Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Märchen vom ersten April.
Aber man stelle sich auch das Schrecken vor, das
ihn überfiel, als er die unangenehmste und häßlich-
ste Gestalt vor sich erblickte. Ein übelverwachse-
ner Zwerg mit einem kahlen Haupte, einer gerun-
zelten und mit Haaren bewachsenen Stirne, trie-
fenden und schielenden Augen, herabhangenden
welken Backen, einem spitzigen Kinne, und her-
vorragenden schwarzen Zähnen; das war die Ge-
stalt der göttlichen Zizizi.

T' Siamma blieb einige Minuten unbewegt
vor ihr stehen. Er sahe sie, er sahe ihren Vater,
er sahe das Volk an, und warf ihr endlich den
Schleyer über das Gesicht. Die unglückliche Prin-
zessinn weinte, und wußte die Ursachen dieses all-
gemeinen Erstaunens, und traurigen Stillschwei-
gens nicht. Der ehrwürdige Greis verhüllte das
graue Haupt in seinen Rock; unter dem Volke
erhob sich ein misvergnügtes Murren; und hoch
in der Luft hörte man ein lautes Lachen, wie das
Lachen eines Riesen ist, der in seiner gewölbten
Höhle vom Weine taumelt und jauchzet. Der
alte König erkannte diese Stimme des Zauberers.
Er enthüllte sein Gesicht, warf den Staub gen
Himmel, und rief dreymal den Namen des mäch-
tigen Namu-Amida. Das Lachen des Zauberers
verwandelte sich in ein wildes Heulen, welches sich
in den entfernten Wolken verlor: Aber die un-
glückliche Prinzessinn behielt ihre Häßlichkeit, von
der sie nichts wußte.

Der

Das Maͤrchen vom erſten April.
Aber man ſtelle ſich auch das Schrecken vor, das
ihn uͤberfiel, als er die unangenehmſte und haͤßlich-
ſte Geſtalt vor ſich erblickte. Ein uͤbelverwachſe-
ner Zwerg mit einem kahlen Haupte, einer gerun-
zelten und mit Haaren bewachſenen Stirne, trie-
fenden und ſchielenden Augen, herabhangenden
welken Backen, einem ſpitzigen Kinne, und her-
vorragenden ſchwarzen Zaͤhnen; das war die Ge-
ſtalt der goͤttlichen Zizizi.

T’ Siamma blieb einige Minuten unbewegt
vor ihr ſtehen. Er ſahe ſie, er ſahe ihren Vater,
er ſahe das Volk an, und warf ihr endlich den
Schleyer uͤber das Geſicht. Die ungluͤckliche Prin-
zeſſinn weinte, und wußte die Urſachen dieſes all-
gemeinen Erſtaunens, und traurigen Stillſchwei-
gens nicht. Der ehrwuͤrdige Greis verhuͤllte das
graue Haupt in ſeinen Rock; unter dem Volke
erhob ſich ein misvergnuͤgtes Murren; und hoch
in der Luft hoͤrte man ein lautes Lachen, wie das
Lachen eines Rieſen iſt, der in ſeiner gewoͤlbten
Hoͤhle vom Weine taumelt und jauchzet. Der
alte Koͤnig erkannte dieſe Stimme des Zauberers.
Er enthuͤllte ſein Geſicht, warf den Staub gen
Himmel, und rief dreymal den Namen des maͤch-
tigen Namu-Amida. Das Lachen des Zauberers
verwandelte ſich in ein wildes Heulen, welches ſich
in den entfernten Wolken verlor: Aber die un-
gluͤckliche Prinzeſſinn behielt ihre Haͤßlichkeit, von
der ſie nichts wußte.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0500" n="478[476]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Ma&#x0364;rchen vom er&#x017F;ten April.</hi></fw><lb/>
Aber man &#x017F;telle &#x017F;ich auch das Schrecken vor, das<lb/>
ihn u&#x0364;berfiel, als er die unangenehm&#x017F;te und ha&#x0364;ßlich-<lb/>
&#x017F;te Ge&#x017F;talt vor &#x017F;ich erblickte. Ein u&#x0364;belverwach&#x017F;e-<lb/>
ner Zwerg mit einem kahlen Haupte, einer gerun-<lb/>
zelten und mit Haaren bewach&#x017F;enen Stirne, trie-<lb/>
fenden und &#x017F;chielenden Augen, herabhangenden<lb/>
welken Backen, einem &#x017F;pitzigen Kinne, und her-<lb/>
vorragenden &#x017F;chwarzen Za&#x0364;hnen; das war die Ge-<lb/>
&#x017F;talt der go&#x0364;ttlichen <hi rendition="#fr">Zizizi.</hi></p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">T&#x2019; Siamma</hi> blieb einige Minuten unbewegt<lb/>
vor ihr &#x017F;tehen. Er &#x017F;ahe &#x017F;ie, er &#x017F;ahe ihren Vater,<lb/>
er &#x017F;ahe das Volk an, und warf ihr endlich den<lb/>
Schleyer u&#x0364;ber das Ge&#x017F;icht. Die unglu&#x0364;ckliche Prin-<lb/>
ze&#x017F;&#x017F;inn weinte, und wußte die Ur&#x017F;achen die&#x017F;es all-<lb/>
gemeinen Er&#x017F;taunens, und traurigen Still&#x017F;chwei-<lb/>
gens nicht. Der ehrwu&#x0364;rdige Greis verhu&#x0364;llte das<lb/>
graue Haupt in &#x017F;einen Rock; unter dem Volke<lb/>
erhob &#x017F;ich ein misvergnu&#x0364;gtes Murren; und hoch<lb/>
in der Luft ho&#x0364;rte man ein lautes Lachen, wie das<lb/>
Lachen eines Rie&#x017F;en i&#x017F;t, der in &#x017F;einer gewo&#x0364;lbten<lb/>
Ho&#x0364;hle vom Weine taumelt und jauchzet. Der<lb/>
alte Ko&#x0364;nig erkannte die&#x017F;e Stimme des Zauberers.<lb/>
Er enthu&#x0364;llte &#x017F;ein Ge&#x017F;icht, warf den Staub gen<lb/>
Himmel, und rief dreymal den Namen des ma&#x0364;ch-<lb/>
tigen <hi rendition="#fr">Namu-Amida.</hi> Das Lachen des Zauberers<lb/>
verwandelte &#x017F;ich in ein wildes Heulen, welches &#x017F;ich<lb/>
in den entfernten Wolken verlor: Aber die un-<lb/>
glu&#x0364;ckliche Prinze&#x017F;&#x017F;inn behielt ihre Ha&#x0364;ßlichkeit, von<lb/>
der &#x017F;ie nichts wußte.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478[476]/0500] Das Maͤrchen vom erſten April. Aber man ſtelle ſich auch das Schrecken vor, das ihn uͤberfiel, als er die unangenehmſte und haͤßlich- ſte Geſtalt vor ſich erblickte. Ein uͤbelverwachſe- ner Zwerg mit einem kahlen Haupte, einer gerun- zelten und mit Haaren bewachſenen Stirne, trie- fenden und ſchielenden Augen, herabhangenden welken Backen, einem ſpitzigen Kinne, und her- vorragenden ſchwarzen Zaͤhnen; das war die Ge- ſtalt der goͤttlichen Zizizi. T’ Siamma blieb einige Minuten unbewegt vor ihr ſtehen. Er ſahe ſie, er ſahe ihren Vater, er ſahe das Volk an, und warf ihr endlich den Schleyer uͤber das Geſicht. Die ungluͤckliche Prin- zeſſinn weinte, und wußte die Urſachen dieſes all- gemeinen Erſtaunens, und traurigen Stillſchwei- gens nicht. Der ehrwuͤrdige Greis verhuͤllte das graue Haupt in ſeinen Rock; unter dem Volke erhob ſich ein misvergnuͤgtes Murren; und hoch in der Luft hoͤrte man ein lautes Lachen, wie das Lachen eines Rieſen iſt, der in ſeiner gewoͤlbten Hoͤhle vom Weine taumelt und jauchzet. Der alte Koͤnig erkannte dieſe Stimme des Zauberers. Er enthuͤllte ſein Geſicht, warf den Staub gen Himmel, und rief dreymal den Namen des maͤch- tigen Namu-Amida. Das Lachen des Zauberers verwandelte ſich in ein wildes Heulen, welches ſich in den entfernten Wolken verlor: Aber die un- gluͤckliche Prinzeſſinn behielt ihre Haͤßlichkeit, von der ſie nichts wußte. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/500
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 478[476]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/500>, abgerufen am 25.11.2024.