Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
sen wäre. Von seinen ersten Jahren an hatte
man ihm alle Ausschweifungen verstattet. Nach
dem Tode der Aeltern fiel er in die Hände des Vor-
mundes, dem sehr viel daran lag, daß er nicht ver-
nünftiger werden sollte. Er gab ihm, so viel er
zu seinen Ausschweifungen brauchte, um ihn desto
sicherer plündern zu können. Die Jahre kamen
endlich, da er auf Reisen gehen sollte; denn zur
Schande unsers Vaterlandes kriegen die Auslän-
der mehr Narren, als vernünftige Deutsche, zu
sehen. Das Ceremoniell erfoderte, ihm einen
Hofmeister mit zu geben; unser Vormund wählte
ihn selbst: man kann also wohl glauben, daß der
Hofmeister nicht vernünftiger war, als sein Un-
tergebner, der nunmehr in die Welt geschickt ward,
ohne Wissenschaft, ohne Sitten, ohne Redlichkeit.
Nur sein Körper war noch gesund, und gegen die
Religion beobachtete er noch den äußerlichen Wohl-
stand. Nach einigen Jahren kam er zurück, noch
unwissender, noch weit ungesitteter, eben so un-
redlich, als er fortgereist war. Nunmehr war
das sein größter Witz, wenn er öffentlich der Reli-
gion spotten konnte; und so bald diese Spöttereyen
erschöpft waren, so erzählte er der Gesellschaft alle
Krankheiten, die er in Paris ausgestanden hatte,
und erzählte aus Ehrgeiz vielleicht noch mehr, als
geschehen war.

Er hatte die Jahre erreicht, sein Geld ohne
Vormund zu verschwenden. Was sollte dieser
nunmehr thun? Seine Tochter sollte unglücklich

wer-
Q 5

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſen waͤre. Von ſeinen erſten Jahren an hatte
man ihm alle Ausſchweifungen verſtattet. Nach
dem Tode der Aeltern fiel er in die Haͤnde des Vor-
mundes, dem ſehr viel daran lag, daß er nicht ver-
nuͤnftiger werden ſollte. Er gab ihm, ſo viel er
zu ſeinen Ausſchweifungen brauchte, um ihn deſto
ſicherer pluͤndern zu koͤnnen. Die Jahre kamen
endlich, da er auf Reiſen gehen ſollte; denn zur
Schande unſers Vaterlandes kriegen die Auslaͤn-
der mehr Narren, als vernuͤnftige Deutſche, zu
ſehen. Das Ceremoniell erfoderte, ihm einen
Hofmeiſter mit zu geben; unſer Vormund waͤhlte
ihn ſelbſt: man kann alſo wohl glauben, daß der
Hofmeiſter nicht vernuͤnftiger war, als ſein Un-
tergebner, der nunmehr in die Welt geſchickt ward,
ohne Wiſſenſchaft, ohne Sitten, ohne Redlichkeit.
Nur ſein Koͤrper war noch geſund, und gegen die
Religion beobachtete er noch den aͤußerlichen Wohl-
ſtand. Nach einigen Jahren kam er zuruͤck, noch
unwiſſender, noch weit ungeſitteter, eben ſo un-
redlich, als er fortgereiſt war. Nunmehr war
das ſein groͤßter Witz, wenn er oͤffentlich der Reli-
gion ſpotten konnte; und ſo bald dieſe Spoͤttereyen
erſchoͤpft waren, ſo erzaͤhlte er der Geſellſchaft alle
Krankheiten, die er in Paris ausgeſtanden hatte,
und erzaͤhlte aus Ehrgeiz vielleicht noch mehr, als
geſchehen war.

Er hatte die Jahre erreicht, ſein Geld ohne
Vormund zu verſchwenden. Was ſollte dieſer
nunmehr thun? Seine Tochter ſollte ungluͤcklich

wer-
Q 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="249"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
&#x017F;en wa&#x0364;re. Von &#x017F;einen er&#x017F;ten Jahren an hatte<lb/>
man ihm alle Aus&#x017F;chweifungen ver&#x017F;tattet. Nach<lb/>
dem Tode der Aeltern fiel er in die Ha&#x0364;nde des Vor-<lb/>
mundes, dem &#x017F;ehr viel daran lag, daß er nicht ver-<lb/>
nu&#x0364;nftiger werden &#x017F;ollte. Er gab ihm, &#x017F;o viel er<lb/>
zu &#x017F;einen Aus&#x017F;chweifungen brauchte, um ihn de&#x017F;to<lb/>
&#x017F;icherer plu&#x0364;ndern zu ko&#x0364;nnen. Die Jahre kamen<lb/>
endlich, da er auf Rei&#x017F;en gehen &#x017F;ollte; denn zur<lb/>
Schande un&#x017F;ers Vaterlandes kriegen die Ausla&#x0364;n-<lb/>
der mehr Narren, als vernu&#x0364;nftige Deut&#x017F;che, zu<lb/>
&#x017F;ehen. Das Ceremoniell erfoderte, ihm einen<lb/>
Hofmei&#x017F;ter mit zu geben; un&#x017F;er Vormund wa&#x0364;hlte<lb/>
ihn &#x017F;elb&#x017F;t: man kann al&#x017F;o wohl glauben, daß der<lb/>
Hofmei&#x017F;ter nicht vernu&#x0364;nftiger war, als &#x017F;ein Un-<lb/>
tergebner, der nunmehr in die Welt ge&#x017F;chickt ward,<lb/>
ohne Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, ohne Sitten, ohne Redlichkeit.<lb/>
Nur &#x017F;ein Ko&#x0364;rper war noch ge&#x017F;und, und gegen die<lb/>
Religion beobachtete er noch den a&#x0364;ußerlichen Wohl-<lb/>
&#x017F;tand. Nach einigen Jahren kam er zuru&#x0364;ck, noch<lb/>
unwi&#x017F;&#x017F;ender, noch weit unge&#x017F;itteter, eben &#x017F;o un-<lb/>
redlich, als er fortgerei&#x017F;t war. Nunmehr war<lb/>
das &#x017F;ein gro&#x0364;ßter Witz, wenn er o&#x0364;ffentlich der Reli-<lb/>
gion &#x017F;potten konnte; und &#x017F;o bald die&#x017F;e Spo&#x0364;ttereyen<lb/>
er&#x017F;cho&#x0364;pft waren, &#x017F;o erza&#x0364;hlte er der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft alle<lb/>
Krankheiten, die er in Paris ausge&#x017F;tanden hatte,<lb/>
und erza&#x0364;hlte aus Ehrgeiz vielleicht noch mehr, als<lb/>
ge&#x017F;chehen war.</p><lb/>
          <p>Er hatte die Jahre erreicht, &#x017F;ein Geld ohne<lb/>
Vormund zu ver&#x017F;chwenden. Was &#x017F;ollte die&#x017F;er<lb/>
nunmehr thun? Seine Tochter &#x017F;ollte unglu&#x0364;cklich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 5</fw><fw place="bottom" type="catch">wer-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0271] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſen waͤre. Von ſeinen erſten Jahren an hatte man ihm alle Ausſchweifungen verſtattet. Nach dem Tode der Aeltern fiel er in die Haͤnde des Vor- mundes, dem ſehr viel daran lag, daß er nicht ver- nuͤnftiger werden ſollte. Er gab ihm, ſo viel er zu ſeinen Ausſchweifungen brauchte, um ihn deſto ſicherer pluͤndern zu koͤnnen. Die Jahre kamen endlich, da er auf Reiſen gehen ſollte; denn zur Schande unſers Vaterlandes kriegen die Auslaͤn- der mehr Narren, als vernuͤnftige Deutſche, zu ſehen. Das Ceremoniell erfoderte, ihm einen Hofmeiſter mit zu geben; unſer Vormund waͤhlte ihn ſelbſt: man kann alſo wohl glauben, daß der Hofmeiſter nicht vernuͤnftiger war, als ſein Un- tergebner, der nunmehr in die Welt geſchickt ward, ohne Wiſſenſchaft, ohne Sitten, ohne Redlichkeit. Nur ſein Koͤrper war noch geſund, und gegen die Religion beobachtete er noch den aͤußerlichen Wohl- ſtand. Nach einigen Jahren kam er zuruͤck, noch unwiſſender, noch weit ungeſitteter, eben ſo un- redlich, als er fortgereiſt war. Nunmehr war das ſein groͤßter Witz, wenn er oͤffentlich der Reli- gion ſpotten konnte; und ſo bald dieſe Spoͤttereyen erſchoͤpft waren, ſo erzaͤhlte er der Geſellſchaft alle Krankheiten, die er in Paris ausgeſtanden hatte, und erzaͤhlte aus Ehrgeiz vielleicht noch mehr, als geſchehen war. Er hatte die Jahre erreicht, ſein Geld ohne Vormund zu verſchwenden. Was ſollte dieſer nunmehr thun? Seine Tochter ſollte ungluͤcklich wer- Q 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/271
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/271>, abgerufen am 25.11.2024.