Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite



Trieb, die wirklichen, oder auch die eingebil-
deten Fehler einzelner Menschen, und wohl
ganzer Gesellschaften und Voelker, gemeinig-
lich auf eine lustige, oft auch ernsthafte Weise,
andern bekannt zu machen, um sich und andre
dadurch zu ergetzen, denen, die dergleichen
Fehler wirklich haben, einen Abscheu davor
beyzubringen, andre, die sie nicht haben, da-
vor zu warnen, einen ieden aber gegen sich und
andre aufmerksam, einen ieden tugendhaft, oder
doch vorsichtig, mit einem Worte: die ganze
Welt zu guten Mitbürgern zu machen!

Ich empfinde in mir selbst einen heiligen
Schauer, wenn ich an die grosse Pflicht, Ue-
bels von andern zu reden, gedenke. Ein pa-
triotisches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die
unglückliche Blindheit derer erwaege, welche
diese grosse Pflicht nicht allein selbst nicht beob-
achten, sondern auch andern davor einen Ab-
scheu beyzubringen suchen. Ein Werk der Na-
tur, ein Werk, das sie nur vernünftigen Wesen
vorzüglich gegoennet hat, dieses wollten wir
den Menschen entreissen? So stossen wir ihn
herab zu den nicht denkenden Geschoepfen, die
die weise Natur dieses Vorzugs unwürdig ge-
halten hat; So reissen wir die vornehmste Stütze
über den Haufen, auf welcher das Vergnü-
gen, die Sitten, und das Wohl der Men-
schen sich gründen.

Ich
C c 4



Trieb, die wirklichen, oder auch die eingebil-
deten Fehler einzelner Menſchen, und wohl
ganzer Geſellſchaften und Voelker, gemeinig-
lich auf eine luſtige, oft auch ernſthafte Weiſe,
andern bekannt zu machen, um ſich und andre
dadurch zu ergetzen, denen, die dergleichen
Fehler wirklich haben, einen Abſcheu davor
beyzubringen, andre, die ſie nicht haben, da-
vor zu warnen, einen ieden aber gegen ſich und
andre aufmerkſam, einen ieden tugendhaft, oder
doch vorſichtig, mit einem Worte: die ganze
Welt zu guten Mitbürgern zu machen!

Ich empfinde in mir ſelbſt einen heiligen
Schauer, wenn ich an die groſse Pflicht, Ue-
bels von andern zu reden, gedenke. Ein pa-
triotiſches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die
unglückliche Blindheit derer erwaege, welche
dieſe groſse Pflicht nicht allein ſelbſt nicht beob-
achten, ſondern auch andern davor einen Ab-
ſcheu beyzubringen ſuchen. Ein Werk der Na-
tur, ein Werk, das ſie nur vernünftigen Weſen
vorzüglich gegoennet hat, dieſes wollten wir
den Menſchen entreiſſen? So ſtoſsen wir ihn
herab zu den nicht denkenden Geſchoepfen, die
die weiſe Natur dieſes Vorzugs unwürdig ge-
halten hat; So reiſſen wir die vornehmſte Stütze
über den Haufen, auf welcher das Vergnü-
gen, die Sitten, und das Wohl der Men-
ſchen ſich gründen.

Ich
C c 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p>
            <pb facs="#f0429" n="407"/>
            <fw place="top" type="header">
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            </fw> <hi rendition="#aq">Trieb, die wirklichen, oder auch die eingebil-<lb/>
deten Fehler einzelner Men&#x017F;chen, und wohl<lb/>
ganzer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften und Voelker, gemeinig-<lb/>
lich auf eine lu&#x017F;tige, oft auch ern&#x017F;thafte Wei&#x017F;e,<lb/>
andern bekannt zu machen, um &#x017F;ich und andre<lb/>
dadurch zu ergetzen, denen, die dergleichen<lb/>
Fehler wirklich haben, einen Ab&#x017F;cheu davor<lb/>
beyzubringen, andre, die &#x017F;ie nicht haben, da-<lb/>
vor zu warnen, einen ieden aber gegen &#x017F;ich und<lb/>
andre aufmerk&#x017F;am, einen ieden tugendhaft, oder<lb/>
doch vor&#x017F;ichtig, mit einem Worte: die ganze<lb/>
Welt zu guten Mitbürgern zu machen!</hi> </p><lb/>
          <p> <hi rendition="#aq">Ich empfinde in mir &#x017F;elb&#x017F;t einen heiligen<lb/>
Schauer, wenn ich an die gro&#x017F;se Pflicht, Ue-<lb/>
bels von andern zu reden, gedenke. Ein pa-<lb/>
trioti&#x017F;ches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die<lb/>
unglückliche Blindheit derer erwaege, welche<lb/>
die&#x017F;e gro&#x017F;se Pflicht nicht allein &#x017F;elb&#x017F;t nicht beob-<lb/>
achten, &#x017F;ondern auch andern davor einen Ab-<lb/>
&#x017F;cheu beyzubringen &#x017F;uchen. Ein Werk der Na-<lb/>
tur, ein Werk, das &#x017F;ie nur vernünftigen We&#x017F;en<lb/>
vorzüglich gegoennet hat, die&#x017F;es wollten wir<lb/>
den Men&#x017F;chen entrei&#x017F;&#x017F;en? So &#x017F;to&#x017F;sen wir ihn<lb/>
herab zu den nicht denkenden Ge&#x017F;choepfen, die<lb/>
die wei&#x017F;e Natur die&#x017F;es Vorzugs unwürdig ge-<lb/>
halten hat; So rei&#x017F;&#x017F;en wir die vornehm&#x017F;te Stütze<lb/>
über den Haufen, auf welcher das Vergnü-<lb/>
gen, die Sitten, und das Wohl der Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;ich gründen.</hi> </p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">C c 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">Ich</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[407/0429] Trieb, die wirklichen, oder auch die eingebil- deten Fehler einzelner Menſchen, und wohl ganzer Geſellſchaften und Voelker, gemeinig- lich auf eine luſtige, oft auch ernſthafte Weiſe, andern bekannt zu machen, um ſich und andre dadurch zu ergetzen, denen, die dergleichen Fehler wirklich haben, einen Abſcheu davor beyzubringen, andre, die ſie nicht haben, da- vor zu warnen, einen ieden aber gegen ſich und andre aufmerkſam, einen ieden tugendhaft, oder doch vorſichtig, mit einem Worte: die ganze Welt zu guten Mitbürgern zu machen! Ich empfinde in mir ſelbſt einen heiligen Schauer, wenn ich an die groſse Pflicht, Ue- bels von andern zu reden, gedenke. Ein pa- triotiſches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die unglückliche Blindheit derer erwaege, welche dieſe groſse Pflicht nicht allein ſelbſt nicht beob- achten, ſondern auch andern davor einen Ab- ſcheu beyzubringen ſuchen. Ein Werk der Na- tur, ein Werk, das ſie nur vernünftigen Weſen vorzüglich gegoennet hat, dieſes wollten wir den Menſchen entreiſſen? So ſtoſsen wir ihn herab zu den nicht denkenden Geſchoepfen, die die weiſe Natur dieſes Vorzugs unwürdig ge- halten hat; So reiſſen wir die vornehmſte Stütze über den Haufen, auf welcher das Vergnü- gen, die Sitten, und das Wohl der Men- ſchen ſich gründen. Ich C c 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/429
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/429>, abgerufen am 22.11.2024.