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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Das Märchen vom ersten April.
sammen sehen sollte. Er zog fort in Begleitung
der Aeltesten seines Reichs, und hatte die ansehn-
lichsten Geschenke auf einen weißen Elephanten
geladen, um sie seinem Gotte zu heiligen.

Ciongock sahe wohl, daß er alles verlieren
würde, wenn er geschehen ließe, daß die Unter-
thanen ein öffentliches Zeugniß seiner Frömmig-
keit und Andacht sähen; aber daß er desto mehr
gewinnen würde, wenn er dem Volke diese Fröm-
migkeit verdächtig machen könnte. Er that es.

Der König näherte sich dem Haine, und legte
sich dreymal auf sein Angesicht nieder, um sich zu
dem Anschauen des Namu-Amida zu heiligen.
Seine Unterthanen, die ihn in unzähliger Menge
am Haine erwarteten, freuten sich über ihren Kö-
nig, und fielen dreymal mit ihm nieder, und be-
teten für ihn: Denn das fromme Beyspiel eines
Königs macht fromme Unterthanen, und die
Frömmigkeit macht treue Bürger. Nun zog er
mit seinem Gefolge nach dem Tempel. Die Prie-
ster tanzten ihm in langen weißen Kleidern, und
mit Kränzen in den Händen entgegen, um ihn zu
segnen, und seine Geschenke unter sich zu theilen.
Sie ließen ihn ihre Kränze küssen, und fragten
im Namen ihres großen Gottes nach den Ge-
schenken. Er befahl, daß man den Elephanten
herbey führen sollte: Aber, wie bestürzt war er,
und wie wütend waren die Priester, als man, an
statt des aufgeputzten Elephanten, einen grauen
Esel brachte, der zween Körbe mit Reiß und Boh-
nen trug! Sie warfen den Staub gen Himmel,

hör-

Das Maͤrchen vom erſten April.
ſammen ſehen ſollte. Er zog fort in Begleitung
der Aelteſten ſeines Reichs, und hatte die anſehn-
lichſten Geſchenke auf einen weißen Elephanten
geladen, um ſie ſeinem Gotte zu heiligen.

Ciongock ſahe wohl, daß er alles verlieren
wuͤrde, wenn er geſchehen ließe, daß die Unter-
thanen ein oͤffentliches Zeugniß ſeiner Froͤmmig-
keit und Andacht ſaͤhen; aber daß er deſto mehr
gewinnen wuͤrde, wenn er dem Volke dieſe Froͤm-
migkeit verdaͤchtig machen koͤnnte. Er that es.

Der Koͤnig naͤherte ſich dem Haine, und legte
ſich dreymal auf ſein Angeſicht nieder, um ſich zu
dem Anſchauen des Namu-Amida zu heiligen.
Seine Unterthanen, die ihn in unzaͤhliger Menge
am Haine erwarteten, freuten ſich uͤber ihren Koͤ-
nig, und fielen dreymal mit ihm nieder, und be-
teten fuͤr ihn: Denn das fromme Beyſpiel eines
Koͤnigs macht fromme Unterthanen, und die
Froͤmmigkeit macht treue Buͤrger. Nun zog er
mit ſeinem Gefolge nach dem Tempel. Die Prie-
ſter tanzten ihm in langen weißen Kleidern, und
mit Kraͤnzen in den Haͤnden entgegen, um ihn zu
ſegnen, und ſeine Geſchenke unter ſich zu theilen.
Sie ließen ihn ihre Kraͤnze kuͤſſen, und fragten
im Namen ihres großen Gottes nach den Ge-
ſchenken. Er befahl, daß man den Elephanten
herbey fuͤhren ſollte: Aber, wie beſtuͤrzt war er,
und wie wuͤtend waren die Prieſter, als man, an
ſtatt des aufgeputzten Elephanten, einen grauen
Eſel brachte, der zween Koͤrbe mit Reiß und Boh-
nen trug! Sie warfen den Staub gen Himmel,

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[472[470]/0494] Das Maͤrchen vom erſten April. ſammen ſehen ſollte. Er zog fort in Begleitung der Aelteſten ſeines Reichs, und hatte die anſehn- lichſten Geſchenke auf einen weißen Elephanten geladen, um ſie ſeinem Gotte zu heiligen. Ciongock ſahe wohl, daß er alles verlieren wuͤrde, wenn er geſchehen ließe, daß die Unter- thanen ein oͤffentliches Zeugniß ſeiner Froͤmmig- keit und Andacht ſaͤhen; aber daß er deſto mehr gewinnen wuͤrde, wenn er dem Volke dieſe Froͤm- migkeit verdaͤchtig machen koͤnnte. Er that es. Der Koͤnig naͤherte ſich dem Haine, und legte ſich dreymal auf ſein Angeſicht nieder, um ſich zu dem Anſchauen des Namu-Amida zu heiligen. Seine Unterthanen, die ihn in unzaͤhliger Menge am Haine erwarteten, freuten ſich uͤber ihren Koͤ- nig, und fielen dreymal mit ihm nieder, und be- teten fuͤr ihn: Denn das fromme Beyſpiel eines Koͤnigs macht fromme Unterthanen, und die Froͤmmigkeit macht treue Buͤrger. Nun zog er mit ſeinem Gefolge nach dem Tempel. Die Prie- ſter tanzten ihm in langen weißen Kleidern, und mit Kraͤnzen in den Haͤnden entgegen, um ihn zu ſegnen, und ſeine Geſchenke unter ſich zu theilen. Sie ließen ihn ihre Kraͤnze kuͤſſen, und fragten im Namen ihres großen Gottes nach den Ge- ſchenken. Er befahl, daß man den Elephanten herbey fuͤhren ſollte: Aber, wie beſtuͤrzt war er, und wie wuͤtend waren die Prieſter, als man, an ſtatt des aufgeputzten Elephanten, einen grauen Eſel brachte, der zween Koͤrbe mit Reiß und Boh- nen trug! Sie warfen den Staub gen Himmel, hoͤr-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 472[470]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/494>, abgerufen am 22.11.2024.