digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau- ensperson erblickt hätte, welche, wie mir der Schiffer sagte, für eine Tochter der alten Bet- schwester ausgegeben ward. Nun kannte ich den jungen Tartüffe. Da er mich in Ansehung seiner verstellten Sittsamkeit betrogen; so hatte ich Ursache zu fürchten, daß seine Bescheiden- heit und Demuth eben so geheuchelt wären. Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche künf- tig in einer genauern Verbindung mit ihm ste- hen sollen. So kriechend, und schüchtern er gegenwärtig zu seyn scheint; so unerträglich wird seine Eigenliebe, und sein geistlicher Hochmuth seyn, welcher desto gefährlicher ist, da er die Ehrenbezeugungen niemals für sich, sondern alle- mal für sein Amt fodert. Kann man wohl von ihm hoffen, daß seine Aufführung exem- plarisch seyn wird? Anfänglich wird er sich al- le Ausschweifungen verstatten, die er genießen kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber wird er mit weniger Vorsicht lasterhaft seyn, da ihn die Gewohnheit unverschämt und sicher macht. Jch will dafür sorgen, daß er nicht um- sonst hochmüthig und lasterhaft sey. Er und seine ihm ähnlichen Collegen können die Erlaubniß, ehr- würdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen.
Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort, Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme zu, da ich schon den einen Fuß aus dem Schiffe gesetzt hatte. Jch sahe mich um, und erblickte den alten Bürgermeister aus meinem Städt-
chen,
A a
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau- ensperſon erblickt haͤtte, welche, wie mir der Schiffer ſagte, fuͤr eine Tochter der alten Bet- ſchweſter ausgegeben ward. Nun kannte ich den jungen Tartuͤffe. Da er mich in Anſehung ſeiner verſtellten Sittſamkeit betrogen; ſo hatte ich Urſache zu fuͤrchten, daß ſeine Beſcheiden- heit und Demuth eben ſo geheuchelt waͤren. Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche kuͤnf- tig in einer genauern Verbindung mit ihm ſte- hen ſollen. So kriechend, und ſchuͤchtern er gegenwaͤrtig zu ſeyn ſcheint; ſo unertraͤglich wird ſeine Eigenliebe, und ſein geiſtlicher Hochmuth ſeyn, welcher deſto gefaͤhrlicher iſt, da er die Ehrenbezeugungen niemals fuͤr ſich, ſondern alle- mal fuͤr ſein Amt fodert. Kann man wohl von ihm hoffen, daß ſeine Auffuͤhrung exem- plariſch ſeyn wird? Anfaͤnglich wird er ſich al- le Ausſchweifungen verſtatten, die er genießen kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber wird er mit weniger Vorſicht laſterhaft ſeyn, da ihn die Gewohnheit unverſchaͤmt und ſicher macht. Jch will dafuͤr ſorgen, daß er nicht um- ſonſt hochmuͤthig und laſterhaft ſey. Er und ſeine ihm aͤhnlichen Collegen koͤnnen die Erlaubniß, ehr- wuͤrdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen.
Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort, Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme zu, da ich ſchon den einen Fuß aus dem Schiffe geſetzt hatte. Jch ſahe mich um, und erblickte den alten Buͤrgermeiſter aus meinem Staͤdt-
chen,
A a
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0391"n="369"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/>
digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau-<lb/>
ensperſon erblickt haͤtte, welche, wie mir der<lb/>
Schiffer ſagte, fuͤr eine Tochter der alten Bet-<lb/>ſchweſter ausgegeben ward. Nun kannte ich<lb/>
den jungen Tartuͤffe. Da er mich in Anſehung<lb/>ſeiner verſtellten Sittſamkeit betrogen; ſo hatte<lb/>
ich Urſache zu fuͤrchten, daß ſeine Beſcheiden-<lb/>
heit und Demuth eben ſo geheuchelt waͤren.<lb/>
Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche kuͤnf-<lb/>
tig in einer genauern Verbindung mit ihm ſte-<lb/>
hen ſollen. So kriechend, und ſchuͤchtern er<lb/>
gegenwaͤrtig zu ſeyn ſcheint; ſo unertraͤglich wird<lb/>ſeine Eigenliebe, und ſein geiſtlicher Hochmuth<lb/>ſeyn, welcher deſto gefaͤhrlicher iſt, da er die<lb/>
Ehrenbezeugungen niemals fuͤr ſich, ſondern alle-<lb/>
mal fuͤr ſein Amt fodert. Kann man wohl<lb/>
von ihm hoffen, daß ſeine Auffuͤhrung exem-<lb/>
plariſch ſeyn wird? Anfaͤnglich wird er ſich al-<lb/>
le Ausſchweifungen verſtatten, die er genießen<lb/>
kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber<lb/>
wird er mit weniger Vorſicht laſterhaft ſeyn,<lb/>
da ihn die Gewohnheit unverſchaͤmt und ſicher<lb/>
macht. Jch will dafuͤr ſorgen, daß er nicht um-<lb/>ſonſt hochmuͤthig und laſterhaft ſey. Er und ſeine<lb/>
ihm aͤhnlichen Collegen koͤnnen die Erlaubniß, ehr-<lb/>
wuͤrdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen.</p><lb/><p>Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort,<lb/>
Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme<lb/>
zu, da ich ſchon den einen Fuß aus dem Schiffe<lb/>
geſetzt hatte. Jch ſahe mich um, und erblickte<lb/>
den alten Buͤrgermeiſter aus meinem Staͤdt-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A a</fw><fwplace="bottom"type="catch">chen,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[369/0391]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau-
ensperſon erblickt haͤtte, welche, wie mir der
Schiffer ſagte, fuͤr eine Tochter der alten Bet-
ſchweſter ausgegeben ward. Nun kannte ich
den jungen Tartuͤffe. Da er mich in Anſehung
ſeiner verſtellten Sittſamkeit betrogen; ſo hatte
ich Urſache zu fuͤrchten, daß ſeine Beſcheiden-
heit und Demuth eben ſo geheuchelt waͤren.
Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche kuͤnf-
tig in einer genauern Verbindung mit ihm ſte-
hen ſollen. So kriechend, und ſchuͤchtern er
gegenwaͤrtig zu ſeyn ſcheint; ſo unertraͤglich wird
ſeine Eigenliebe, und ſein geiſtlicher Hochmuth
ſeyn, welcher deſto gefaͤhrlicher iſt, da er die
Ehrenbezeugungen niemals fuͤr ſich, ſondern alle-
mal fuͤr ſein Amt fodert. Kann man wohl
von ihm hoffen, daß ſeine Auffuͤhrung exem-
plariſch ſeyn wird? Anfaͤnglich wird er ſich al-
le Ausſchweifungen verſtatten, die er genießen
kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber
wird er mit weniger Vorſicht laſterhaft ſeyn,
da ihn die Gewohnheit unverſchaͤmt und ſicher
macht. Jch will dafuͤr ſorgen, daß er nicht um-
ſonſt hochmuͤthig und laſterhaft ſey. Er und ſeine
ihm aͤhnlichen Collegen koͤnnen die Erlaubniß, ehr-
wuͤrdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen.
Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort,
Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme
zu, da ich ſchon den einen Fuß aus dem Schiffe
geſetzt hatte. Jch ſahe mich um, und erblickte
den alten Buͤrgermeiſter aus meinem Staͤdt-
chen,
A a
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/391>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.