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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
fast ein halbes Jahr, da er endlich merkte, daß
dieses Kind sehr wenig Nahrung zu sich nahm,
und, wenn es am heftigsten weinte und schrye,
dennoch den Augenblick beruhigt ward, und mun-
ter lächelte, sobald man mit einem Beutel voll
Geld klirrte. Diese Sparsamkeit, und dieser
natürliche Hang zum Gelde überzeugte ihn, wi-
der alle Vorwürfe der Natur, daß dieses Kind
sein leiblicher Sohn sey. Er freute sich über diese
Entdeckung; er nahm sich großmüthig vor, seinem
Sohne eine anständige Erziehung zu verschaffen,
und ihn schreiben und rechnen zu lehren.

Dieses liebenswürdige Kind gab gar zeitig die
deutlichsten Merkmaale von sich, daß ihn die Na-
tur erschaffen habe, nichts zu thun. Er schlief
beständig, und niemals ruhiger, als an der Brust
seiner Amme. Mit dem ersten Jahre wollte man
ihn entwöhnen; aber es war ihm viel zu mühsam,
zu kauen: man sahe sich daher genöthigt, ihn bis
ins dritte Jahr zu stillen. Bis ins zehnte Jahr
gängelte man ihn, weil er niemals lernen wollte,
allein laufen, sondern beständig im Stuhle sitzen
blieb. Um diese Zeit fieng er auch an zu reden,
aber sehr langsam; und noch itzt ist seine Sprache
so lallend, wie die Sprache eines Kindes; denn
er glaubt, es entkräfte ihn zu sehr, wenn er or-
dentlich, und vernehmlich rede. Des Wohlstands
wegen hielt man ihm einen Hofmeister, welcher
sehr scharfen Befehl hatte, das gute Kind nicht
zu übertreiben, am wenigsten strenge zu halten.

Es
M

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
faſt ein halbes Jahr, da er endlich merkte, daß
dieſes Kind ſehr wenig Nahrung zu ſich nahm,
und, wenn es am heftigſten weinte und ſchrye,
dennoch den Augenblick beruhigt ward, und mun-
ter laͤchelte, ſobald man mit einem Beutel voll
Geld klirrte. Dieſe Sparſamkeit, und dieſer
natuͤrliche Hang zum Gelde uͤberzeugte ihn, wi-
der alle Vorwuͤrfe der Natur, daß dieſes Kind
ſein leiblicher Sohn ſey. Er freute ſich uͤber dieſe
Entdeckung; er nahm ſich großmuͤthig vor, ſeinem
Sohne eine anſtaͤndige Erziehung zu verſchaffen,
und ihn ſchreiben und rechnen zu lehren.

Dieſes liebenswuͤrdige Kind gab gar zeitig die
deutlichſten Merkmaale von ſich, daß ihn die Na-
tur erſchaffen habe, nichts zu thun. Er ſchlief
beſtaͤndig, und niemals ruhiger, als an der Bruſt
ſeiner Amme. Mit dem erſten Jahre wollte man
ihn entwoͤhnen; aber es war ihm viel zu muͤhſam,
zu kauen: man ſahe ſich daher genoͤthigt, ihn bis
ins dritte Jahr zu ſtillen. Bis ins zehnte Jahr
gaͤngelte man ihn, weil er niemals lernen wollte,
allein laufen, ſondern beſtaͤndig im Stuhle ſitzen
blieb. Um dieſe Zeit fieng er auch an zu reden,
aber ſehr langſam; und noch itzt iſt ſeine Sprache
ſo lallend, wie die Sprache eines Kindes; denn
er glaubt, es entkraͤfte ihn zu ſehr, wenn er or-
dentlich, und vernehmlich rede. Des Wohlſtands
wegen hielt man ihm einen Hofmeiſter, welcher
ſehr ſcharfen Befehl hatte, das gute Kind nicht
zu uͤbertreiben, am wenigſten ſtrenge zu halten.

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[177/0199] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. faſt ein halbes Jahr, da er endlich merkte, daß dieſes Kind ſehr wenig Nahrung zu ſich nahm, und, wenn es am heftigſten weinte und ſchrye, dennoch den Augenblick beruhigt ward, und mun- ter laͤchelte, ſobald man mit einem Beutel voll Geld klirrte. Dieſe Sparſamkeit, und dieſer natuͤrliche Hang zum Gelde uͤberzeugte ihn, wi- der alle Vorwuͤrfe der Natur, daß dieſes Kind ſein leiblicher Sohn ſey. Er freute ſich uͤber dieſe Entdeckung; er nahm ſich großmuͤthig vor, ſeinem Sohne eine anſtaͤndige Erziehung zu verſchaffen, und ihn ſchreiben und rechnen zu lehren. Dieſes liebenswuͤrdige Kind gab gar zeitig die deutlichſten Merkmaale von ſich, daß ihn die Na- tur erſchaffen habe, nichts zu thun. Er ſchlief beſtaͤndig, und niemals ruhiger, als an der Bruſt ſeiner Amme. Mit dem erſten Jahre wollte man ihn entwoͤhnen; aber es war ihm viel zu muͤhſam, zu kauen: man ſahe ſich daher genoͤthigt, ihn bis ins dritte Jahr zu ſtillen. Bis ins zehnte Jahr gaͤngelte man ihn, weil er niemals lernen wollte, allein laufen, ſondern beſtaͤndig im Stuhle ſitzen blieb. Um dieſe Zeit fieng er auch an zu reden, aber ſehr langſam; und noch itzt iſt ſeine Sprache ſo lallend, wie die Sprache eines Kindes; denn er glaubt, es entkraͤfte ihn zu ſehr, wenn er or- dentlich, und vernehmlich rede. Des Wohlſtands wegen hielt man ihm einen Hofmeiſter, welcher ſehr ſcharfen Befehl hatte, das gute Kind nicht zu uͤbertreiben, am wenigſten ſtrenge zu halten. Es M

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/199>, abgerufen am 24.11.2024.