.
Großvater haben bringen koͤnnen. Hier ſitzt er
im Lehnſtuhle, und uͤberdenkt ſein Gluͤck, und das
Gluͤck ſeiner Kinder, bis auf die ſpaͤteſten Urenkel.
Seine Frau haͤngt ihm zaͤrtlich am Halſe, und
dankt Gott und ihrem Manne, daß ſie den heuti-
gen großen Tag noch hat erleben koͤnnen. Der
gluͤckliche Polydor! Vier Wochen wird das ganze
Land von nichts reden, als von ihm. Seine
Feinde werden vor Verdruß raſen, und ſeine Freun-
de werden ſtolz ſeyn, daß ſie ſeine Freunde ſind.
Er wird auch noch immer ihr Freund ſeyn, ob es
ihm gleich ſeine Umſtaͤnde nicht erlauben, ſo ver-
traut mit ihnen umzugehen, wie vorher. Er
muß den Hof ſchonen; denn nunmehr giebt der
Hof auf alle ſeine Schritte Acht. Was iſt denn
das fuͤr ein ſchreckliches Gluͤck, das Polydor heute
erlebt hat? Er hat ſich fuͤr 3000 Gulden Ahnen
gekauft.
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Nun wird die Sache ſchon anders gehen.
Sempron (43) koͤmmt eben itzt vom Rathhauſe,
und hat eine Klage uͤbergeben. Sein Nachbar
ſoll es ſchon erfahren, daß er das Recht nicht hat,
in Semprons Hof zu ſehen. Wenn er mir fol-
gen wollte; ſo wuͤrde er es ihm nicht verwehren.
Aber ſein Advocat hat es ihm aus einem großen
Folianten bewieſen, daß er gerechte Sache hat,
und daß der Streit in vier Wochen entſchieden
ſeyn muß. Auf den erſten April 1775. wird ſich
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 534[532]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/556>, abgerufen am 20.11.2024.
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