Andacht sehr unzufrieden; Denn ich befürchtete von dem Leichtsinne der meisten in der Gesell- schaft, sie würden eine neue Gelegenheit daher nehmen, über die Religion zu spotten: Allein wider Vermuthen ward eine große Stille auf dem Schiffe, obwohl diese Heilige niemanden fand, als zwo Weiber, und einen jungen Men- schen, die mit einstimmten.
Der Psalm kam zu Ende, und sie sperrte schon das Maul auf, einen neuen anzufangen, als ein alter Officier von den fränkischen Kreistruppen zu ihr sagte: "Aber, Mutter, wie lange ist es "denn, daß du so fromm bist?" Die Gesell- schaft, welche das Singen schon lange überdrüßig war, empfieng diesen Einfall mit freudigem Ge- blöke; die Frau hingegen verstummete. Der Officier machte sich den Beyfall der Zuschauer zu Nutze, und nachdem er etliche Millionen Teufel geschworen hatte, so sagte er: "Es trifft doch im- "mer ein: Junge Huren, alte Betschwestern." Er erinnerte sie an vielerley Sachen, daran sie vermuthlich nicht gern erinnert seyn wollte; Aber am allerempfindlichsten war ihr dieser Vorwurf, daß sie bey zunehmenden Jahren eine Gesellschaft von jungen Mädchen unterhalte, um von deren Schönheit zu leben, da ihre eigne Schönheit, wie er sagte, zum Teufel gegangen wäre. Jch freu- te mich über die Angst, welche dieser beschämten Betschwester auf dem Gesichte saß. Sie sahe sich verwirrt in der Gesellschaft um, ohne im
Stande
Z
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Andacht ſehr unzufrieden; Denn ich befuͤrchtete von dem Leichtſinne der meiſten in der Geſell- ſchaft, ſie wuͤrden eine neue Gelegenheit daher nehmen, uͤber die Religion zu ſpotten: Allein wider Vermuthen ward eine große Stille auf dem Schiffe, obwohl dieſe Heilige niemanden fand, als zwo Weiber, und einen jungen Men- ſchen, die mit einſtimmten.
Der Pſalm kam zu Ende, und ſie ſperrte ſchon das Maul auf, einen neuen anzufangen, als ein alter Officier von den fraͤnkiſchen Kreistruppen zu ihr ſagte: „Aber, Mutter, wie lange iſt es „denn, daß du ſo fromm biſt?„ Die Geſell- ſchaft, welche das Singen ſchon lange uͤberdruͤßig war, empfieng dieſen Einfall mit freudigem Ge- bloͤke; die Frau hingegen verſtummete. Der Officier machte ſich den Beyfall der Zuſchauer zu Nutze, und nachdem er etliche Millionen Teufel geſchworen hatte, ſo ſagte er: „Es trifft doch im- „mer ein: Junge Huren, alte Betſchweſtern.„ Er erinnerte ſie an vielerley Sachen, daran ſie vermuthlich nicht gern erinnert ſeyn wollte; Aber am allerempfindlichſten war ihr dieſer Vorwurf, daß ſie bey zunehmenden Jahren eine Geſellſchaft von jungen Maͤdchen unterhalte, um von deren Schoͤnheit zu leben, da ihre eigne Schoͤnheit, wie er ſagte, zum Teufel gegangen waͤre. Jch freu- te mich uͤber die Angſt, welche dieſer beſchaͤmten Betſchweſter auf dem Geſichte ſaß. Sie ſahe ſich verwirrt in der Geſellſchaft um, ohne im
Stande
Z
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0375"n="353"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.</hi></fw><lb/>
Andacht ſehr unzufrieden; Denn ich befuͤrchtete<lb/>
von dem Leichtſinne der meiſten in der Geſell-<lb/>ſchaft, ſie wuͤrden eine neue Gelegenheit daher<lb/>
nehmen, uͤber die Religion zu ſpotten: Allein<lb/>
wider Vermuthen ward eine große Stille auf<lb/>
dem Schiffe, obwohl dieſe Heilige niemanden<lb/>
fand, als zwo Weiber, und einen jungen Men-<lb/>ſchen, die mit einſtimmten.</p><lb/><p>Der Pſalm kam zu Ende, und ſie ſperrte ſchon<lb/>
das Maul auf, einen neuen anzufangen, als ein<lb/>
alter Officier von den fraͤnkiſchen Kreistruppen<lb/>
zu ihr ſagte: „Aber, Mutter, wie lange iſt es<lb/>„denn, daß du ſo fromm biſt?„ Die Geſell-<lb/>ſchaft, welche das Singen ſchon lange uͤberdruͤßig<lb/>
war, empfieng dieſen Einfall mit freudigem Ge-<lb/>
bloͤke; die Frau hingegen verſtummete. Der<lb/>
Officier machte ſich den Beyfall der Zuſchauer zu<lb/>
Nutze, und nachdem er etliche Millionen Teufel<lb/>
geſchworen hatte, ſo ſagte er: „Es trifft doch im-<lb/>„mer ein: Junge Huren, alte Betſchweſtern.„<lb/>
Er erinnerte ſie an vielerley Sachen, daran ſie<lb/>
vermuthlich nicht gern erinnert ſeyn wollte; Aber<lb/>
am allerempfindlichſten war ihr dieſer Vorwurf,<lb/>
daß ſie bey zunehmenden Jahren eine Geſellſchaft<lb/>
von jungen Maͤdchen unterhalte, um von deren<lb/>
Schoͤnheit zu leben, da ihre eigne Schoͤnheit, wie<lb/>
er ſagte, zum Teufel gegangen waͤre. Jch freu-<lb/>
te mich uͤber die Angſt, welche dieſer beſchaͤmten<lb/>
Betſchweſter auf dem Geſichte ſaß. Sie ſahe<lb/>ſich verwirrt in der Geſellſchaft um, ohne im<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z</fw><fwplace="bottom"type="catch">Stande</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[353/0375]
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Andacht ſehr unzufrieden; Denn ich befuͤrchtete
von dem Leichtſinne der meiſten in der Geſell-
ſchaft, ſie wuͤrden eine neue Gelegenheit daher
nehmen, uͤber die Religion zu ſpotten: Allein
wider Vermuthen ward eine große Stille auf
dem Schiffe, obwohl dieſe Heilige niemanden
fand, als zwo Weiber, und einen jungen Men-
ſchen, die mit einſtimmten.
Der Pſalm kam zu Ende, und ſie ſperrte ſchon
das Maul auf, einen neuen anzufangen, als ein
alter Officier von den fraͤnkiſchen Kreistruppen
zu ihr ſagte: „Aber, Mutter, wie lange iſt es
„denn, daß du ſo fromm biſt?„ Die Geſell-
ſchaft, welche das Singen ſchon lange uͤberdruͤßig
war, empfieng dieſen Einfall mit freudigem Ge-
bloͤke; die Frau hingegen verſtummete. Der
Officier machte ſich den Beyfall der Zuſchauer zu
Nutze, und nachdem er etliche Millionen Teufel
geſchworen hatte, ſo ſagte er: „Es trifft doch im-
„mer ein: Junge Huren, alte Betſchweſtern.„
Er erinnerte ſie an vielerley Sachen, daran ſie
vermuthlich nicht gern erinnert ſeyn wollte; Aber
am allerempfindlichſten war ihr dieſer Vorwurf,
daß ſie bey zunehmenden Jahren eine Geſellſchaft
von jungen Maͤdchen unterhalte, um von deren
Schoͤnheit zu leben, da ihre eigne Schoͤnheit, wie
er ſagte, zum Teufel gegangen waͤre. Jch freu-
te mich uͤber die Angſt, welche dieſer beſchaͤmten
Betſchweſter auf dem Geſichte ſaß. Sie ſahe
ſich verwirrt in der Geſellſchaft um, ohne im
Stande
Z
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/375>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.