ist dabey, dass eine jede Gesellschaft ihre eigne Art hat, Boeses zu reden.
Der Greis seufzt über die schlimmen Zeiten; die Jugend über den Eigensinn und Geiz des Greises. Ehrwürdige alte Jungfern reden Boe- ses von den flatterhaften Maedchen, die schon gern sündigen, und doch nur achtzehn Jahr alt sind; und diese lachen über die fromme Buhle- rey der alten Heiligen. Die Bürger reden Boe- ses von den Pressungen und der Partheylichkeit des Magistrats; und dieser noch mehr Boeses von dem Ungehorsame und müssigen Leben des Bürgers. Der Narr redet Boeses von der Reli- gion, und der Kaetzermacher zankt sich mit dem Teufel. Der junge Marquis ist nie witziger und muthwilliger, als wenn er etwas Boeses von ei- nem Philosophen erzaehlen kann, und der Phi- losoph untersucht, ob dieser Muthwille aus Hochmuth, oder aus Bosheit herrühre. Mit einem Worte: die ganze Stadt redet Uebels, und die ganze Stadt eilt mit Vergnügen in die Gesellschaften, wo sie es reden kann. Man nehme ihnen die Erlaubniss Boeses zu reden, so nimmt man der Welt ihre Sonne.
Diejenigen, welche die unglückliche Leiden- schaft des Spielens zu Sclaven gemacht hat, wis- sen sich immer damit zu entschuldigen, dass man alsdann, wenn gespielt wird, nicht Zeit habe, Uebels von andern zu reden. Welche Thorheit! Einen Fehler damit entschuldigen,
dass
iſt dabey, daſs eine jede Geſellſchaft ihre eigne Art hat, Boeſes zu reden.
Der Greis ſeufzt über die ſchlimmen Zeiten; die Jugend über den Eigenſinn und Geiz des Greiſes. Ehrwürdige alte Jungfern reden Boe- ſes von den flatterhaften Maedchen, die ſchon gern ſündigen, und doch nur achtzehn Jahr alt ſind; und dieſe lachen über die fromme Buhle- rey der alten Heiligen. Die Bürger reden Boe- ſes von den Preſſungen und der Partheylichkeit des Magiſtrats; und dieſer noch mehr Boeſes von dem Ungehorſame und müſsigen Leben des Bürgers. Der Narr redet Boeſes von der Reli- gion, und der Kaetzermacher zankt ſich mit dem Teufel. Der junge Marquis iſt nie witziger und muthwilliger, als wenn er etwas Boeſes von ei- nem Philoſophen erzaehlen kann, und der Phi- loſoph unterſucht, ob dieſer Muthwille aus Hochmuth, oder aus Bosheit herrühre. Mit einem Worte: die ganze Stadt redet Uebels, und die ganze Stadt eilt mit Vergnügen in die Geſellſchaften, wo ſie es reden kann. Man nehme ihnen die Erlaubniſs Boeſes zu reden, ſo nimmt man der Welt ihre Sonne.
Diejenigen, welche die unglückliche Leiden- ſchaft des Spielens zu Sclaven gemacht hat, wiſ- ſen ſich immer damit zu entſchuldigen, daſs man alsdann, wenn geſpielt wird, nicht Zeit habe, Uebels von andern zu reden. Welche Thorheit! Einen Fehler damit entſchuldigen,
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iſt dabey, daſs eine jede Geſellſchaft ihre eigne
Art hat, Boeſes zu reden.
Der Greis ſeufzt über die ſchlimmen Zeiten;
die Jugend über den Eigenſinn und Geiz des
Greiſes. Ehrwürdige alte Jungfern reden Boe-
ſes von den flatterhaften Maedchen, die ſchon
gern ſündigen, und doch nur achtzehn Jahr alt
ſind; und dieſe lachen über die fromme Buhle-
rey der alten Heiligen. Die Bürger reden Boe-
ſes von den Preſſungen und der Partheylichkeit
des Magiſtrats; und dieſer noch mehr Boeſes
von dem Ungehorſame und müſsigen Leben des
Bürgers. Der Narr redet Boeſes von der Reli-
gion, und der Kaetzermacher zankt ſich mit dem
Teufel. Der junge Marquis iſt nie witziger und
muthwilliger, als wenn er etwas Boeſes von ei-
nem Philoſophen erzaehlen kann, und der Phi-
loſoph unterſucht, ob dieſer Muthwille aus
Hochmuth, oder aus Bosheit herrühre. Mit
einem Worte: die ganze Stadt redet Uebels,
und die ganze Stadt eilt mit Vergnügen in die
Geſellſchaften, wo ſie es reden kann. Man
nehme ihnen die Erlaubniſs Boeſes zu reden, ſo
nimmt man der Welt ihre Sonne.
Diejenigen, welche die unglückliche Leiden-
ſchaft des Spielens zu Sclaven gemacht hat, wiſ-
ſen ſich immer damit zu entſchuldigen, daſs
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habe, Uebels von andern zu reden. Welche
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/435>, abgerufen am 25.11.2024.
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