sehr, als daß ich von dir verlangen sollte, mich zu lieben. Lebe ohne mich vergnügt.
T' Siamma, welcher Zeit gehabt hatte, sich von seiner ersten Betäubung zu erhohlen, ward durch diese Anrede empfindlich gerührt. Er nahm sie bey der Hand, umarmte sie, und schwur, sie ewig zu lieben. Die feyerliche Vermählung ward vollzogen. T' Siamma bewunderte seine Gemahlinn; aber der Pöbel in Chiekock sang spöttische Lieder von seiner neuen Königinn. Sie erfuhr es, und lachte; denn ein Weiser lacht mit- leidig über den Witz des Pöbels. Sie bemühte sich, ihrem Gemahle zu gefallen; und dieser war so weise und gerecht, daß er ihre Verdienste bald einsah, und sie mit Hochachtung liebte. Sie be- mühete sich auch, das Volk von ihrer Tugend und ihrem Verstande zu überführen; und diese Mühe blieb vergebens, denn sie war häßlich. Lag sie in dem Tempel vor ihren Göttern, und betete an- dächtig; so sagten die starken Geister zu Chiekock, daß sie, wie der fromme Pöbel, andächtig bete, weil sie nicht vernünftig denken könne. Redete sie, wie der weiseste Bramine von den Göttern, von der Natur, und von den heiligsten Pflichten der Menschen; so nannte man sie eine traurige Pedantinn. War sie gefällig und freundlich ge- gen die, mit denen sie sprach; so gab man ihr eine gemeine und niedrige Aufführung Schuld. War sie freygebig; so nannte man es eine übelange- brachte Verschwendung. Mit einem Worte:
Der
Das Maͤrchen vom erſten April.
ſehr, als daß ich von dir verlangen ſollte, mich zu lieben. Lebe ohne mich vergnuͤgt.
T’ Siamma, welcher Zeit gehabt hatte, ſich von ſeiner erſten Betaͤubung zu erhohlen, ward durch dieſe Anrede empfindlich geruͤhrt. Er nahm ſie bey der Hand, umarmte ſie, und ſchwur, ſie ewig zu lieben. Die feyerliche Vermaͤhlung ward vollzogen. T’ Siamma bewunderte ſeine Gemahlinn; aber der Poͤbel in Chiekock ſang ſpoͤttiſche Lieder von ſeiner neuen Koͤniginn. Sie erfuhr es, und lachte; denn ein Weiſer lacht mit- leidig uͤber den Witz des Poͤbels. Sie bemuͤhte ſich, ihrem Gemahle zu gefallen; und dieſer war ſo weiſe und gerecht, daß er ihre Verdienſte bald einſah, und ſie mit Hochachtung liebte. Sie be- muͤhete ſich auch, das Volk von ihrer Tugend und ihrem Verſtande zu uͤberfuͤhren; und dieſe Muͤhe blieb vergebens, denn ſie war haͤßlich. Lag ſie in dem Tempel vor ihren Goͤttern, und betete an- daͤchtig; ſo ſagten die ſtarken Geiſter zu Chiekock, daß ſie, wie der fromme Poͤbel, andaͤchtig bete, weil ſie nicht vernuͤnftig denken koͤnne. Redete ſie, wie der weiſeſte Bramine von den Goͤttern, von der Natur, und von den heiligſten Pflichten der Menſchen; ſo nannte man ſie eine traurige Pedantinn. War ſie gefaͤllig und freundlich ge- gen die, mit denen ſie ſprach; ſo gab man ihr eine gemeine und niedrige Auffuͤhrung Schuld. War ſie freygebig; ſo nannte man es eine uͤbelange- brachte Verſchwendung. Mit einem Worte:
Der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0502"n="480[478]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Maͤrchen vom erſten April.</hi></fw><lb/>ſehr, als daß ich von dir verlangen ſollte, mich zu<lb/>
lieben. Lebe ohne mich vergnuͤgt.</p><lb/><p><hirendition="#fr">T’ Siamma,</hi> welcher Zeit gehabt hatte, ſich<lb/>
von ſeiner erſten Betaͤubung zu erhohlen, ward<lb/>
durch dieſe Anrede empfindlich geruͤhrt. Er<lb/>
nahm ſie bey der Hand, umarmte ſie, und ſchwur,<lb/>ſie ewig zu lieben. Die feyerliche Vermaͤhlung<lb/>
ward vollzogen. <hirendition="#fr">T’ Siamma</hi> bewunderte ſeine<lb/>
Gemahlinn; aber der Poͤbel in <hirendition="#fr">Chiekock</hi>ſang<lb/>ſpoͤttiſche Lieder von ſeiner neuen Koͤniginn. Sie<lb/>
erfuhr es, und lachte; denn ein Weiſer lacht mit-<lb/>
leidig uͤber den Witz des Poͤbels. Sie bemuͤhte<lb/>ſich, ihrem Gemahle zu gefallen; und dieſer war<lb/>ſo weiſe und gerecht, daß er ihre Verdienſte bald<lb/>
einſah, und ſie mit Hochachtung liebte. Sie be-<lb/>
muͤhete ſich auch, das Volk von ihrer Tugend und<lb/>
ihrem Verſtande zu uͤberfuͤhren; und dieſe Muͤhe<lb/>
blieb vergebens, denn ſie war haͤßlich. Lag ſie<lb/>
in dem Tempel vor ihren Goͤttern, und betete an-<lb/>
daͤchtig; ſo ſagten die ſtarken Geiſter zu <hirendition="#fr">Chiekock,</hi><lb/>
daß ſie, wie der fromme Poͤbel, andaͤchtig bete,<lb/>
weil ſie nicht vernuͤnftig denken koͤnne. Redete<lb/>ſie, wie der weiſeſte <hirendition="#fr">Bramine</hi> von den Goͤttern,<lb/>
von der Natur, und von den heiligſten Pflichten<lb/>
der Menſchen; ſo nannte man ſie eine traurige<lb/>
Pedantinn. War ſie gefaͤllig und freundlich ge-<lb/>
gen die, mit denen ſie ſprach; ſo gab man ihr eine<lb/>
gemeine und niedrige Auffuͤhrung Schuld. War<lb/>ſie freygebig; ſo nannte man es eine uͤbelange-<lb/>
brachte Verſchwendung. Mit einem Worte:<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[480[478]/0502]
Das Maͤrchen vom erſten April.
ſehr, als daß ich von dir verlangen ſollte, mich zu
lieben. Lebe ohne mich vergnuͤgt.
T’ Siamma, welcher Zeit gehabt hatte, ſich
von ſeiner erſten Betaͤubung zu erhohlen, ward
durch dieſe Anrede empfindlich geruͤhrt. Er
nahm ſie bey der Hand, umarmte ſie, und ſchwur,
ſie ewig zu lieben. Die feyerliche Vermaͤhlung
ward vollzogen. T’ Siamma bewunderte ſeine
Gemahlinn; aber der Poͤbel in Chiekock ſang
ſpoͤttiſche Lieder von ſeiner neuen Koͤniginn. Sie
erfuhr es, und lachte; denn ein Weiſer lacht mit-
leidig uͤber den Witz des Poͤbels. Sie bemuͤhte
ſich, ihrem Gemahle zu gefallen; und dieſer war
ſo weiſe und gerecht, daß er ihre Verdienſte bald
einſah, und ſie mit Hochachtung liebte. Sie be-
muͤhete ſich auch, das Volk von ihrer Tugend und
ihrem Verſtande zu uͤberfuͤhren; und dieſe Muͤhe
blieb vergebens, denn ſie war haͤßlich. Lag ſie
in dem Tempel vor ihren Goͤttern, und betete an-
daͤchtig; ſo ſagten die ſtarken Geiſter zu Chiekock,
daß ſie, wie der fromme Poͤbel, andaͤchtig bete,
weil ſie nicht vernuͤnftig denken koͤnne. Redete
ſie, wie der weiſeſte Bramine von den Goͤttern,
von der Natur, und von den heiligſten Pflichten
der Menſchen; ſo nannte man ſie eine traurige
Pedantinn. War ſie gefaͤllig und freundlich ge-
gen die, mit denen ſie ſprach; ſo gab man ihr eine
gemeine und niedrige Auffuͤhrung Schuld. War
ſie freygebig; ſo nannte man es eine uͤbelange-
brachte Verſchwendung. Mit einem Worte:
Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 480[478]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/502>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.