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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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lich war. Philen hat wohl Ursache mildthaetig
zu seyn, denn drey von diesen Kindern sind
sein. Herkommann ist ein Gerechtigkeit lieben-
der Advocat, welcher sich ein Vergnügen dar-
aus macht, Wittwen und Waisen beyzustehen.
Im Ernst? Warum nicht? Denn Herkommann
ist ein Erbschleicher. Aber Suffen, der Patriot,
wird doch ohne Tadel seyn? Suffen, welcher
mit Thraenen die Noth der Unterthanen sieht,
und der Regierung flucht? Suffen ist ein Misver-
gnügter, den der Hof beleidigt hat, weil er ihm
das Amt nicht geben wollte, das er suchte, um
die Unterthanen selbst zu drücken. Wie lehr-
reich ist die Schule derer, die von andern Boe-
ses reden! Ohne diese Gesellschaft würde ich
niemals Gelegenheit gehabt haben, den Philen,
den Herkommann, den Suffen kennen zu lernen.

Aber werde ich auch Gelegenheit haben,
mich selbst kennen zu lernen? - - Warum nicht?
mein Herr. Sind sie allein so tugendhaft, oder
so ehrwürdig, dass man von ihnen allein nichts
Boeses reden wird? Ich moechte es ihnen wohl
im Vertrauen entdecken, was man von ihnen
sagt, aber verdriesslich müssen sie nicht werden.
Man spottet über ihre pedantische Mühe, die sie
sich machen, andre kennen zu lernen. Der
gute Mensch glaubt, er sey weise genug, die Feh-
ler andrer zu entdecken; bey der klugen und
gesetzten Miene, die er sich giebt, ist es nur
der Geiz und der Hochmuth, der ihn abhaelt,
lasterhaft zu seyn. In Gesellschaft redet er we-

nig,



lich war. Philen hat wohl Urſache mildthaetig
zu ſeyn, denn drey von dieſen Kindern ſind
ſein. Herkommann iſt ein Gerechtigkeit lieben-
der Advocat, welcher ſich ein Vergnügen dar-
aus macht, Wittwen und Waiſen beyzuſtehen.
Im Ernſt? Warum nicht? Denn Herkommann
iſt ein Erbſchleicher. Aber Suffen, der Patriot,
wird doch ohne Tadel ſeyn? Suffen, welcher
mit Thraenen die Noth der Unterthanen ſieht,
und der Regierung flucht? Suffen iſt ein Misver-
gnügter, den der Hof beleidigt hat, weil er ihm
das Amt nicht geben wollte, das er ſuchte, um
die Unterthanen ſelbſt zu drücken. Wie lehr-
reich iſt die Schule derer, die von andern Boe-
ſes reden! Ohne dieſe Geſellſchaft würde ich
niemals Gelegenheit gehabt haben, den Philen,
den Herkommann, den Suffen kennen zu lernen.

Aber werde ich auch Gelegenheit haben,
mich ſelbſt kennen zu lernen? ‒ ‒ Warum nicht?
mein Herr. Sind ſie allein ſo tugendhaft, oder
ſo ehrwürdig, daſs man von ihnen allein nichts
Boeſes reden wird? Ich moechte es ihnen wohl
im Vertrauen entdecken, was man von ihnen
ſagt, aber verdrieſslich müſſen ſie nicht werden.
Man ſpottet über ihre pedantiſche Mühe, die ſie
ſich machen, andre kennen zu lernen. Der
gute Menſch glaubt, er ſey weiſe genug, die Feh-
ler andrer zu entdecken; bey der klugen und
geſetzten Miene, die er ſich giebt, iſt es nur
der Geiz und der Hochmuth, der ihn abhaelt,
laſterhaft zu ſeyn. In Geſellſchaft redet er we-

nig,
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[415/0437] lich war. Philen hat wohl Urſache mildthaetig zu ſeyn, denn drey von dieſen Kindern ſind ſein. Herkommann iſt ein Gerechtigkeit lieben- der Advocat, welcher ſich ein Vergnügen dar- aus macht, Wittwen und Waiſen beyzuſtehen. Im Ernſt? Warum nicht? Denn Herkommann iſt ein Erbſchleicher. Aber Suffen, der Patriot, wird doch ohne Tadel ſeyn? Suffen, welcher mit Thraenen die Noth der Unterthanen ſieht, und der Regierung flucht? Suffen iſt ein Misver- gnügter, den der Hof beleidigt hat, weil er ihm das Amt nicht geben wollte, das er ſuchte, um die Unterthanen ſelbſt zu drücken. Wie lehr- reich iſt die Schule derer, die von andern Boe- ſes reden! Ohne dieſe Geſellſchaft würde ich niemals Gelegenheit gehabt haben, den Philen, den Herkommann, den Suffen kennen zu lernen. Aber werde ich auch Gelegenheit haben, mich ſelbſt kennen zu lernen? ‒ ‒ Warum nicht? mein Herr. Sind ſie allein ſo tugendhaft, oder ſo ehrwürdig, daſs man von ihnen allein nichts Boeſes reden wird? Ich moechte es ihnen wohl im Vertrauen entdecken, was man von ihnen ſagt, aber verdrieſslich müſſen ſie nicht werden. Man ſpottet über ihre pedantiſche Mühe, die ſie ſich machen, andre kennen zu lernen. Der gute Menſch glaubt, er ſey weiſe genug, die Feh- ler andrer zu entdecken; bey der klugen und geſetzten Miene, die er ſich giebt, iſt es nur der Geiz und der Hochmuth, der ihn abhaelt, laſterhaft zu ſeyn. In Geſellſchaft redet er we- nig,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/437>, abgerufen am 22.11.2024.