Nur die Vernunft unterscheidet uns Men- schen von dem unvernünftigen Viehe; müssen wir et- wan diesen Unterschied erst durch die Erziehung er- langen? Müssen wir erst durch Regeln vernünf- tig werden? Wie wenig würden wir von dem Viehe in den ersten Jahren unterschieden seyn, da wir noch keiner Lehren und Erziehung fähig sind! Jch erschrecke, wenn ich diesem verwegnen Gedan- ken weiter nachdenke. Sonst dachte ich auch so, ich läugne es nicht; ich war so einfältig zu glau- ben, daß die Erziehung Menschen mache, daß ein Mensch ohne vernünftige Erziehung wenig von dem Viehe unterschieden sey: So dachte ich sonst, aber nicht länger, als bis ich die Welt kennen lernte. Jch schäme mich nunmehr meiner bür- gerlichen Einfalt.
Poeten werden geboren: das räumen alle Gelehrte ein; Und warum nur Poeten allein? Warum denn nicht auch Bürgermeister, Magni- ficenzen, Hochwürdige Gnaden, Excellenzen, und Väter des Vaterlandes? Jst es nicht zu pedan- tisch, wenn man glaubt, nur an Poeten verschwen- de die Natur ihre mütterliche Vorsorge, und sey gegen diejenigen geiziger, ohne welche die ge- bornen Poeten gewiß verhungern müßten? Wel- ches Geschöpf ist in der Natur wohl wichtiger; ein Poet, oder ein Mäcenat? Ein Mann, der witzig ist, oder ein Mann, der Geld hat? Und doch wird jener geboren, und dieser soll erst durch Kunst erzwungen werden?
Es
Antons Panßa von Mancha
Nur die Vernunft unterſcheidet uns Men- ſchen von dem unvernuͤnftigen Viehe; muͤſſen wir et- wan dieſen Unterſchied erſt durch die Erziehung er- langen? Muͤſſen wir erſt durch Regeln vernuͤnf- tig werden? Wie wenig wuͤrden wir von dem Viehe in den erſten Jahren unterſchieden ſeyn, da wir noch keiner Lehren und Erziehung faͤhig ſind! Jch erſchrecke, wenn ich dieſem verwegnen Gedan- ken weiter nachdenke. Sonſt dachte ich auch ſo, ich laͤugne es nicht; ich war ſo einfaͤltig zu glau- ben, daß die Erziehung Menſchen mache, daß ein Menſch ohne vernuͤnftige Erziehung wenig von dem Viehe unterſchieden ſey: So dachte ich ſonſt, aber nicht laͤnger, als bis ich die Welt kennen lernte. Jch ſchaͤme mich nunmehr meiner buͤr- gerlichen Einfalt.
Poeten werden geboren: das raͤumen alle Gelehrte ein; Und warum nur Poeten allein? Warum denn nicht auch Buͤrgermeiſter, Magni- ficenzen, Hochwuͤrdige Gnaden, Excellenzen, und Vaͤter des Vaterlandes? Jſt es nicht zu pedan- tiſch, wenn man glaubt, nur an Poeten verſchwen- de die Natur ihre muͤtterliche Vorſorge, und ſey gegen diejenigen geiziger, ohne welche die ge- bornen Poeten gewiß verhungern muͤßten? Wel- ches Geſchoͤpf iſt in der Natur wohl wichtiger; ein Poet, oder ein Maͤcenat? Ein Mann, der witzig iſt, oder ein Mann, der Geld hat? Und doch wird jener geboren, und dieſer ſoll erſt durch Kunſt erzwungen werden?
Es
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Antons Panßa von Mancha
Nur die Vernunft unterſcheidet uns Men-
ſchen von dem unvernuͤnftigen Viehe; muͤſſen wir et-
wan dieſen Unterſchied erſt durch die Erziehung er-
langen? Muͤſſen wir erſt durch Regeln vernuͤnf-
tig werden? Wie wenig wuͤrden wir von dem
Viehe in den erſten Jahren unterſchieden ſeyn, da
wir noch keiner Lehren und Erziehung faͤhig ſind!
Jch erſchrecke, wenn ich dieſem verwegnen Gedan-
ken weiter nachdenke. Sonſt dachte ich auch ſo,
ich laͤugne es nicht; ich war ſo einfaͤltig zu glau-
ben, daß die Erziehung Menſchen mache, daß ein
Menſch ohne vernuͤnftige Erziehung wenig von
dem Viehe unterſchieden ſey: So dachte ich ſonſt,
aber nicht laͤnger, als bis ich die Welt kennen
lernte. Jch ſchaͤme mich nunmehr meiner buͤr-
gerlichen Einfalt.
Poeten werden geboren: das raͤumen alle
Gelehrte ein; Und warum nur Poeten allein?
Warum denn nicht auch Buͤrgermeiſter, Magni-
ficenzen, Hochwuͤrdige Gnaden, Excellenzen, und
Vaͤter des Vaterlandes? Jſt es nicht zu pedan-
tiſch, wenn man glaubt, nur an Poeten verſchwen-
de die Natur ihre muͤtterliche Vorſorge, und
ſey gegen diejenigen geiziger, ohne welche die ge-
bornen Poeten gewiß verhungern muͤßten? Wel-
ches Geſchoͤpf iſt in der Natur wohl wichtiger;
ein Poet, oder ein Maͤcenat? Ein Mann, der
witzig iſt, oder ein Mann, der Geld hat? Und
doch wird jener geboren, und dieſer ſoll erſt durch
Kunſt erzwungen werden?
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/158>, abgerufen am 24.11.2024.
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