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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
welcher zu seinem Glücke der nächste hätte seyn kön-
nen:) so verließ er murrend den undankbaren Hof,
verschloß sich bey seinem Pulte, fühlte seinen Hun-
ger, aber auch seinen Werth, hüllte sich also stolz
in seine eigne Gelehrsamkeit ein, und verachtete
den erlauchten Pöbel; denn so nannte er diejeni-
gen, deren Glück er besungen hatte, und nunmehr
beneidete. Zwar anfangs kam es ihm schwer an,
etwas zu sagen, was wider seine eigene Empfin-
dung war: Aber die fortdauernde Verachtung,
und die Gewohnheit, dergleichen täglich zu sagen,
hat es bey ihm so weit gebracht, daß er sich bere-
det, er eifre mit Ueberzeugung, und aus einer
philosophischen Großmuth. Nun ist er bey seiner
Armuth stolz, und verachtet alle diejenigen, wel-
che im Ansehen und Ueberflusse leben.

Diese Anmerkung ist der wahre Schlüssel zu
den meisten Satiren wider den Reichthum, und das
Glück der Großen.

Diejenigen, welche reich gewesen, und durch
verschiedne Unglücksfälle arm geworden sind, ge-
hören auch zu denen, die wider den Reichthum
eifern. Sie haben ihre Schätze verloren; aber
den Muth haben sie noch behalten, andre zu ver-
achten. Wider die Armen dürfen sie ihre Ver-
achtung nicht äußern; denn sie sind selbst arm ge-
worden: Sie verachten also die Reichen, wie Ti-
mon, und mit viel stärkerer Bitterkeit, als er, da
sie wirklich dasjenige genossen haben, was jener
nur wünschte. Das traurige Andenken ihres vo-

rigen
N 5

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
welcher zu ſeinem Gluͤcke der naͤchſte haͤtte ſeyn koͤn-
nen:) ſo verließ er murrend den undankbaren Hof,
verſchloß ſich bey ſeinem Pulte, fuͤhlte ſeinen Hun-
ger, aber auch ſeinen Werth, huͤllte ſich alſo ſtolz
in ſeine eigne Gelehrſamkeit ein, und verachtete
den erlauchten Poͤbel; denn ſo nannte er diejeni-
gen, deren Gluͤck er beſungen hatte, und nunmehr
beneidete. Zwar anfangs kam es ihm ſchwer an,
etwas zu ſagen, was wider ſeine eigene Empfin-
dung war: Aber die fortdauernde Verachtung,
und die Gewohnheit, dergleichen taͤglich zu ſagen,
hat es bey ihm ſo weit gebracht, daß er ſich bere-
det, er eifre mit Ueberzeugung, und aus einer
philoſophiſchen Großmuth. Nun iſt er bey ſeiner
Armuth ſtolz, und verachtet alle diejenigen, wel-
che im Anſehen und Ueberfluſſe leben.

Dieſe Anmerkung iſt der wahre Schluͤſſel zu
den meiſten Satiren wider den Reichthum, und das
Gluͤck der Großen.

Diejenigen, welche reich geweſen, und durch
verſchiedne Ungluͤcksfaͤlle arm geworden ſind, ge-
hoͤren auch zu denen, die wider den Reichthum
eifern. Sie haben ihre Schaͤtze verloren; aber
den Muth haben ſie noch behalten, andre zu ver-
achten. Wider die Armen duͤrfen ſie ihre Ver-
achtung nicht aͤußern; denn ſie ſind ſelbſt arm ge-
worden: Sie verachten alſo die Reichen, wie Ti-
mon, und mit viel ſtaͤrkerer Bitterkeit, als er, da
ſie wirklich dasjenige genoſſen haben, was jener
nur wuͤnſchte. Das traurige Andenken ihres vo-

rigen
N 5
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[201/0223] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. welcher zu ſeinem Gluͤcke der naͤchſte haͤtte ſeyn koͤn- nen:) ſo verließ er murrend den undankbaren Hof, verſchloß ſich bey ſeinem Pulte, fuͤhlte ſeinen Hun- ger, aber auch ſeinen Werth, huͤllte ſich alſo ſtolz in ſeine eigne Gelehrſamkeit ein, und verachtete den erlauchten Poͤbel; denn ſo nannte er diejeni- gen, deren Gluͤck er beſungen hatte, und nunmehr beneidete. Zwar anfangs kam es ihm ſchwer an, etwas zu ſagen, was wider ſeine eigene Empfin- dung war: Aber die fortdauernde Verachtung, und die Gewohnheit, dergleichen taͤglich zu ſagen, hat es bey ihm ſo weit gebracht, daß er ſich bere- det, er eifre mit Ueberzeugung, und aus einer philoſophiſchen Großmuth. Nun iſt er bey ſeiner Armuth ſtolz, und verachtet alle diejenigen, wel- che im Anſehen und Ueberfluſſe leben. Dieſe Anmerkung iſt der wahre Schluͤſſel zu den meiſten Satiren wider den Reichthum, und das Gluͤck der Großen. Diejenigen, welche reich geweſen, und durch verſchiedne Ungluͤcksfaͤlle arm geworden ſind, ge- hoͤren auch zu denen, die wider den Reichthum eifern. Sie haben ihre Schaͤtze verloren; aber den Muth haben ſie noch behalten, andre zu ver- achten. Wider die Armen duͤrfen ſie ihre Ver- achtung nicht aͤußern; denn ſie ſind ſelbſt arm ge- worden: Sie verachten alſo die Reichen, wie Ti- mon, und mit viel ſtaͤrkerer Bitterkeit, als er, da ſie wirklich dasjenige genoſſen haben, was jener nur wuͤnſchte. Das traurige Andenken ihres vo- rigen N 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/223>, abgerufen am 25.11.2024.