habe vielleicht mehr Ursache, auf den gesetzten Preis Anspruch zu machen, als Monsieur Rous- seau hatte, da ich eine Leidenschaft vertheidige, die uns allen so natürlich ist, und da ich einen Satz behaupte, der dem ganzen menschlichen Geschlechte zur Ehre gereichen muss; an statt, dass Monsieur Rousseau etwas zu beweisen such- te, welches alle koenigliche Academien der schoe- nen Wissenschaften und freyen Künste um ihren Credit bringen musste, wenn die Welt seinen Beweis für Ernst angenommen haette.
Aber ich glaube, dass ich ausser diesem noch mehrere Verdienste habe. Sie verlangen aus- drücklich, dass man zu Verlesung dieser Ab- handlung nicht mehr, als eine halbe Stunde, Zeit noethig habe. Ein schreckliches Gesetz für einen Deutschen! und dennoch habe ich es ge- nau beobachtet. Ich machte einen Versuch da- mit, so bald ich fertig war; ich las es auf mei- nem Zimmer laut, und es war nicht voellig eine Minute über die gesetzte Zeit, als ich zum Ende kam. Sie haben vergessen, zu sagen, ob man langsam, oder geschwind lesen soll? Ziemlich geschwind habe ich gelesen, das ist wahr: ohn- gefähr so geschwind, als ein junger Geistlicher seine Messe liest, wenn er weis, dass eine artige Gesellschaft mit dem Essen auf ihn wartet. Diese Selbstverlaeugnung verdient, wie mich dünkt, noch wohl eine billige Belohnung.
Ich habe ein Recht zu verlangen, dass Sie, meine Herren, mich schadlos halten, da ich
Gefahr
habe vielleicht mehr Urſache, auf den geſetzten Preis Anſpruch zu machen, als Monſieur Rouſ- ſeau hatte, da ich eine Leidenſchaft vertheidige, die uns allen ſo natürlich iſt, und da ich einen Satz behaupte, der dem ganzen menſchlichen Geſchlechte zur Ehre gereichen muſs; an ſtatt, daſs Monſieur Rouſſeau etwas zu beweiſen ſuch- te, welches alle koenigliche Academien der ſchoe- nen Wiſſenſchaften und freyen Künſte um ihren Credit bringen muſste, wenn die Welt ſeinen Beweis für Ernſt angenommen haette.
Aber ich glaube, daſs ich auſser dieſem noch mehrere Verdienſte habe. Sie verlangen aus- drücklich, daſs man zu Verleſung dieſer Ab- handlung nicht mehr, als eine halbe Stunde, Zeit noethig habe. Ein ſchreckliches Geſetz für einen Deutſchen! und dennoch habe ich es ge- nau beobachtet. Ich machte einen Verſuch da- mit, ſo bald ich fertig war; ich las es auf mei- nem Zimmer laut, und es war nicht voellig eine Minute über die geſetzte Zeit, als ich zum Ende kam. Sie haben vergeſſen, zu ſagen, ob man langſam, oder geſchwind leſen ſoll? Ziemlich geſchwind habe ich geleſen, das iſt wahr: ohn- gefähr ſo geſchwind, als ein junger Geiſtlicher ſeine Meſſe lieſt, wenn er weis, daſs eine artige Geſellſchaft mit dem Eſſen auf ihn wartet. Dieſe Selbſtverlaeugnung verdient, wie mich dünkt, noch wohl eine billige Belohnung.
Ich habe ein Recht zu verlangen, daſs Sie, meine Herren, mich ſchadlos halten, da ich
Gefahr
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habe vielleicht mehr Urſache, auf den geſetzten
Preis Anſpruch zu machen, als Monſieur Rouſ-
ſeau hatte, da ich eine Leidenſchaft vertheidige,
die uns allen ſo natürlich iſt, und da ich einen
Satz behaupte, der dem ganzen menſchlichen
Geſchlechte zur Ehre gereichen muſs; an ſtatt,
daſs Monſieur Rouſſeau etwas zu beweiſen ſuch-
te, welches alle koenigliche Academien der ſchoe-
nen Wiſſenſchaften und freyen Künſte um ihren
Credit bringen muſste, wenn die Welt ſeinen
Beweis für Ernſt angenommen haette.
Aber ich glaube, daſs ich auſser dieſem noch
mehrere Verdienſte habe. Sie verlangen aus-
drücklich, daſs man zu Verleſung dieſer Ab-
handlung nicht mehr, als eine halbe Stunde, Zeit
noethig habe. Ein ſchreckliches Geſetz für
einen Deutſchen! und dennoch habe ich es ge-
nau beobachtet. Ich machte einen Verſuch da-
mit, ſo bald ich fertig war; ich las es auf mei-
nem Zimmer laut, und es war nicht voellig eine
Minute über die geſetzte Zeit, als ich zum Ende
kam. Sie haben vergeſſen, zu ſagen, ob man
langſam, oder geſchwind leſen ſoll? Ziemlich
geſchwind habe ich geleſen, das iſt wahr: ohn-
gefähr ſo geſchwind, als ein junger Geiſtlicher
ſeine Meſſe lieſt, wenn er weis, daſs eine artige
Geſellſchaft mit dem Eſſen auf ihn wartet. Dieſe
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/416>, abgerufen am 22.11.2024.
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